Schon durch das Nachrüsten bestehender Komponenten und die Integration vernetzungsfähiger Anlagen lassen sich Fertigungsstraßen auf den Stand der Dinge bringen.

Schon softwareseitig - durch das Nachrüsten bestehender Komponenten und die Integration vernetzungsfähiger Anlagen - lassen sich Fertigungsstraßen auf den Stand der Dinge bringen. (Bild: Kuka)

Deutschland, und speziell die Automobilindustrie, steht nicht schlecht da: Europaweit ist hierzulande die Automatisierung am weitesten gediehen. Weltweit findet sich die Bundesrepublik auf dem dritten Platz, meldet die International Federation of Robotics (IFR). Allerdings: Das gute Ranking darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade bei kleinen und mittleren Zulieferern großer Nachholbedarf besteht und selbst OEMs noch stärker ihre Anlagen modernisieren – das heißt meist: digitalisieren. Kurzum ein Muss, um sich Wettbewerbsvorteile zu sichern.

Steht also eine Welle aufwendiger und kostspieliger Werksüberholungen an? Nein, das muss nicht sein. Schon softwareseitig durch das Nachrüsten bestehender Komponenten und die Integration vernetzungsfähiger Anlagen lassen sich Fertigungsstraßen auf den Stand der Dinge bringen. „Das lässt sich mit einem überschaubaren, verfügbaren Handwerkszeug machen“, sagt Andreas Faath, Abteilungsleiter Machine Information Interoperability beim VDMA. Einerseits weil in den letzten Jahren die Kosten für Sensorik extrem gefallen seien, sich Maschinen also damit günstig bestücken lassen. Andererseits da sich Daten gut erheben und analysieren ließen, was zu mehr Transparenz in der Produktion führe.

"Dabei kommt es darauf an, unternehmensindividuell die relevanten Aspekte von Industrie 4.0 zu identifizieren und in kleinen Schritten umzusetzen“, sagt Faath, „Ein wichtiges Fundament ist dabei, gezielt standardisierte Daten auf dem Shopfloor zu erheben – etwa über Betriebszustände.“ Für den VDMA sei die Schnittstellenstandardisierung auf Basis der Technologie OPC UA entscheidend: „Mehr als 600 Unternehmen inklusive der Automobileindustrie arbeiten an der sogenannten Weltsprache der Produktion“, betont er.

Industrie 4.0 braucht eine gemeinsame Sprache

Kurzum: Digitales Retrofit ist möglich. „Eine gute Basis hierfür ist, wenn in einem Werk der OPC-UA-Kommunikationsstandard etabliert ist“, betont Stefan Bode, Business Transformation Manager bei dem Industrie-4.0-Spezialisten PTC. Dann sei es möglich, relativ einfach alte und neue Maschinen, Steuerungen, Sensorik, Aktorik, Mechanik und Hydraulik zu vernetzen. Selbst wenn der Maschinenpark „unterschiedliche Protokolle und Dialekte spricht“, wie Bode sagt, ließen sich diese softwareseitig mit einem OPC-Server – sozusagen einer Art „Treiber“ wie einst bei Druckern – miteinander verbinden und neue Komponenten wie Fahrerlose Transportsysteme (FTS) problemlos einbinden.

Das ist auch der Grund, weshalb Robotikanbieter und Anlagenbauer wie Kuka auf den genormten Industrie-4.0-Standard OPC UA setzen. „Grundsätzlich ist heute jeder Kuka-Roboter digitalisierbar“, sagt Christian Liedtke, Head of Strategic Alliances und Experte für digitale Transformation bei Kuka. „Je nach Bedarf lassen sich alle relevanten Daten, etwa zu Betriebszuständen, Verschleiß und nötigen Services auslesen“. Womit die Roboter ohne großen Aufwand schon heute vorausschauend gewartet werden könnten.

IIoT-Plattform ist Fundament einer Smart Factory

Allerdings hält er es für keine gute Idee, moderne Maschinen und Roboter auf alten Steuerungen und Schnittstellen laufen zu lassen: „Je älter jedoch Systeme sind, desto aufwändiger wäre eine Integration in die digitale Produktion. Außerdem könnte diese fehleranfälliger werden, was das Ausfallrisiko erhöht“, betont Liedtke. Fehlt älteren Maschinen die Konnektivität komplett, wird mit ihnen der Weg zur Smart Factory allerdings nicht zu gehen sein.

