
Nicht nur Autohersteller müssen künftig entlang der gesamten Lieferkette auf Umweltschutz und Menschenrechte pochen. (Bild: Porsche)
Was regelt das Lieferkettengesetz?
Seit dem 1. Januar 2023 verpflichtet das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Deutschland ansässige Unternehmen ab einer Größe von 3.000 Mitarbeitenden und ab 2024 auch Firmen mit mindestens 1.000 Arbeitnehmern dazu, Menschrechte und Umweltschutzstandards durch das Umsetzen festgelegter Sorgfaltspflichten einzuhalten. Die Pflichten gelten für den eigenen Geschäftsbereich, aber auch für Zulieferer und Lieferanten, mit denen das Unternehmen zusammenarbeitet. Laut Gesetz müssen Unternehmen nun Risiken in ihren Lieferketten ermitteln, bewerten und priorisieren. Darauf aufbauend müssen Grundsatzerklärungen veröffentlicht und entsprechende Maßnahmen zur Durchsetzung ergriffen werden. Im neuen Gesetz wird ebenso von Pflichten zur Einrichtung von Beschwerdekanälen und zur regelmäßigen Berichterstattung über das Lieferkettenmanagement.
Lange wurde gerungen - nun haben die EU-Staaten das europäische Lieferkettengesetz endgültig beschlossen. Bei der finalen Abstimmung in Brüssel gab keine Gegenstimmen - Deutschland und neun weitere Länder enthielten sich allerdings. Der Gesetzestext muss nur noch im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden, damit er in Kraft treten kann. Danach haben die EU-Staaten gut zwei Jahre Zeit, die neuen Regeln in nationales Recht umzusetzen. In der Zwischenzeit müssen Lieferantenverträge überarbeitet, Controllingsysteme etabliert und Lieferanten-Schulungen in puncto Compliance und Nachhaltigkeit organisiert werden.
Erst im August 2022 waren die Handreichungen für die Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) – oder kurz Lieferkettengesetz – vom zuständigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) veröffentlicht worden. Anfang März 2023 hatte die Behörde dann erklärt, erst zum 1. Juni 2024 überprüfen zu wollen, ob die Unternehmen ihre neuen Pflichten im abgelaufenen Geschäftsjahr erfüllt haben.
Wie wurde das EU-Gesetz im Verhandlungsprozess abgeschwächt?
Ursprünglich sah ein Kompromiss von Unterhändlern der EU-Staaten und des Europaparlaments vor, dass Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz von den Vorgaben betroffen sind. Diese Grenze wurde jedoch auf 1.000 Beschäftigte und 450 Millionen Euro angehoben, nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren. Nach drei Jahren sollen die Vorgaben zunächst für Firmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten und mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz weltweit gelten, nach vier Jahren sinken diese Grenzen dann auf 4.000 Mitarbeitende und 900 Millionen Umsatz.
Ist das Lieferkettengesetz ein bürokratisches Monster?
Was Unternehmen zum Teil an administrativen Aufwand zugemutet werde, sprenge den Rahmen der Möglichkeiten, erneuert der Verband der Automobilindustrie (VDA) seine mehrfach geäußerte Kritik im Gleichklang mit den übrigen Verbänden. Zivilrechtliche Haftungsvorgaben entlang weit verzweigter Lieferketten, zu denen keine eigenen Vertragsbeziehungen bestünden, lehne man ab, so eine Sprecherin. Der Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) Volker Treier sieht in dem LkSG „ein großes zusätzliches Handelshemmnis“. Bei einer aktuellen DIHK-Umfrage hätten sieben Prozent der Betriebe mit bis zu 3.000 Beschäftigten die Befürchtung geäußert, sich aus Märkten zurückziehen zu müssen, um menschenrechts- und umweltbezogene Risiken zu minimieren.
Allerdings hat sich die Automobilindustrie durch die Supply Chain Initiative (RSCI) des VDA längst zu kritischen Liefermärkten positioniert und die Verantwortung gegenüber Umwelt und Menschen zum Leitmotiv der Branche erklärt. „Konsequenterweise geht es nun darum, die Unternehmensorganisation entsprechend auszurichten“, so Thibault Pucken, Managing Director von Inverto, der auf Einkauf und Supply-Chain-Management spezialisierten Tochtergesellschaft der Boston Consulting Group. Zum Stichtag 1. Januar mussten Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden eine Beschwerdestelle eingerichtet und eine Grundsatzerklärung verabschiedet haben. Diese Aufgabe haben die allermeisten inzwischen erfüllt.
