Stephan Ellenrieder, PTC

Stephan Ellenrieder: Existierende Legacy-Systeme müssen integrierbar sein. (Bild: PTC)

Für Unternehmen in der Automobilindustrie stellt sich nicht mehr die Frage, ob sie mit Big Data arbeiten wollen, sondern wie sie Daten aus Entwicklung und Produktion sinnvoll zusammenbringen. Wo sehen Sie systemseitig die größten Herausforderungen in der Praxis?
Die Integration der Prozess- und Systemwelten erfordert unverändert viel Aufmerksamkeit. Oftmals ist bei den Herstellern eine durchgängige Zusammenarbeit von der Entwicklung über die Produktion bis hinein in den Servicebereich noch nicht gegeben. Es gibt zu viele Systeme – geschuldet einer historisch gewachsenen Legacy-Welt, einem weit verbreiteten Best-of-Breed-Ansatz und der Tatsache, dass die einzelnen Lösungen einfach nicht über die integrative Funktionalität verfügen, die heute gewünscht und tatsächlich erforderlich ist. Der Trend geht eindeutig zu offenen Architekuren, bei denen der greifbare Mehrwert auf einer abstrakteren Systemebene entsteht. Bei PTC sprechen wir von einem koordinierten Zusammenspiel der drei „Ps“ – People, Process, Product.

Damit der Wandel in Richtung Elektromobilität gelingt, müssen Produktionskonzepte und Lieferketten flexibilisiert werden. Welche Rolle spielen situationsspezifische und intelligente Datenanalysen?
OEMs müssen heute jederzeit in der Lage sein, auf Basis absolut valider Datenpunkte essenzielle Was-wäre-wenn-Analysen durchzuführen. Nur dann können sie vorab erkennen, welche Auswirkungen es hat, wenn sie beispielsweise die Produktion eines Verbrennermodells in China im laufenden Betrieb flexibel durch ein neues Elektrofahrzeug ersetzen. Systemseitig und technologisch ist es durchaus möglich, solche strategisch relevanten Entscheidungen für das Produktionsnetzwerk abzusichern. Globale Marktentwicklungen und die aktuell hohe Volatilität erfordern es ja gerade zu, diesen Schritt zu gehen – viele Unternehmen sind bereit dazu und stellen sich entsprechend auf. Wir sehen neue Ansätze in der Fertigung und mehr Kooperationen in Ökosystemen, was allerdings auch zu mehr Komplexität führen wird. Umso wichtiger, Produktionsstatus und -konditionen in Echtzeit überprüfen zu können. Vor allen das Thema Nachverfolgbarkeit entwickelt sich zu einer kritischen Schlüsselkompetenz.

Pressenstraße Skoda Mlada Boleslav
Škoda setzt auf Smart Maintenance: Im neuen Presswerk in Mladá Boleslav halten digitale Zwillinge und Augmented Reality die Anlagen am Laufen. (Bild: Škoda Auto)

Aus Ihrer Erfahrung: Geht es OEMs im Augenblick verstärkt darum, einzelne Anlagen und die Produktion ihrer Fahrzeuge zu überwachen? Oder wollen Sie eher prozessrelevante Zusammenhänge durchgängig darstellen?
Die Ansätze sind unterschiedlich. Aus unserer Erfahrung wissen wir, wie wichtig es ist, systemseitig nicht in Einbahnstraßen zu denken und sich nicht Wahlmöglichkeiten und Flexibilität zu verbauen. Existierende Legacy-Systeme müssen integrierbar sein. Und egal, ob Großtanker oder Schnellboot – die Qualität jeder IT-Lösung sollte daran gemessen werden, welchen konkreten Mehrwert sie bringt. Fakt ist nun einmal: Die Ära großer ERP- und PLM-Implementierungen, die sich oft über viele Jahre hinweg gezogen haben, ist vorbei. Dafür dreht sich die Welt heute viel zu schnell und niemand kann vorhersagen, wie die großen Trends Connected, Autonomous, Shared und Electric die Prioritäten in Entwicklung und Produktion noch verschieben werden.

Škoda Auto hat am tschechischen Hauptsitz Mladá Boleslav ein umfassendes Smart-Maintanance-Konzept realisiert. Welche Bedeutung kommen dabei Augmented Reality und Digital Twin zu?
Škoda hatte den Anspruch, einen digitalen roten Faden durch die Instandhaltung in Mladá Boleslav zu legen und einen umfassenden 360-Grad-Blick über alle Aktivitäten rund um die Fertigung zu gewinnen. Dem Konzept eines digitalen Zwillings kam von Anfang an große Bedeutung zu – nur mit ihm war es möglich, Planung und Realität abgleichen zu können, zum Beispiel beim Presswerk. Augmented Reality nimmt bei der Visualisierung eine tragende Rolle ein. Die Instandhalter können den Betriebszustand heute remote auf ihren Tablet-Computern überwachen und Störungen zielgerichtet in 3D-Modellen analysieren. Im Einsatz ist unsere Konnektivitätsplattform Kepware, die IIoT-Plattform PTC ThingWorx sowie die Augmented-Reality-Lösung Vuforia.

Wie bekommen Hersteller und Zulieferer die voranschreitende Produktindividualisierung und die damit einhergehende Komplexität in den Griff?
Es gibt keinen Königsweg, aber hilfreiche Best Practices, die Unternehmen durchaus aufzeigen, wie sie mit der vorhandenen Komplexität umgehen können. Intelligente, vernetzte Produkte machen es heute erforderlich, dass Hersteller mechanische und elektrische Komponenten optimal mit der nativen Software abstimmen. Schwerfällige, alte Prozesse und veraltete Technologien bieten nur mangelhafte Transparenz und erfordern oft doppelte Eingaben – ein Umstand, den PTC mit der neuen Version der PLM-Plattform Windchill aktiv angeht.

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