So beschleunigt smartes Yard Management die Logistik / BMW in der Intralogistik

Fahrzeuge bewegen sich bei BMW eigenständig innerhalb der Logistikzonen und der Montage mithilfe einer Sensorik entlang der Fahrstrecken. (Bild: BMW)

Ein Verbrennungsmotor überquert in Europa auf seinem Weg zur Endmontage bis zu 15 Ländergrenzen und durchläuft dabei gut 100 Arbeitsschritte. Jeder beteiligte Lkw, der nicht rechtzeitig auf- oder abladen kann, bremst die Fertigung oder zwingt die Hersteller dazu, perspektivisch die Lagerhaltung auszuweiten. Abhilfe kann ein volldigitalisiertes Yard Management bringen: So lassen sich die Logistikprozesse zwischen der Ankunft eines Lkw am Werkstor und seiner Entladung an einer Rampe effizienter gestalten. „Oft ist zwar bekannt, an welchem Tag welche Fracht zu erwarten ist, aber wann genau, ist meist unklar, zumal es unterwegs durch Staus zu Verzögerungen kommen kann“, erläutert Matthias Wurst, Leiter Business Development Industrielogistik beim Aachener Optimierungsspezialisten Inform. Das hat einen Spagat zur Folge: Pförtner und Verlademeister müssen die jeweilige Lieferung rasch an eine freie Ladestelle auf dem Werksgelände vermitteln, zugleich müssen sie unproduktive Standzeiten möglichst vermeiden. „Mit Telefon und Excel-Tabelle fehlt jedoch häufig der Überblick, wo sich im Moment welcher Lkw mit welcher Fracht auf dem Werksgelände befindet“, so Wurst

Die OEMs sind in dieser Hinsicht unterschiedlich gut aufgestellt. Es gibt Hersteller, in denen alle oder die meisten Werke ein aktives Yard Management betreiben. Andere Hersteller oder einzelne Werke setzen noch stark auf Telefon und Excel-Tabellen. Bei den Zulieferern ist die Situation noch viel heterogener, was auch stark am Produkt liegt, das in einem Werk gefertigt wird. „Wer für seine Logistik nur eine Handvoll Lkw täglich braucht, für den lohnt sich eine Yard-Management-Software womöglich nicht“, sagt Wurst. „Aber bei großvolumigen Bauteilen, die entsprechend viele Lkw-Transporte erfordern, ändert sich die Situation rasch.“

Was muss Software für das Yard Management leisten?

In Inform-Manager Wursts Augen muss eine zeitgemäße Software für das Yard Management diverse Kriterien erfüllen: „Nötig ist ein Zeitfenstermanagement, das automatisch Slots vorschlägt, damit Spediteure über ein Webportal Lieferung oder Abholung buchen können. Hierzu sind auch Statusinformationen via GPS über den Verlauf der Lkw-Anfahrten nötig. Die Software muss zudem die Durchlaufreihenfolge – wer wartet wo, wer fährt direkt zur Ladestelle? – an die Gegebenheiten anpassen können, in Echtzeit.“ Eine App stelle schließlich allen Beteiligten der Liefer- und Produktionskette sämtliche relevanten Informationen zur Verfügung – mehrsprachig, um Verständigungsprobleme am Werkstor zu umgehen. 2020, also noch vor der Aufspaltung, hat Daimler zusammen mit der Daimler-Truck-Tochter Fleetboard Logistics Informs Software Syncrosupply für das Lkw-Werk in Wörth implementiert. Die verwendete App, die natürlich auf einem Smartphone läuft, integriert der OEM zusätzlich ins Multimedia-Cockpit des Lkw-Modells Actros.

