Porsche auf Zug

Nicht nur Autohersteller müssen künftig entlang der gesamten Lieferkette auf Umweltschutz und Menschenrechte pochen. (Bild: Porsche)

Gegen den engen Zeitplan hatten die Wirtschaftsverbände vehement protestiert. Reichlich spät, erst im August 2022 waren die Handreichungen für die Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) – oder kurz Lieferkettengesetz – vom zuständigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) veröffentlicht worden. Nun hat die Behörde erklärt, erst zum 1. Juni 2024 überprüfen zu wollen, ob die Unternehmen ihre neuen Pflichten im abgelaufenen Geschäftsjahr erfüllt haben. Es müssen Lieferantenverträge überarbeitet, Controllingsysteme etabliert und Lieferanten-Schulungen in puncto Compliance und Nachhaltigkeit organisiert werden.

Wen betrifft das neue Lieferkettengesetz?

Im Fokus stehen die unmittelbaren Zulieferer. Aber auch deren Lieferanten sind im Auge zu behalten. Bei „substanziierter Kenntnis über eine mögliche Verletzung einer geschützten Rechtsposition oder einer umweltbezogenen Pflicht“ muss laut Gesetz auch hier eingegriffen werden. Summa summarum sind es mehrere Tausend Firmen, verteilt über verschiedene Lieferregionen weltweit, die bezüglich ihrer Umwelt- und Menschenrechtsstandards unter Beobachtung zu stellen sind. Bei schweren Verstößen gegen das Gesetz drohen den einkaufenden Unternehmen Bußgelder von bis acht Millionen Euro oder von bis zu zwei Prozent des Jahresumsatzes, wenn dieser 400 Millionen Euro überschreitet. Über die Umsetzung des LkSG müssen Unternehmen einmal jährlich gegenüber dem BAFA berichterstatten. Die Behörde „erleichtert“ das Prozedere durch einen 437 Punkte umfassenden Fragenkatalog, der „unbürokratisch“ auf der Webseite des BFA online ausgefüllt werden kann.

Ist das Lieferkettengesetz ein bürokratisches Monster?

Was Unternehmen zum Teil an administrativen Aufwand zugemutet werde, sprenge den Rahmen der Möglichkeiten, erneuert der Verband der Automobilindustrie (VDA) seine mehrfach geäußerte Kritik im Gleichklang mit den übrigen Verbänden. Zivilrechtliche Haftungsvorgaben entlang weit verzweigter Lieferketten, zu denen keine eigenen Vertragsbeziehungen bestünden, lehne man ab, so eine Sprecherin. Der Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) Volker Treier sieht in dem LkSG „ein großes zusätzliches Handelshemmnis“. Bei einer aktuellen DIHK-Umfrage hätten sieben Prozent der Betriebe mit bis zu 3.000 Beschäftigten die Befürchtung geäußert, sich aus Märkten zurückziehen zu müssen, um menschenrechts- und umweltbezogene Risiken zu minimieren.

Allerdings hat sich die Automobilindustrie durch die Supply Chain Initiative (RSCI) des VDA längst zu kritischen Liefermärkten positioniert und die Verantwortung gegenüber Umwelt und Menschen zum Leitmotiv der Branche erklärt. „Konsequenterweise geht es nun darum, die Unternehmensorganisation entsprechend auszurichten“, so Thibault Pucken, Managing Director von Inverto, der auf Einkauf und Supply-Chain-Management spezialisierten Tochtergesellschaft der Boston Consulting Group. Zum Stichtag 1. Januar mussten Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden eine Beschwerdestelle eingerichtet und eine Grundsatzerklärung verabschiedet haben. Diese Aufgabe haben die allermeisten inzwischen erfüllt.

Was regelt das Lieferkettengesetz?

Seit dem 1. Januar 2023 verpflichtet das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Deutschland ansässige Unternehmen ab einer Größe von 3.000 Mitarbeitenden und ab 2024 auch Firmen mit mindestens 1.000 Arbeitnehmern dazu, Menschrechte und Umweltschutzstandards durch das Umsetzen festgelegter Sorgfaltspflichten einzuhalten. Die Pflichten gelten für den eigenen Geschäftsbereich, aber auch für Zulieferer und Lieferanten, mit denen das Unternehmen zusammenarbeitet. Laut Gesetz müssen Unternehmen nun Risiken in ihren Lieferketten ermitteln, bewerten und priorisieren. Darauf aufbauend müssen Grundsatzerklärungen veröffentlicht und entsprechende Maßnahmen zur Durchsetzung ergriffen werden. Im neuen Gesetz wird ebenso von Pflichten zur Einrichtung von Beschwerdekanälen und zur regelmäßigen Berichterstattung über das Lieferkettenmanagement.

Darum setzen Firmen das Lieferkettengesetz zu langsam um

Unterschiedlich weit fortgeschritten seien die Unternehmen bei der Risikoanalyse und dem Maßnahmenkatalog, der festlegt, wie man bei Verstößen von Lieferanten vorgehen will. Vor allem aber gelte es, effiziente Prozesse aufzusetzen und die Kriterien aus dem Gesetz im Risikomanagement und in der Lieferantensteuerung abzubilden. Essenziell sei eine enge Abstimmung innerhalb des Liefernetzwerkes. Unternehmen sollten Risiken in der Lieferkette immer gemeinsam mit ihren Lieferanten adressieren. Schließlich brauche jeder Hersteller Transparenz bis in die tieferen Glieder seiner Lieferketten hinein und die Möglichkeit lieferstufenübergreifend zu agieren. Der direkte Halbleitereinkauf der OEMs zeige, dass dies möglich sei. Das Beispiel lasse sich auf andere Warengruppen übertragen, so der Experte.

In der verlangsamten Umsetzung der Kontrollen durch das BAFA sieht die deutschsprachige SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG), einen „Schritt, der den Unternehmen entgegenkommt“. Rechtssicherheit biete diese Ankündigung allerdings nicht, so Karin Gräslund, Fachvorständin Financials & Sustainability. Vor allem kleinere und mittlere Unternehmen hätten nicht die Ressourcen, um Mitarbeitende zur Kontrolle und für das Nachhaltigkeits-Reporting abzustellen.

Die Verlängerung bis zum 1. Juni 2024 gibt ihnen jedoch nicht endlos Zeit. Thibault Pucken von Inverto: „Es ist sinnvoll, jetzt zu überprüfen, ob die eigene Geschwindigkeit bei der Implementierung ausreicht oder ob man schneller werden muss.“ Auch auf EU-Ebene ist ein Lieferkettengesetz in Arbeit. Dieses fällt nach aktuellem Stand deutlich schärfer aus als das deutsche. Darauf vorbereitet zu sein, könnte den anfänglichen Stress in einen Marktvorteil verwandeln.

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