Stellantis-Produktion für Elektromotoren in Trémery

Die europäischen Standorte globaler Autohersteller kämpfen mit hohen Lohn- und Energiekosten. (Bild: Stellantis)

Neben den hohen Energiekosten schlagen insbesondere die immensen Lohnkosten zu Buche. Nicht nur der Verband der deutschen Automobilindustrie sieht eine Abwanderung ins Ausland. Pandemie, Ukrainekrieg und weltwirtschaftliche Gesamtsituation sind noch immer nicht nur Ruhe gekommen – im Gegenteil. Die Lieferketten sind nach wie vor gestört, wichtige Produktionsvolumina fehlen und statt der einst proklamierten Vision eines weltweiten Freihandels treten immer mehr Protektionismus-Mauern. Nicht zuletzt eine Nation wie Deutschland ist auf eine große Nachfrage im Ausland angewiesen, um die eigenen Produkte erfolg- und ertragreich exportieren zu können. China befindet sich in einer vergleichbaren Lage. Auch wenn das Reich der Mitte langfristig eine größtmögliche Autarkie vom Weltmarkt anstrebt, gilt nach wie vor die Prämisse „von China für die Welt“. Die Frage ist, wie Deutschland sich im anstehenden globalen Wettstreit schlagen wird.

Zwischen den Jahren 2023 und 2029 sei zu erwarten, dass angekündigte Produktionsverlagerungen – etwa von Audi oder Ford – rund 100.000 Arbeitsplätze in Deutschland betreffen werden und einen Rückgang des BIP um 0,6 Prozentpunkte nach sich ziehen werden, so eine aktuelle Berylls-Studie. Betroffen von der Abwanderung seien jedoch auch vorgelagerte Prozessschritte in der hiesigen Zuliefererindustrie, so dass ein weiterer Abfall des BIP drohe. Einziger Trost für den Standort Deutschland sei aktuell lediglich, dass es sich viele Zulieferer aufgrund aktuell schwacher Wirtschaftszahlen kaum leisten könnten, Werke im Ausland neu zu errichten.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) beobachtet aktuell zwar nicht, dass Maschinenparks in Deutschland ab- und im Ausland wiederaufgebaut würden, dennoch sei die Bereitschaft für Neuinvestitionen außerhalb Deutschlands deutlich ausgeprägter. Neben niedrigeren Energie-, Lohn- oder Logistikkosten seien auch steuerliche Anreize ausschlaggebend für die Standortwahl.  

Deutsche Lohnkosten sind fünfmal höher als in China

„In unseren Zahlen gehen wir von vier- bis fünffachen Stundenlöhnen in Deutschland gegenüber einem gemittelten Wert für China aus. Das ist in meinen Augen eine konservative Einschätzung", verdeutlicht Berylls-Experte Heiko Weber. "Üblicherweise werden Bruttomonatslöhne verglichen, allerdings ist zu beachten, dass die Arbeitszeiten je Monat unterschiedlich sind. Für unsere Betrachtung legen wir 40 Arbeitsstunden pro Woche in der Produktion zugrunde. Chinesische Arbeiter haben aber wesentlich weniger Urlaubstage im Jahr als die deutschen Angestellten. Offiziell sind es fünf bis zehn Tage pro Jahr, vertragliche Einzelregelungen können davon allerdings erheblich abweichen.“ Die Strategieberatung sieht noch andere Gefahren, wenn es um die Fertigung von Fahrzeugen geht. Laut Berylls lag der Energiekostenanteil pro Fahrzeug in Europa im Jahr 2022 bei etwa 800 Euro. Auch wenn sich die Lage auf dem Energiesektor aktuell etwas entspannt, bleibt das Niveau dieses Kostenfaktors hoch und erhöht damit den Standortnachteil der deutschen Autobauer.

Energiekosten haben sich mehr als verdoppelt

Der Vergleich mit dem Jahr 2021, als pro Fahrzeug im Durchschnitt nur 300 Euro angefallen sind, macht die gestiegene finanzielle Belastung deutlich, da hierzulande die Energiekosten zu den höchsten in Europa gehören. Zumal die Werte für die USA oder China stets weit darunter liegen. „Das Jahr 2022 markiert einen Zeitenwechsel im Bereich der Energiekosten für die Automobilindustrie“, erklärt Berylls-Energieexperte Alexander Timmer und unterfüttert seine These gleich mit einem Beispiel, dessen Zahlen wenig erfreulich sind: In Spitzenzeiten lag der Preisunterschied für eine Megawattstunde Strom zwischen den USA und Europa bei unglaublichen 800 Euro. Aktuell haben sich die Zahlen wieder angenähert, allerdings ist die MWh in den USA immer noch zwischen 200 und 300 Euro günstiger als in Europa. Das wirkt sich auf den Ertrag pro Fahrzeug signifikant aus.