Eine IIoT-Plattform ist das Fundament für eine intelligente Fabrik, in der auch alte Maschinen weiter ihren Dienst tun können, weil diese dann miteinander kommunizieren können. So werden von der Remotebedienung über vernetztes kollaboratives Arbeiten bis zur vorausschauenden Wartung alle Möglichkeiten, die eine digitalisierte Produktion eröffnet, machbar. „Mitunter genügt es, Sensoren Beschleunigungsmesser oder Thermostate nachzurüsten, die relevante Maschinendaten erfassen, um die Performance der Anlagen zu überwachen“, berichtet Jörg Thomsen, IoT-Experte von PTC. Hakt es bei den Rüstzeiten? Funktionieren einzelne Tools nicht? Beeinträchtigt Sonneneinstrahlung optische Sensoren? Alles Störfaktoren, die durch ein Digital Performance Management aufgedeckt und beseitigt werden können.

Datenintegration vom Shopfloor zum Topfloor

So hat Knorr-Bremse eine IIoT-Plattform eingeführt, mit der das Unternehmen nun in seinen großen Maschinenpark mit älteren und neueren Modellen verschiedener Hersteller an diversen Produktionsstandorten Echtzeiteinblicke erhält und so, wenn nötig, nachsteuern kann, um die Gesamtanlageneffektivität zu verbessern. Mit einer durchgängigen Datenintegration vom Shopfloor zum Topfloor können ungeachtet eines bunt gewürfelten Maschinenparks Effizienz, Robustheit sowie Nachhaltigkeit verbessert werden. Und, das ist die Kür, aus den Daten Ideen für neue Geschäftsmodelle, zumindest aber Optimierungen, gewonnen werden.

Der Schlüssel hierzu sind offene Plattformen. „Die industrielle Automatisierung wird immer stärker durch Software dominiert“, so Steffen Winkler von der Geschäftseinheit Automation & Electrification Solutions bei Bosch Rexroth. „Es braucht deshalb Automatisierungslösungen, die in die zunehmend digitalisierte Industrie passen. Sie sollten daher unter anderem verschiedene Programmiersprachen unterstützen, Systeme zur Datenübertragung bieten und eine einfache, aber sichere Datenverbindung ermöglichen.“ Dabei gilt: Je hochfrequenter die Daten tickern und je sicherheitskritischer diese sind, desto eher sollten sie direkt im Werk und nicht in der Cloud verarbeitet werden. Heißt: Spätestens dann muss hardwareseitig nachgerüstet werden.

Und das laufe inzwischen auch bei einem gemischten Anlagenpark mit älteren Modellen zunehmend virtuell via Digital Twin, wie Florian Groschup, Experte für die Digitalisierung von Bestandsanlagen der Anlagenbausparte Kuka Systems, berichtet. Diese Simulation am Rechner hilft mittlerweile auch, um mit Chipmangel und löchrigen Lieferketten umzugehen: „Es lassen sich bei einem Teilemangel recht schnell Szenarien simulieren, wie man etwa durch Umverteilung, Vorziehen einer Produktion oder den Zugriff auf Lagerbestände bei Lieferanten Aufträge möglichst gut erfüllen kann“, erklärt Groschup. „Mit Zettel, Stift und Telefon ist dies nicht zu machen.“ Auch so hilft die Digitalisierung bestehenden Fabriken auf die Sprünge.

Warum Retrofit nicht nur Kosten spart

Für die Vernetzung älterer Maschinen mit neuen müssen unter Umständen keine allzu tiefgreifenden Maßnahmen ergriffen werden. Oft genügt es, Antriebs- und Steuerungstechnik samt Schnittstellen zu ersetzen. Im Vergleich zu einer Neuanschaffung können so Dreiviertel der Kosten eingespart werden – das zeigt unter anderem ein Projekt in dem Siemens-Werk für Elektromotoren in Bad Neustadt an der Saale.

„Kosten sind natürlich ein wichtiger Faktor“, sagt Andreas Faath, vom VDMA, „Noch entscheidender sind jedoch die Potenziale, die durch eine derartige Systemintegration gehoben werden können.“ Etwa, wenn die Produktivität, Qualität und Effizienz gesteigert würden und sich Wartungszyklen der Maschinen besser einstellen ließen. „Retrofit heißt auch Futurefit“, bringt Faath den Effekt auf den Punkt. „Wettbewerbsfähig zu bleiben, lässt sich eben nicht monetär beschreiben.“ Man sieht: Ungeachtet der industriellen Transformation müssen Bestandsmaschinen noch lange nicht zum alten Eisen.

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