US-Werk von Nikola Motors in Coolidge / In diesem Werk möchte Nikola Motors den Diesel-LKW beerdigen

Noch läuft die Produktion im Nikola-Werk Coolidge eher schleppend. Dies soll sich jedoch in den kommenden Jahren rapide ändern. (Bild: Thomas Geiger)

Hektische Betriebsamkeit sieht anders aus. Zugegeben, es ist Freitag und viele Mitarbeiter sind schon im Wochenende. Doch die wenigen, die jetzt noch da sind, arbeiten wie in Zeitlupe: 90 Minuten dauert der Takt, in dem die Komponenten die insgesamt 15 Stationen durchlaufen und aus einem riesigen Baukasten nach und nach eine Lkw-Zugmaschine wird. Aktuell passiert das einmal am Tag, bald sollen wie schon im letzten Jahr vier Fahrzeuge pro Schicht fertig werden, stellt Jeff Sommers in Aussicht, der hier das Training der bislang gut 300 Mitarbeiter in der Fertigung verantwortet.

Wie viele Lkw will Nikola in Arizona bauen?

Aber das ist ja nur das Vorspiel, sagt Hausherr Michael Lohscheller: Vor zwei Jahren bei Opel geschasst, ist er über eine Zwischenstation beim vietnamesischen Neuling Vinfast mittlerweile seit einem Jahr Chef des Lkw-Herstellers Nikola mit Hauptsitz in Phoenix im US-Bundesstaat Arizona und will das Startup vom neuen Werk in Coolidge eine gute Stunde weiter im Süden aus zum Schrittmacher der Mobilitätswende im Schwerverkehr machen.

Auf der einen Seite mag man sich angesichts der gähnenden Leere in der 65.000 Quadratmeter großen Halle kaum vorstellen, dass hier mittelfristig 20.000 Lastwagen pro Jahr zusammengeschraubt werden sollen. Erst recht nicht, weil es zwar viele elektronisch kontrollierte und elektrisch unterstütze Werkzeuge aber noch keinen einzigen Roboter gibt. Doch auf der anderen Seite ist es schier unglaublich, was Nikola in so kurzer Zeit geschafft hat. Denn die Firma wurde – damals noch in Salt Lake City – vor acht Jahren gegründet. Der Spatenstich für das dank großzügiger Subventionen aus der Hauptstadt Phoenix in den US-Staat Arizona verlegte Werk, das sich Nikola rund 180 Millionen Dollar hat kosten lassen, ist noch keine 18 Monate her, und der Rollout des ersten Trucks war vor weniger als einem Jahr.

Nikola profitiert von Startup-Spirit und Geschwindigkeit

Es ist vor allem dieses Tempo, das für den neuen Chef den Charme des Unternehmens und seiner neuen Heimat ausmacht. Denn während sie in Europa endlos diskutieren, werde in den USA einfach entschieden und gemacht, lobt Lohscheller. Das gilt für die große Politik wie den milliardenschweren Inflation Reduction Act, den Washington in wenigen Wochen beschlossen hat, und der Lohschellers Truck mit großzügigen Kaufzuschüssen gehörigen Rückenwind geben dürfte.

Und das gilt im Kleinen bei Nikola, wo hunderte von Tech-Spezialisten in ihrem Homeoffice sitzen und schneller Software schreiben, als sich der Chef vorstellen konnte. „Klar fühle ich mich neben diesen Kids mit ihren Hoodies und Basecaps manchmal wie der Großpapa“, räumt der 54-jährige Lohscheller im blauen Business-Anzug ein. „Doch die liefern über Nacht Ergebnisse“, rühmt er den Startup-Sprit, den sich Nikola trotz seiner mittlerweile über 1.500 Mitarbeiter bewahrt habe.

Und das Tempo zahlt sich aus: Obwohl viel jünger als Tesla, ist Nikola dem Vorbild und Konkurrenten zuvorgekommen und hat seinen elektrischen Laster Tre deutlich vor dem Tesla Semi auf die Straße gebracht – wenn auch nur in homöopathischen Stückzahlen, wie Lohscheller einräumen muss. Denn 2022 wurden exakt 258 Laster produziert, und wenn ihnen das in diesem Jahr pro Quartal gelingt, ist Produktionstrainer Sommers schon zufrieden.

