Ein Digital Twin kann immense Produktivitätsgewinne bedeuten

Ein Digital Twin kann immense Produktivitätsgewinne bedeuten. Doch wer bei der Implementierung nicht genau aufpasst, riskiert hohe Kosten. (Bild: Adobe Stock / Gorodenkoff)

Was ist ein Digital Twin?

Der Begriff "Digital Twin" bezieht sich auf eine virtuelle Kopie eines realen Systems, Produkts oder Prozesses, die in der Regel durch eine vorangegangene Datenanalyse erstellt wird. Er nutzt Daten, die in Echtzeit von einem physischen System gesammelt werden, um ein digitales Modell dieses Systems zu erstellen und zu aktualisieren. Ein digitaler Zwilling kann verwendet werden, um verschiedene Szenarien zu testen, Prozesse zu optimieren und Entscheidungen zu treffen, bevor Änderungen am realen System vorgenommen werden.

Digital Twins sind nicht billig. Einem physischen Produktionsnetzwerk einen virtuellen Zwilling zur Seite zu stellen ist für OEMs und Zulieferer ein Millioneninvestment. Mindestens. Man sollte also schon genau überlegen, ob das Geld gut angelegt ist. Für wen lohnt sich ein Digital Twin (DT) in der Produktion und für wen nicht?

Wann lohnt sich ein Digital Twin?

„Die Investition in einen DT lohnt sich für Unternehmen in der Fertigung, die sich auf komplexere Prozesse und Anlagen verlassen müssen“, erklärt Jonas Schaub, Vorstandsmitglied der Elunic AG, „Speziell produzierende Unternehmen mit angebundenen Maschinen, die laufende Prozess- und Messwertdaten in Echtzeit auswerten sowie Produktionsprozesse optimieren möchten, sind die ideale Adressaten.“ Kurzum: Autoindustrie und Digital Twins sind ein Dreamteam. Mit Ausnahme kleinerer Zulieferer mit eher einfachen Abläufen.

Allerdings: Wer einfach breitflächig loslegt, könnte viel Geld verbrennen. Am Anfang muss immer eine Ist-Analyse stehen, aus der hervorgeht, wie gut Maschinen für diesen Schritt gerüstet, ob relevante Daten verfügbar und Mitarbeiter entsprechend qualifiziert sind. Santu Mandal, Business Unit Head, Relationship Incubation Group bei Tata Consultancy Services Deutschland, rät zur Priorisierung: „Der DT der relevantesten Maschine, die den entscheidendsten Einfluss auf den Produktionsprozess hat, kann zu einem erheblichen Produktivitätssprung führen. Daher sollte die Maschine beziehungsweise der Prozess unter Berücksichtigung der Gesamtprozessleistung sorgfältig ausgewählt werden.“

Grundlage für den Digital Twin ist eine IoT-Plattform

Idealerweise beginnt man mit einem Prototyp eines DT und skaliert dann, rät Christoph Certain, Solutions Consulting Director bei der Parametric Technology GmbH: „Für die meisten Unternehmen besteht darin die zentrale Herausforderung – zumal es sich in der Produktion um einen dynamischen Prozess handelt.“ Das Fundament einer Lösung, die nicht als Investitionsruine enden soll, ist, einen Datenstrom vom Produkt über den Shopfloor bis zur Fahrzeugnutzung aufzubauen, betont Certain. Diesen „digitalen Faden“ zu knüpfen gelinge nur über eine IoT-Plattform, die letztlich sämtliche Prozesse und Produkte erfasst, um diese digital spiegeln zu können. Mit einem Wort: Zunächst muss die Dateninfrastruktur auf Vordermann gebracht werden. Womit die grundlegende Investition benannt ist.

Was ist der Unterschied zwischen einer Simulation und einem Digital Twin?

Eine Simulation ist ein Modell oder eine Nachbildung eines realen oder hypothetischen Systems, das bestimmte Aspekte oder Verhaltensweisen des Systems imitiert. Im Gegensatz dazu ist ein digitaler Zwilling eine digitale Kopie eines realen physischen Objekts oder Systems, die dessen Funktionen, Prozesse und Daten reproduziert. Der Hauptunterschied besteht darin, dass eine Simulation eine Abstraktion eines Systems darstellt, während ein digitaler Zwilling eine exakte digitale Replikation eines realen Systems ist.