Darum setzen Firmen das Lieferkettengesetz zu langsam um
Unterschiedlich weit fortgeschritten seien die Unternehmen bei der Risikoanalyse und dem Maßnahmenkatalog, der festlegt, wie man bei Verstößen von Lieferanten vorgehen will. Vor allem aber gelte es, effiziente Prozesse aufzusetzen und die Kriterien aus dem Gesetz im Risikomanagement und in der Lieferantensteuerung abzubilden. Essenziell sei eine enge Abstimmung innerhalb des Liefernetzwerkes. Unternehmen sollten Risiken in der Lieferkette immer gemeinsam mit ihren Lieferanten adressieren. Schließlich brauche jeder Hersteller Transparenz bis in die tieferen Glieder seiner Lieferketten hinein und die Möglichkeit lieferstufenübergreifend zu agieren. Der direkte Halbleitereinkauf der OEMs zeige, dass dies möglich sei. Das Beispiel lasse sich auf andere Warengruppen übertragen, so der Experte.
In der verlangsamten Umsetzung der Kontrollen durch das BAFA sieht die deutschsprachige SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG), einen „Schritt, der den Unternehmen entgegenkommt“. Rechtssicherheit biete diese Ankündigung allerdings nicht, so Karin Gräslund, Fachvorständin Financials & Sustainability. Vor allem kleinere und mittlere Unternehmen hätten nicht die Ressourcen, um Mitarbeitende zur Kontrolle und für das Nachhaltigkeits-Reporting abzustellen.
Die Verlängerung bis zum 1. Juni 2024 gibt ihnen jedoch nicht endlos Zeit. Thibault Pucken von Inverto: „Es ist sinnvoll, jetzt zu überprüfen, ob die eigene Geschwindigkeit bei der Implementierung ausreicht oder ob man schneller werden muss.“ Auch auf EU-Ebene ist ein Lieferkettengesetz in Arbeit. Dieses fällt nach aktuellem Stand deutlich schärfer aus als das deutsche. Darauf vorbereitet zu sein, könnte den anfänglichen Stress in einen Marktvorteil verwandeln.
Wie reagieren Politik und Zivilgesellschaft auf den EU-Beschluss?
Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze betonte, die EU mache als erster großer Wirtschaftsraum verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln zum Standard. "Das ist eine gute Nachricht für alle Menschen weltweit, die unter miserablen Arbeitsbedingungen leiden", so die SPD-Politikerin. Sven Giegold, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, kündigte an: "Wir werden nun für eine wirksame und bürokratiearme Umsetzung in Deutschland sorgen."
Der Sprecher der Initiative Lieferkettengesetz, Johannes Heeg, sprach von einem "Paradigmenwechsel im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung durch Unternehmen", der ein Erfolg der Zivilgesellschaft sei. In der Initiative haben sich Organisationen wie Amnesty International, der Deutsche Gewerkschaftsbund und Greenpeace zusammengeschlossen.
Was passiert bei Verstößen gegen das EU-Gesetz?
Die EU-Staaten sollen eine Aufsichtsbehörde benennen, die den Unternehmen auf die Finger schaut. Diese soll auch Strafen gegen Unternehmen verhängen können, wenn diese sich nicht an die Vorschriften halten. Es können Geldstrafen von bis zu fünf Prozent des weltweiten Nettoumsatzes eines Unternehmens fällig werden.
Welche Rolle hat Deutschland bei der Verhandlung des Gesetzes gespielt?
Der Grund für die deutsche Enthaltung ist Uneinigkeit innerhalb der Bundesregierung. Wichtige EU-Gesetze werden in Brüssel immer wieder ohne deutsche Zustimmung verabschiedet. In diesem Fall hatte die FDP darauf gedrängt, dass Deutschland dem Gesetz nicht zustimmt, aus Sorge vor Bürokratie und rechtlichen Risiken für Unternehmen. Politikerinnen und Politiker von SPD und Grünen befürworten die Regelung dagegen.
mit Material der dpa