Factory Tour Nikola Motor Arizona Coolidge / Mit diesem Werk möchte Nikola dem Diesel-LKW den Garaus machen
Rund 250 Lkw konnte Nikola im vergangenen Jahr produzieren, mittelfristig sollen es bis zu 45.000 Einheiten pro Jahr werden. (Bild: Thomas Geiger)

Warum Nikola schneller war als andere? „Weil wir nicht den Anspruch haben, alles selbst zu machen und das Rad dafür neu zu erfinden“, sagt Lohscheller: „Unsere Kernkompetenzen sind die Integration und die Software, mit der wir alle Daten über das Fahrzeug und die Flotte in der Hand behalten und daraus einen Mehrwert für die Kunden und das Unternehmen generieren können.“ Bei der Hardware dagegen lassen sie sich gerne von Partnern helfen: Die für den US-Markt untypische Kabine ohne lange Fronthaube kommt deshalb genau wie die elektrisch angetriebene Hinterachse von Iveco, die Batterien liefert die mittlerweile ins Unternehmen geholte Tochter Romeo Power und die Brennstoffzelle steuert Bosch bei.

Nikola fährt in Arizona zweigleisig

Batterien und Brennstoffzelle? Ja, denn Nikola fährt eine zweigleisige Strategie: Während Tesla auch beim Semi ausschließlich auf den Akku-Antrieb setzt und Elon Musk die Fuelcell-Technologie gerne als „Fool Cell“ kritisiert oder zum Beispiel Hyundai und Toyota allein auf den Wasserstoff als Energieträger setzen, stehen draußen vor der Halle Lastwagen mit beiden Technologien. Die batterieelektrische Version mit einem 738 kWh großen Speicher für rund 500 Kilometer Fahrstrecke kann man zu Preisen ab 350.000 Dollar bereits kaufen, die Brennstoffzelle mit 70 Kilo Wasserstoff in sieben Tanks und einem Pufferspeicher von 164 kWh für dann bis zu 800 Kilometer geht in den USA im Sommer in den Handel.

„Unser Feind ist der Diesel und unser Ziel ein CO2-freier Güterverkehr, aber wir wollen den Kunden nicht diktieren, wie dieses Ziel erreicht werden soll“, predigt er eine Technologieoffenheit, wie sie in der Branche sonst aktuell nur Daimler Trucks an den Tag legt.

Nikolas Werk in Coolidge wird ausgebaut

Bislang beschränken sie sich in Coolidge nur auf die Endmontage, die sich L-Förmig in 15 Stationen durch die große Halle zieht. Doch während die Rohbauten im Schneckentempo die gleißend hell ausgeleuchteten Arbeitsbereiche wechseln, auf dem Hof die mobile Wasserstoff-Großtankstelle erprobt wird und auf der Teststrecke die letzten Exemplare der Beta-Prototypen ihre Brennstoffzellen auf Touren bringen, klackern nebenan die Kräne, es rattern die Bagger und bisweilen geht ein feines Vibrieren durch den Boden.

Denn nicht einmal zwei Jahre nach der Grundsteinlegung baut Nikola schon wieder an, sagt Sommers und zeigt in eine zweite Halle, in der bald in Eigenregie die bis zu neun Batteriepakete pro Lastwagen gepackt und die von Bosch lizensierte Brennstoffzelle montiert werden soll. „Wenn wir im Reinraum mit deren Montage beginnen, bekommen wir auch unsere ersten zwei Roboter“, freut sich der Trainer auf die ersten nicht-menschlichen Kollegen.

Wobei: Anders als an vielen europäischen Standorten hat Nikola zumindest keine Personalnöte. Arizona entwickle sich zwar zum Tech-Standort und zu einem Hub für grüne Energien, doch an geeigneten Arbeitskräften herrsche hier kein Mangel, freut sich der ehemalige Opel-Chef und weiß, dass er die vielleicht bald brauchen wird.

Mit diesen Kapazitäten plant Nikola

Trainingschef Sommers, der vom ersten Spatenstich an in Coolidge dabei war und damit schon zu den Veteranen in der Company zählt, kann es kaum erwarteten, dass es endlich richtig los geht in seiner Halle und dass die Trucks die Highways aus Arizona womöglich in ein paar Jahren tatsächlich zu tausenden kreuz und quer durch die USA fahren.

Die nötigen Kapazitäten dafür hat er jedenfalls schon eingeplant, sagt Sommers und erzählt von rapide beschleunigten Taktzeiten: "Wir planen mit sieben Minuten pro Station und kommen so im Einschicht-Betrieb auf 80 Fahrzeuge pro Tag und mehr als 20.000 Laster im Jahr, und wenn wir eine zweite Schicht einführen sind 150 am Tag oder 45.000 im Jahr drin.“

Und falls das nicht reicht, ist das Gelände groß genug, um die Fabrik nochmal zu spiegeln. Für den nächsten großen Hub in der Kapazität muss allerdings weder ein Bagger rollen, noch ein Betonmischer laufen: Ab dem Sommer lässt Nikola erst den batterieelektrischen Tre und im nächsten Jahr dann ebenjenen mit Brennstoffzelle auch bei Iveco in Ulm bauen.

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