So wichtig ist der Digital Twin für die autonome Fabrik

Wird diese Basis geschaffen, können Anlagenbetriebsmanager, Instandhaltungsleiter und Qualitätsbeauftragte bald die Früchte einfahren: „Ein DT verbessert die wichtigsten Schlüsselkennzahlen erheblich“, betont Mandal. Etwa die Gesamtanlageneffektivität (Overall Equipment Effectiveness, OEE), den First-Time Yield (FTY) oder die mittlere Betriebsdauer zwischen Ausfällen (Mean Time Between Failures, MTBF). Bessere Anlagenverfügbarkeit, geringere Erhaltungskosten, kürzere Zykluszeiten, höhere Qualität und Produktivität zahlen schließlich direkt auf die Profitabilität eines Unternehmens ein.

„Darüber hinaus verbessert ein DT indirekt die Bedienerproduktivität, die Mitarbeiterzufriedenheit und reduziert sicherheitsrelevante Vorfälle, die nicht quantifiziert oder direkt auf DT zurückgeführt werden können“, ergänzt Mandal. Der Schritt verändere herkömmliche Arbeitsweisen und ebene den Weg zur vielbeschworenen autonomen Fabrik.

Häufige Fehler bei der Implementierung des Digital Twin

Fehler Nummer 1: Der Vorstand nimmt einmal Geld in die Hand und glaubt, der Fall sei damit erledigt. Ist er nicht: „Ein Digital Twin ist kein Projekt, sondern ein Prozess“, stellt Schaub klar und nennt weitere Fehler: Angefangen beim Erfinden einer eigenen Formatdefinition (statt auf Standards wie die Verwaltungsschale Asset Administration Shell zu setzen) über fehlende Prozess-Expertise bis zu unzureichender Datenintegrität, -analyse und -sicherheit. „Überdies wird ein DT nicht die gewünschten Effekte erzielen können, wenn sein Nutzen nicht klar definiert worden ist und man weiß, welche Daten dafür notwendig sind“, sagt Certain. Nicht zuletzt müssen Mitarbeiter in den Prozess einbezogen und qualifiziert werden.

Große Datenmengen sind essenziell für den Digital Twin

„Ein DT sollte nicht allein als Technologielösung betrachtet werden. Die durch Daten gestützte Fachexpertise darf bei der Entwicklung der Lösung nicht außer Acht gelassen werden“, benennt Mandal ein weiteres Missverständnis. Und er warnt vor überzogenen Erwartungen, sonst droht Frust, bevor die Früchte eingefahren werden können: „Die Genauigkeit der Machine-Learning-Modelle ist im ersten Versuch nicht sehr hoch. Man benötigt große Datenmengen mit genügend Fehlerfällen, um ein Modell zu trainieren.“ Weitere Warnung: Anfangs keinen zu breiten Anwendungsbereich wählen, was zu schnell zu komplex werden kann. „Immer in kleinen Schritten vorgehen“, mahnt Mandal.

Wie führt man den Digital Twin sauber ein?

Was also sind die Schlüssel zu einer erfolgreichen Implementierung? „Ein guter DT sollte die Leistungsfähigkeit von Daten, Domänen- und Wissensmodellierung sowie Schlussfolgerungen vereinen, um ein System zu schaffen, das mit der Zeit lernt“, sagt Mandal. Was Zeit und Konzentration erfordere. „Einige der Schlüsselfaktoren beim Aufbau einer Lösung sind eine gute funktionale Architektur, gefolgt von einer hohen Datenqualität, einer Fülle von historischen Fehlerdaten und einer umfassenden Wissensdatenbank“, steckt der Experte die Basics ab. Dies müsse durch eine gute Technologiearchitektur unterstützt werden, die verschiedene Elemente orchestriert und eine leicht verständliche Visualisierung bietet, so dass auch Laien vom DT profitieren können.

Welche Kosten entstehen beim Digital Twin?

Die Antwort auf die Frage, die Budgetverantwortliche am meisten interessiert, ist die schwierigste: „Es ist schwer, eine repräsentative Größenordnung oder Faustregel für die Investitionssumme eines Digital Twin zu bestimmen, da die Kosten von vielen Faktoren abhängen“, bescheidet Schaub. Dazu zählen unter anderem Größe und Komplexität des Produktionsbetriebs, Umfang und Art der Daten, die gesammelt und analysiert werden müssen, Stand der Maschinenanbindung (ist etwa ein Retrofit nötig?) oder die Wahl der Tools, die verwendet werden, um die Lösung umzusetzen. Die initiale Phase eines DT-Projektes könne zwischen einem und drei Monate dauern. Umfangreiche Projekte mehrere Jahre.

Klar, der Aufwand ist hoch. Doch er lohnt sich auf Dauer, ist Certrain überzeugt: „Ein DT schafft eine tiefe Transparenz, ohne die vorausschauende Wartung nicht möglich ist, Fabriken besser ausgelastet werden sowie Sicherheitsanforderungen an Prozesse und Produkte verlässlich erfüllt werden können.“

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