Herr Syska, würden Sie Ihren Enkelkindern raten, BWL zu studieren?
Eine hypothetische Frage, da ich keine habe. Allerdings würde ich ihnen abraten, wenn es die BWL von heute wäre. Denn die setzt schlicht und ergreifend auf die falschen Inhalte und vermittelt sie ungeeignet.
Woran machen Sie das fest?
Die BWL geht noch immer von der Annahme aus, dass Unternehmen wie Maschinen funktionieren: starre Systeme, zentral geplant und gesteuert. Das mag zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchaus seine Berechtigung gehabt haben, als die ersten Firmen nach den Prinzipien Frederick Taylors entstanden, geleitet von Patriarchen, die bis ins kleinste Detail festgelegt haben, wo es lang geht: Organigramme, Abteilungen, Kostenstellen, Prozessstrukturen – das funktioniert heute nicht mehr so richtig.
Warum stellen sich Wirtschaft und Hochschulen dann nicht auf die neuen Gegebenheiten ein?
Die Rollen wurden getauscht. Längst sind es die Unternehmen, die Impulse geben, frische Ideen hervorbringen und ausprobieren. Scrum und Lean Production sind hier gute Beispiele, denn beides ist nicht an den Unis entstanden, sondern in der Wirtschaft. Speziell im Produktionsmanagement, aber auch in Teilen der Betriebswirtschaftslehre, ist es inzwischen so, dass Hochschulen von der Wirtschaft lernen, neue Themen begierig aufsaugen und in ihre Lehrpläne integrieren.
Führt das den klassischen Bildungsauftrag nicht ad absurdum?
Nein, solange Hochschulen wissen, was im Arbeitsleben funktioniert, können sie Studierende durchaus auf diese Dinge vorbereiten. Mein Kritikpunkt ist ein anderer: Früher war ein Universitätsstudium deutlich weiter gefasst. Es ging nicht darum, junge Menschen allein für einen Job zu qualifizieren. Forschen, Neugierde wecken, Persönlichkeit entwickeln, Denken lernen waren die Ziele. Und genau daran fehlt es heute, weil man sich vielerorts auf eine Berufsausbildung konzentriert und ihr einen akademischen Anstrich gibt. Wir geben dem Nachwuchs Werkzeuge an die Hand und bringen ihm bei, sie zu gebrauchen. Sie werden so zu Operatoren des Wirtschaftssystems abgerichtet. In dem Moment, wo dies mit Bildung gleichgesetzt wird, beschmutzt man diesen Begriff.
Was muss passieren?
Hochschulen sind zu erpicht darauf, Studierenden Wissen im Frontalunterricht zu vermitteln. Derjenige, der den Stoff in einer Prüfung ausreichend reproduzieren kann, ist qualifiziert. Das stimmt aber nicht. Sie oder er haben lediglich gelernt, zu bestehen. So kommt es vor, dass im Masterstudium nicht auf das Wissen der Bachelorprüfung zurückgegriffen werden kann, weil es lediglich auf einen Termin hin gelernt und seitdem wieder vergessen wurde. Ich sage das nicht gern, aber das Bildungsniveau an den Hochschulen ist rückläufig. Schon die Qualität der Erstsemester lässt zu wünschen übrig. Im gleichen Maße, wie die Anzahl der sehr guten Abiturnoten wächst, lässt die Fähigkeit zu rechnen, zu schreiben und zu denken nach. Auf den Professoren lastet der Druck, die eigenen Ansprüche nach unten anzupassen, damit geforderte Akademisierungsquoten erreicht werden. Gleichzeitig bluten Industrie und Handwerk aus, weil Ausbildungsberufe nicht mehr gefragt sind.
Woran mangelt es besonders?
Die Welt hält mehr und mehr Aufgaben bereit, für die es keine Musterlösungen gibt. Es fehlt die Fähigkeit, Systeme und Strukturen sauber zu analysieren, sie in Frage zu stellen und Alternativen zu entwickeln.
Ist es in der Wirtschaft denn tatsächlich gewünscht, dass Fragen gestellt werden? Womöglich gar kritische …
Sie haben recht. In vielen etablierten Unternehmen ist systemkonformes Verhalten gefragt. Wachstum und Gewinn sind die beiden Prioritäten, denen alles untergeordnet wird. Und dennoch werfen auch solche Firmen begehrliche Blicke auf junge Startups, die mit frischem Spirit und unverbrauchtem Denken neue Dinge ausprobieren, die es bisher nicht gegeben hat. Kreativität, Engagement und Neugierde existieren oft nur dort, wo altes Systemdenken keinen Einfluss hat.
Das klingt reichlich pessimistisch…
Ach was, es ist doch natürlich, dass Altes vergehen muss, damit Neues entstehen kann. Schauen Sie sich die verzweifelten Versuche auch in der Automobilindustrie an, agile Einheiten losgelöst von der Hauptorganisation zu etablieren. CEOs und Vorstände haben erkannt, dass Neues nicht im Schatten jahrzehntealter Konzernstrukturen erblühen kann. Manager und Controller, die sich nur an Deckungsbeiträgen festhalten, können keine Impulse setzen, um das Unternehmen voranzubringen.
Das vollständige Interview mit Produktionswirtschaftler Andreas Syska lesen Sie in der aktuellen Printausgabe von automotiveIT.