Die roboterbasierte Automatisierung hat in der Automobilindustrie Prioritätenstatus. Laut der International Federation of Robotics (IFR) beschäftigt die Automotive-Branche in ihren Fabriken rund eine Million Robotereinheiten weltweit und hat damit in diesem Jahr bereits einen neuen Rekord aufgestellt. Der deutsche Fahrzeugbau rangiert im IFR-Ranking hinter Südkorea und vor den USA und Japan auf Rang zwei in puncto Roboterdichte – ein Schlüsselindikator für den aktuellen Automatisierungsgrad. „Heute spielen Roboter beim Übergang von Verbrennermotoren zum E-Auto eine entscheidende Rolle. Die Automatisierung mit Robotern hilft den Herstellern dabei, grundlegende Veränderungen bei den seit langer Zeit etablierten Fertigungsmethoden und -technologien zu bewältigen,“ erläutert Marina Bill als Präsidentin der International Federation of Robotics.
Roboterdichte als Indikator für den Automatisierungsgrad
Es muss nicht gleich ein humanoider Roboter wie RoboThespian sein, der dank Fluidic Muscle und Piezoventilen mit ganz natürlich anmutenden Bewegungen durch die Werkshalle wandelt und mit hoher Trefferquote auf jede Frage die passende Antwort findet. Laut Roboterhersteller sind die heutigen Standardbaureihen bereits so weit ausgereift, dass sie dank flexibler Automatisierungskomponenten und intelligenter Software sehr effizient den Produktionstakt im Fahrzeugbau vorantreiben – auch bei engen Kostenbudgets.
Ein Beispiel sind kollaborierende Industrieroboter (Cobots), die auch außerhalb von Schutzzäunen oder abgeschirmten Bereichen monotone oder gefährliche Aufgaben übernehmen. Sowohl spezialisierte Hersteller wie Universal Robots als auch große Robotik-Companys wie Kuka oder ABB verweisen auf das enorme Automatisierungspotenzial, das in diesen Robotersystemen steckt – von der Montage von Fahrzeugkomponenten bis zur Qualitätssicherung.
Die kollaborative Modellreihe GoFa beispielsweise ist mit einer vorinstallierten Safe-Move-Software ausgestattet, die je nach Risikoeinstufung eine sichere Interaktion zwischen Mensch und Maschine ermöglicht. Um das Aufgabenspektrum im Karosseriebau und in der Fahrzeugmontage zu erweitern, hat der Hersteller beim neuesten Modell nicht nur die Traglast auf zwölf Kilogramm erhöht, sondern auch die Verfahrgeschwindigkeit auf bis zu zwei Meter je Sekunde hochgesetzt. „Wir haben unser Cobot-Portfolio aufgebaut, um der steigenden Nachfrage nach sicheren und benutzerfreundlichen Automatisierungslösungen zu begegnen und Unternehmen dabei zu helfen, Personallücken zu schließen“, betont Marc Segura, Leiter der Robotics-Division von ABB. Die direkt in der Robotersteuerung integrierten Sicherheitsfunktionen lassen sich laut Hersteller auch über eine App per Tablet oder Handy konfigurieren.
Elektromobilität verlangt hohen Automatisierungsgrad
Während der Karosseriebau längst zur Domäne exakt und schnell zupackender Großroboter gehört, sind auch im aufstrebenden Bereich der Batterieproduktion spezialisierte Robotersysteme auf dem Vormarsch. Vor drei Jahren suchte Automobilzulieferer Webasto den Einstieg in das Batteriegeschäft und fand im Augsburger Roboterspezialisten Kuka den passenden Partner. Das Ziel: eine skalierbare Multi-Product-Line für unterschiedliche Batterietypen. Im bayerischen Werk Schierling verlassen bereits fertig assemblierte Batteriepacks für Nutzfahrzeuge (MAN) die Halle, langsam füllen sich auch die Auftragsbücher mit Orders von Volkswagen und anderen OEMs. Eigenen Angaben zufolge ist es gelungen, die zahlreichen Fertigungsschritte vom Kitting der benötigten Komponenten über das automatisierte Auftragen der Wärmeleitpaste, das Verbinden der Zellmodule und das Montieren des Batteriegehäuses bis zum End-of-Line-Test des fertigen Batteriepacks in einer Fertigungslinie mit hohem Automatisierungsgrad zu verketten – produktionstechnisch eine lohnende Investition. In den kommenden Jahren will der Vorstand weitere 90 Millionen Euro in den Aus- und Weiterbau des Werks lockermachen.