Eine Umfrage des Verbands der deutschen Automobilindustrie zeigt die Auswirkungen dieser Parameter. Demzufolge halten neun von zehn Unternehmen den Standort Deutschland derzeit international für nicht konkurrenzfähig. Die Antworten der 116 befragten Unternehmen malen ein düsteres Bild: Wollten im September 2022 noch 45 Prozent ihre Investitionen verschieben, sind es derzeit nur noch 28 Prozent. Allerdings steigt der Anteil der Unternehmen, die ihre Investitionen ins Ausland verlagern oder diese gänzlich streichen wollen: 28 Prozent wollen das Geld anderen Märkten anlegen, das sind sechs Prozent mehr als im September des vergangenen Jahres, 14 Prozent streichen die Investitionen ganz (September 2022: neun Prozent). Und wie schaut es mit Investitionen in Deutschland aus? Das planen nur zwei Prozent. Ein verheerender Wert.

Auch kleinere Zulieferer könnten bald abwandern

Laut den Zulieferern und dem automobilen Mittelstand, stellen derzeit die hohen Strompreise sowie Arbeits- und Fachkräftemangel die größten Herausforderungen dar. Die Konsequenz ist fatal: Einige Unternehmen planen die Investitionsverlagerung ins Ausland. Damit fallen vor allem im ländlichen Raum, wo viele der Tier-III- und -IV-Zulieferer sitzen, zahlreiche Arbeitsplätze weg. Das sind schlechte Nachrichten für den hiesigen Arbeitsmarkt. Denn das Rückgrat der deutschen Automobilindustrie besteht nicht nur aus den großen Zulieferern wie Bosch, Continental oder ZF, sondern eben auch aus den nachgelagerten Gliedern der Produktionskette. Wenn es in diesen Bereichen an fachlicher Expertise mangelt, Teile zu spät oder nur in unzureichender Qualität produziert werden, stockt das komplexe Uhrwerk der deutschen Autobauer.

„Immer mehr Unternehmen betrachten den Standort Deutschland als international nicht wettbewerbsfähig, das ist kein gutes Zeugnis für die deutsche Industriepolitik. Das Ergebnis zeigt einmal mehr, dass wir dringend ein ambitioniertes Standortprogramm brauchen: weniger Bürokratie, mehr Handelsabkommen, ein konkurrenzfähiges Steuersystem, einfachere und schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren", schlägt die VDA-Präsidentin Hildegard Müller Alarm. "Darüber hinaus muss unsere Energie- und Rohstoffversorgung mit internationalen Partnerschaften abgesichert werden, wenn wir Deutschland und Europa unabhängiger machen wollen. Bei all dem braucht die Politik mehr Tempo und Entschlossenheit, sonst drohen wir international zunehmend den Anschluss zu verlieren.“ Denn wer einmal das Land verlassen hat, wird nur schwer wieder zurückkommen.

Autoindustrie fordert neues Handelsabkommen mit USA

Angesichts milliardenschwerer Förderungen in den Vereinigten Staaten dringt die deutsche Autoindustrie auf schnelle Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA. Die ursprünglich zwischen der EU und den USA angestrebte Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft, bekannt unter dem Kürzel TTIP, war gescheitert. "TTIP war eine Chance, eine verpasste Chance", sagte VDA-Präsidentin Hildegard Müller den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Wir müssen deshalb schnell über neue Abkommen mit den USA sprechen."

 

Mit dem sogenannten Inflation Reduction Act (IRA) betreibe die USA eine "echte Ansiedlungspolitik", die sich die Autoindustrie auch für Europa wünschen würde, sagte Müller. In Europa setze man dagegen auf mehr Regulierung. Die VDA-Präsidentin forderte ein engagiertes Bürokratie-Abbauprogramm. "Es geht nicht um weitere Subventionen, sondern um echte Standortverbesserungen." Der Inflation Reduction Act (IRA) in den USA ist ein Gesetz, das auch hohe Steueranreize für Elektroautos und erneuerbare Energien vorsieht. Das auf zehn Jahre angesetzte US-Subventionspaket hat ein Volumen von 370 Milliarden Dollar (aktuell 346 Mrd Euro). Die EU-Staaten befürchten, dass das Programm IRA den USA einen Wettbewerbsvorteil bei Investitionen verschaffen könnte.

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dpa