Mit Konsequenz und mit Begeisterung – so beschreibt Polestar-Chef Thomas Ingenlath, wie der ehemalige Volvo-Tuner an die Entwicklung seines neuesten Modells gegangen ist, das schlicht auf den Namen „Polestar 4“ hört. Im vergangenen Herbst zeigten die chinesischen Schweden – Polestar gehört zu knapp 80 Prozent der Geely-Gruppe, 18 Prozent hält weiterhin Volvo – das vollelektrische SUV-Coupé im D-Segment der Öffentlichkeit, im Sommer dieses Jahres sollen die ersten Autos zu Preisen ab rund 63.000 Euro auf deutschen Straßen zu sehen sein. Was die potenziellen Kunden erwartet, ist durchaus spektakulär: ein 4,80 Meter langes, 2,14 Meter breites, aber nur 1,5 Meter hohes Auto, das keine Heckscheibe hat.
Chefdesigner Maximilian Missoni: „Wir sind den Weg einfach konsequent weitergegangen.“ Beim Zeichnen eines SUV-Coupés werde die Heckscheibe immer in Frage gestellt. Um die Coupé-Linie halten zu können, muss die Scheibe extrem flach gestellt werden und büße so zwangsläufig ihre Funktion ein. So entschied Polestar sich dazu, ganz auf den Ausguck zu verzichten und den Blick per Kamera nach hinten zu richten. Pfiffigerweise bleibt es beim gewohnten Innenspiegel als Monitor für das künstliche HD-Auge ist. Das funktioniert nach etwas Eingewöhnung sehr gut, bei Nebel oder Dämmerung ist die Kamera dem menschlichen Auge sogar überlegen. In der nächsten Ausbaustufe sind, wie Vertreter des Zulieferers bei der Modell-Präsentation erklärten, auch Kameras mit der Qualität von Nachtsichtgeräten möglich. Fahrerinnen und Fahrer müssen sich allerdings zunächst damit abfinden, nicht mal eben im Innenspiegel den Lippenstift oder die Rasur überprüfen zu können und für hinten Sitzende ist es zunächst etwas befremdlich, den oder die Fahrende(n) nicht im „Spiegel“ zu sehen.
Neue Plattform trägt auch die geplanten größeren Modelle
Die gegenüber dem „echten“ SUV-Schwestermodell Polestar 3 flachere Linie mit kürzeren Karosserieüberhängen machen den Vierer zu einer durchaus sportlichen Erscheinung. Um die vom Design geweckten sportlichen Erwartungen auch auf der Straße erfüllen zu können, haben die Polestar-Entwickler sehr viel Hirnschmalz ins Fahrwerk gesteckt. Mit Erfolg, wie erste Runden auf der Teststrecke zeigen. Das Team um Joakim Rydholm hat dem 2,2 Tonnen schweren Gefährt ein sehr ausbalanciertes Fahrverhalten anerzogen. Im Vergleich zum Polestar 3 ist die Abstimmung straffer, aber trotz der aufgezogenen 255/45-Reifen auf 21 Zoll großen Felgen nicht unkomfortabel. Die Lenkung gefällt mit hoher Präzision und gibt dem Fahrer direkte Rückmeldung über den Straßenzustand. Geschuldet ist diese hervorragende Performance in erster Linie der neuen SEA (Sustainable Experience Architecture) Plattform, die beim Polestar 4 erstmals zum Einsatz kommt und einen Radstand von drei Metern erlaubt. Sie soll auch die geplanten, größeren Modelle Polestar 5 und 6 tragen.
Die Motorisierungen sind dem sportlichen Anspruch des Fahrwerks durchaus gewachsen. Polestar bietet das Auto mit einem oder mit zwei Elektromotoren an, die jeweils 200 kW/272 PS leisten. Die Version mit einem Motor an der Hinterachse liefert 343 Nm Drehmoment und beschleunigt den Wagen in 6,8 Sekunden auf 100 km/h, mit zwei Motoren addiert sich die Leistung auf 400 kW/544 PS, es werden beide Achsen angetrieben und der Polestar 4 erreicht nach 3,8 Sekunden die Marke von 100 km/h. Versorgt werden die Motoren von einer Lithium-Ionen-Batterie mit einer Nominalkapazität von 100 kWh, die im Fahrzeugboden zwischen den Achsen liegt. Die maximale Ladekapazität beträgt 200 kW, wird sie ausgenutzt, ist die Batterie in 30 Minuten von 10 auf 80 Prozent gefüllt. Der WLTP-Verbrauch liegt mit einem Motor zwischen 17,7 und 18,1 kW/h auf 100 Kilometern, bei zwei Motoren sind es 18,6 bis 21 kWh. Die maximale Reichweite gibt Polestar mit 610 beziehungsweise 580 Kilometern an.
Jährlich 150.000 verkaufte Exemplare sind angepeilt
Der Innenausbau des Polestar 4 steht ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit. Alle verwendeten Kunststoffe sind zu 100 Prozent recycelt, die optionalen Lederbezüge entstammen biozertifizierten Betrieben hauptsächlich aus dem Vereinigten Königreich. Das Innendesign wirkt klar und aufgeräumt, das Gestühl ist von ausgesuchter Qualität und insbesondere die Fondspassagiere profitieren vom üppigen Platzangebot – hat man sich erstmal daran gewöhnt, dass sich hinter den Kopfstützen keine Scheibe, sondern eine schwarze Wand befindet. Leider lässt sich die Rückbank nur im Verhältnis 60:40 umlegen, eine mittlere „Durchreiche“ für längeres Ladegut gibt es nicht. Der Kofferraum ist mit 526 bis 1536 Litern nicht riesig, aber ausreichend.
Wie es sich für ein modernes E-Auto gehört, spielt auch beim Polestar 4 die Musik auf einem großen, tabletförmigen Zentraldisplay im Querformat. Dort lassen sich auch alle anderen Daten und Kommunikationseinrichtungen des Fahrzeugs verwalten und steuern. Auf ein kleineres Display über dem Lenkrad verzichtet Polestar dankenswerterweise nicht, ebenso wenig wie auf ein Head-up-Display.
Der Polestar 4 ist kein Billigheimer: Mindestens 63.200 Euro kostet er mit einem Motor, mindestens 71.200 als Allrad. Dazu gibt es verschiedene Ausstattungspakete mit schönen Namen wie „Pilot“, „Plus“ oder „Performance“, die den Preis leicht über die 80.000-Euro Marke heben. Polestar-Chef Thomas Ingenlath ist jedoch zuversichtlich, dass sich weltweit jährlich rund 150.000 Menschen für ein sportliches, sauber konstruiertes und optisch ansprechendes Fahrzeug wie sein neuestes begeistern werden.