Diese Updates brauchen die Werke der Autobauer

„Es gibt typische Hürden bei der Digitalisierung der Inbound-Logistik“, sagt Wolfgang Inninger vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, der das Projektzentrum Verkehr, Mobilität und Umwelt in Prien am Chiemsee leitet. „Vielen Speditionen fällt es zum Beispiel schwer einen lückenlosen digitalen Weg für den Meldeprozess zu etablieren, etwa über eine App.“ Kommt ein Fahrer eines Subunternehmers zum Beispiel aus der Ukraine, sei er womöglich auf sein privates Smartphone angewiesen und habe keinen Mobilfunkdatentarif in Deutschland. „Selbst die Haus- und Hofspeditionen der Werke, die sich leichter digital aufrüsten lassen, arbeiten immer wieder mit Subunternehmen zusammen.“

Aber auch in den Werken seien die Voraussetzungen nicht immer perfekt. „Da sind womöglich Tore oder Lieferstellen unklar benannt und Google Maps hilft auch oft nicht weiter, weil die Werke dort nicht detailliert erfasst sind.“ Hersteller, die ein digitalisiertes Yard Management betreiben wollten, müssten daher „das Werksgelände zunächst routing-fähig machen, und zwar ohne die Sicherheitsvorgaben des Werkschutzes zu unterlaufen“.

Mit Blick auf die Softwareseite erwartet Inform-Manager Wurst, dass künftig das werksübergreifende Yard Management an Bedeutung gewinnen wird. „Buchungen müssen sich dabei automatisch anpassen lassen – heute muss ein Spediteur seine Zeitfenster noch von Hand buchen.“ Allerdings sei hierfür eine wie auch immer geartete Plattform notwendig, die die Daten der Prozessbeteiligten zusammenführe. „Da stehen wir noch ganz am Anfang.“

Autonomes Fahren kann die Outbound-Logistik revolutionieren

Doch nicht nur der Lkw-Lieferverkehr ist Ansatzpunkt für ein verbessertes Yard Management. Seit einigen Jahren gibt es in der Branche auch die Idee, die Fähigkeiten des hergestellten Produkts besser in der Outbound-Logistik zu nutzen. Eine Idee: Durch automatisierte – besser: ferngesteuerte – Fahrten ließe sich der personelle Aufwand spürbar reduzieren, der nach der Endmontage anfällt.

So startete BMW im Sommer 2022 im Werk Dingolfing ein Pilotprojekt, um produzierte Fahrzeuge fahrerlos zwischen Montage und Logistikzone zu bewegen. Mit im Boot sind die beiden Start-ups Embotech, aus der Schweiz, und Seoul Robotics aus Südkorea. Das Prinzip: Das Telematiksteuergerät der Fahrzeuge empfängt per Mobilfunk Befehle, leitet diese fahrzeugintern weiter, interpretiert sie und führt sie aus. Die Steuerbefehle kommen von einem Algorithmus, der sie auf Basis einer HD-Karte des relevanten Areals und eines Umfeldmodells berechnet. Künstliche Intelligenz ist nicht im Spiel, die Berechnungen beruhen auf klassischer Heuristik. Die Fahrzeuge fahren blind, nutzen also nicht die eigene Sensorik. Vielmehr ist die Infrastruktur des Geländeabschnitts mit Sensorik ausgestattet, um Hindernisse und Menschen zu erkennen. Diese Umfelddaten berücksichtigt der Algorithmus ebenfalls bei der Berechnung der besten Fahrtroute.

Auch Ford probt in seinem Werk in Saarlouis mit ferngesteuerten Fahrzeugen in der Outbound-Logistik. Das Ausgangsszenario: Kommt ein Lkw, um Neufahrzeuge aufzunehmen, die in den Handel gehen, muss sie bislang der Lkw-Fahrer auf der Parkfläche ausfindig machen und einzeln zum Lkw lenken. In einem Projekt mit dem finnischen Technologiepartner Unikie werden dagegen sechs bis acht Fahrzeuge gleichzeitig ferngesteuert im Verbund zum Lkw bewegt. Auch in diesem Projekt gibt es eine HD-Karte des relevanten Areals und die Infrastruktur ist mit Sensorik aufgerüstet, die Fahrzeuge selbst sind blind.

„Egal, ob Inbound- oder Outbound-Logistik, keine der existierenden Hürden ist unüberwindlich“, sagt IML-Wissenschaftler Inninger, „und allein der zunehmende Fahrermangel erzeugt einen dauerhaften Handlungsdruck.“

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