Eine Frau prüft an einem Bildschirm die Qualität von Fahrzeugteilen.

Der Sorting Guide unterstützt Mitarbeiter mittels KI bei der Entnahme lasergeschnittener Blechbauteile. (Bild: Trumpf)

Jedes Kapitel in der Entstehungsgeschichte eines Fahrzeugs folgt detaillierten Regieanweisungen, an die sich alle Beteiligten halten müssen – kurzfristige Änderungen im Drehplan eingeschlossen. Kommt es auf dem Weg vom Presswerk über die Montage bis zum finalen Rollout zu Abweichungen von konstruktiven Vorgaben, entstehen Folgekosten bis hin zum Stillstand der gesamten Produktionslinie.

Kein Wunder, dass Qualitätssicherung in der Automobilfertigung einen hohen Stellenwert hat und technische Innovationen auf offene Ohren treffen. Davon profitieren computerbasierte Vision-Technologien, deren Leistungsniveau sich durch den kontinuierlichen Fortschritt bei Bildsensoren, Rechenleistung und Leistungsaufnahme sowie durch smarte Algorithmen und maschinelles Lernen enorm erhöht hat.

Automatisierte Prüfung von Schweißpunkten

In der Blechbearbeitung beispielsweise geht es um das Inline-Inspizieren von Schweißnähten. Im Windschatten der Schweißroboter prüfen leistungsstarke Laser-Profilsensoren, ob der maschinelle Blaumann vorschriftsmäßig Schweißpunkt oder Naht aufbringt. Bei hohen Taktgeschwindigkeiten ist das korrekte Erkennen einer Schweißraupenform keine triviale Angelegenheit. Während herkömmliche Profilsensoren bei der Umrissbeurteilung der Schweißnaht durch unterschiedlich reflektiertes Licht, etwa bei gekrümmten Oberflächen und eingefärbten Bauteilen, nicht selten zu fehlerhaften Messergebnissen kamen, schaffen heutige 2D/3D-Laser-Profilsensoren mithilfe eines neuartigen Lichtschnittverfahrens eine exakte Profilerkennung im laufenden Betrieb.

Der Sensor- und Automatisierungsspezialist Keyence hat dafür den Dynamikbereich des lichtempfindlichen Elements deutlich erweitert. Nach eigenen Angaben erfasst die 3D-Formerkennung zuverlässig im vorgegebenen Taktzyklus Nahthöhe und Überlappungen ebenso wie Risse oder Aushöhlungen in der Schweißraupenoberfläche. Vor allem der Einsatz von blauem Laserlicht anstelle von Infrarotstrahlung, gepaart mit einem speziell entwickelten CMOS-Messkopf, brachte den Durchbruch: Der Sensor ist 2400-mal empfindlicher als die zuvorige Messsysteme.

Neuronales Netz hilft Trumpf beim Sortieren

Der Einsatz von lernfähigen Algorithmen im Zusammenhang mit Industriekameras und Bildverarbeitung erweitert das Anwendungsfeld automatisierter Bilderkennung erheblich und entwickelt sich zu einem wichtigen Baustein einer Smart Factory. So stellt Trumpf seinen Mitarbeitern beim Sortieren von Blechteilen an der Laserschneidmaschine einen digitalen Sorting Guide zur Seite. Der digitale Assistent funktioniert mithilfe künstlicher Intelligenz und besteht aus einer Kamera sowie einem Industrie-PC mit intelligenter Bildverarbeitung.

Das Herzstück der KI-Software ist ein neuronales Netz, das erkennt, welche Teile der Maschinenbediener von der Blechtafel entnommen hat und welchem Auftrag sie zuzuordnen sind. Die Informationen hierfür erhält der Sorting Guide in einem Teaching-Verfahren. Einen Schritt weiter in Richtung Smart Factory geht die Ditzinger Hightech-Company durch das Anbinden des Sortierassistenten an das gesamte Produktionssystem.

An seinem US-amerikanischen Standort in Chicago hat Trumpf vor drei Jahren erstmals eine Smart Factory mit eigener Fertigungssteuerung in Betrieb genommen, um das Potenzial einer vernetzten Laserbearbeitung inklusive digital unterstützter Intralogistik auszuloten. Jede Blechplatine, die aus den Laserschneidmaschinen kommt, ist mit einem lesbaren Code versehen, der Informationen zum Auftrag sowie maschinenlesbare Anweisungen für die Weiterverarbeitung der Teile enthält. Der Sorting Guide erfasst jedes entnommene Teil automatisch. Durch die digitale Zuordnung von Bauteil, zugehörigem Auftrag und Begleitpapieren ist jeder Vorgang auf einen Blick am Monitor ersichtlich. Per Knopfdruck veranlasst der Mitarbeiter die nachfolgenden Schritte oder greift bei abweichenden Ereignissen in den Prozess ein.

BMW verbessert Vision-System zur Qualitätskontrolle

In den Fabrikhallen der OEMs macht die kamerabasierte Qualitätskontrolle dank künstlicher Intelligenz ebenfalls eine „bella figura“. Bei BMW in Dingolfing hat das hauseigene Data-Analytics-Team mit einem neuronalen Netz die Treffsicherheit der Bildverarbeitungssoftware beim Fehlererkennen nach dem Umformen von Karosserieteilen in Richtung Null-Fehler-Level erhöht.

Immer wieder kam es vor, dass das Vision-System kleine Staubkörner oder Ölrückstände mit sehr feinen Rissen verwechselte und das Bauteil als fehlerhaft aus dem Fertigungsprozess ausschleuste. Jetzt vergleicht die Erkennungssoftware innerhalb von Millisekunden die erfassten Realbilder mit hunderten von Musterbildern aus der Datenbank und sieht mithilfe der KI-Klassifikation, ob es sich um ein Staubkorn oder einen Materialfehler handelt.

IDS ermöglicht Bildverarbeitung ohne externen PC

Auf Seite der Kamera- und Bildverarbeitungsbranche festigt sich der Trend zu KI-gestützten Systemen bei nahezu allen Playern. Der in Obersulm ansässige Machine-Vision-Spezialist IDS forciert sein Angebot an kompakten Embedded-Vision-Plattformen. Das Ziel sind flexible Komplettsysteme, die das gesamte Arbeitsspektrum von der Bildaufnahme über Bildanalyse und -verarbeitung bis hin zur Steuerung der Fertigungsmaschinen beherrschen.

Der Clou: Die Bildverarbeitungsaufgaben finden direkt an der Bildquelle ohne Anbindung an einen externen PC-Server statt. Das Kamerasystem liefert bereits das aufbereitete Signal für die Folgeprozesse. Solche All-in-One-Systeme enthalten softwareseitig ein neuronales Netz, das mit Methoden des Deep Learning gekoppelt ist. IDS hat sowohl die Trainingssoftware für neuronale Netze als auch den KI-Core, der das neuronale Netz hardwarebeschleunigt ausführt, selbst entwickelt. Den Brückenschlag in die umgebende Fertigungsautomation liefert das Ethernet-basierte Industrieprotokoll OPC UA, ein offener Standard aus dem Fundus der Industrie-4.0-Anwendungen.

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