Gespür ist bei der Verbindungstechnik und in der Montage gefragt
Seit zehn Jahren treibt der Automatisierungsspezialist aus Augsburg seine Expertise in Sachen Fertigungstransformation im Fahrzeugbau voran. Das Kontaktieren von Hochvoltbatterien ist eine heikle Sache, denn solche Batteriesysteme erreichen Ausgangsspannungen zwischen 400 und 800 Volt. Um Sicherheitsrisiken bei der herkömmlichen Verbindung mittels Stromschienen zu senken, hat sich die Allgäuer Liebherr-Verzahntechnik mit Verbindungsspezialist Kostal Kontakt zusammengetan und mithilfe von Robotern einen innovativen Prozess zur automatisierten Montage für steckbare Modulverbinder mit flexiblen Leitungen im Hochvoltbereich entwickelt. Flexible Modulverbinder verhindern den unbeabsichtigten Kontakt mit stromführenden Teilen.
Bislang galt die Montage von biegeschlaffen Kabeln als schwer automatisierbar. Die Krux liegt darin, die Verbinder trotz ihrer hohen Elastizität sicher und im vorgegebenen Takt auf die Zellmodule zu stecken. Den Ausweg fanden die Entwickler mit zwei Kuka-Robotern, die dank kompakter Bauweise mit Kabelführung durch die Handachse und großer Reichweite sowie passender Softwareausstattung für synchronisiertes Zusammenarbeiten die Anforderungen eines serienreifen Einsatzes erfüllten.
Wie sehr die Hersteller von Produktionstechnik auf die roboterbasierte Automatisierungskarte setzen, zeigt der japanische Technikkonzern Fanuc. Noch in diesem Jahr soll für den Ausbau der E-Mobilität eine komplette Produktionszelle an den Start gehen. Die vollautomatische Minifabrik beherbergt zwei hauseigene Bearbeitungszentren, die von einem Roboter mit Material beschickt werden. An- und Ablieferung von Roh- und Fertigteilpaletten übernimmt ein AGV (Automated Guided Vehicle), hinzu kommen zwei zuschaltbare Drahterodiermaschinen. Für die Qualitätskontrolle integriert der japanische Maschinen- und Anlagenbauer ein Koordinatenmessgerät für die Teilevermessung sowie Sensor- und Konnektivitätstechnologie, um beispielsweise Messwerte an die Bearbeitungszentren in Echtzeit übermitteln zu können. Großes Interesse zeigt bereits der Volkswagen-Konzern, der mehrere Chargen von Robotern für das Werk in Bratislava sowie für das Stammwerk in Wolfsburg vorsieht. Auch Audi in Ingolstadt will seine Batteriemontage mit Fanuc-Robotern bestücken.
Die menschenleere Fabrik bleibt Science-Fiction
„Pauschal lässt sich die Frage nach dem Automatisierungsgrad aber nicht beantworten, da dies immer von den vorhandenen Gegebenheiten abhängt. Es ist auch nicht immer sinnvoll, alles bis zum allerletzten Prozessschritt zu automatisieren“, sagt Jörg Reger, Geschäftsführer bei ABB Robotics und zuständig für die Automotive-Sparte, im Interview mit Automobil Produktion. Eine menschenleere Light-out-Fabrik ist derzeit sicherlich mehr Science-Fiction als Realität. In der Praxis geht es um effiziente Automatisierungsschritte in den Gewerken. Dabei verlassen sich Produktionsplaner auf nüchterne Parameter wie Anschaffungskosten, Integrierbarkeit, Amortisationszeiten und Return on Investment (ROI). Roboterunterstützte Automatisierung und Mensch-Roboter-Kollaboration verändern zwar den Anteil von manuellen Arbeiten, machen sie aber nicht überflüssig. Eindeutige Pluspunkte hinsichtlich Produktivität und Qualität sammeln programmierbare und vernetzte Maschinen bei ergonomisch belastenden Routinearbeiten, beim Handling von schweren Lasten oder bei gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen.
Das lässt sich beispielsweise am Standort Leipzig der BMW-Group-Robotik ablesen. Das Werk ist zugleich eine Referenzumgebung für neue Robotersysteme und Applikationen. Mittels eines UR10-Cobots von Universal Robots entwickelten dort Automatisierungsspezialisten einen sogenannten SortBot, der unterschiedliche Behälterarten auf einer Sammelpalette sortiert und anschließend stapelt. Das Besondere am SortBot ist, dass er mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) und einer 3D-Kamera in der Lage ist, zwei verschiedene Behälterarten zu unterscheiden und diese mithilfe eines Vakuum-Sauggreifers entsprechend zu sortieren. Selbst verschmutzte oder beschädigte Behälter, die auf einem Förderband in die Sichtweite des Roboters kommen, führen zu keinerlei Fehlgriffen. Laut Hersteller steht bereits die zweite Generation an KI-gestützten Logistikrobotern in den Startlöchern, die noch mehr Behältertypen unterscheiden können und schrittweise im gesamten BMW-Group-Logistik-Netzwerk das Behälterhandling übernehmen sollen.