Wer heute in seinem Auto noch mit Halogenscheinwerfern unterwegs ist, ist von Vorgestern und selbst die, die den Bereich von dem eigenen Fahrzeug allabendlich von lichtstarken Xenonbirnen ausleuchten lassen, fahren der Technik ein paar Jahre hinterher. Zeitgemäß sind allein lichtstarke LED-Module, die sich - ggf. sogar mit Laserunterstützung - vollvariabel dem Verkehr und der Umgebung anpassen. So werden düstere Kurven ebenso lichtstark ausgeleuchtet wie Kreuzungsbereiche oder der Fernbereich bis zu 600 Meter vor dem Auto. Längst sind moderne Scheinwerfer mit Navigationssystemen vernetzt und können Bereiche erhellen, noch bevor das Auto in diese einfährt. "Wir arbeiten daran, die Fahranteile mit Fernlicht deutlich auszuweiten", erklärt Gunter Fischer, Leiter Karosserieentwicklung Exterieur und Fahrzeugbetriebssysteme bei der Daimler AG, "derzeit sind dies bis zu 45 Prozent. Wir können dies mittelfristig auf bis zu 70 Prozent oder mehr steigern."
Doch damit ist es lange nicht genug. Die Scheinwerfer von morgen gehen noch zwei Schritte weiter. Arbeiten im Hightech-Scheinwerfer der aktuellen Mercedes E-Klasse zumindest gegen Aufpreis beispielsweise LED-Hauptscheinwerfer mit 84 einzelnen Lichtelementen, so werden dies in den nächsten Jahren zwischen 1.024 und 8.196 Lichtinseln sein. Dadurch lässt sich der Gegenverkehr deutlich präziser als bisher ausblenden. Ähnlich sieht es bei den neuen Lichtsystemen im 5er / 7er BMW oder den zukünftigen Modellen A6 / A7 / A8 aus. Opel und Seat haben das Hightech-Licht mit Modellen wie Astra, Mokka X, Leon oder Ibiza sogar in die preissensiblen Volumensegmente gebracht. Das freut bei Dunkelheit nicht nur entgegenkommende Autofahrer und das Fahrzeug, das auf der abendlichen Landstraße vor einem herfährt, sondern auch kreuzende Radfahrer oder Fußgänger, die am Straßenrand stehen. Mercedes entwickelt zusammen mit mehreren Technologiepartnern gerade an einem visionären Scheinwerfer, bei dem das Lichtmodul zu einem HD-Beamer wie im eigenen Wohnzimmer wird. Bis zu eine Million Mikrospiegel im LED-Scheinwerfer von übermorgen sorgen dafür, dass sich vor einer Wand stehend sogar Filme abspielen lassen könnten.
Da es nicht um ein privates Autokino, sondern um das Thema Sicherheit geht, wird der HD-Beamer der nahen Zukunft über die im Fahrzeug verbauten Kameras und Navigationsdaten an die Fahrerassistenzsysteme gekoppelt. "Licht ist bei uns ein wichtiger Bestandteil hin zum unfallfreien Fahren", erläutert Gunter Fischer, "wir bringen nicht nur mehr Licht nach vorn. Es geht insbesondere um eine bisher nicht dagewesene Präzision der Lichtverteilung." So ist es bei engen Baustellenpassagen zum Beispiel möglich, Hilfslinien auf die Fahrbahn zu projizieren. 60mal pro Sekunde wird ein Lichtbild erschaffen. Droht eine Gefahr oder wird es auf einer winterlichen Brücke spiegelglatt, können kurz vorher Warnmeldungen auf die Straße gestrahlt werden. Die Fahrbahn wird so zum Head-Up-Display außerhalb des Autos. Denkbar sind auch Hilfslinien für andere Verkehrsteilnehmer, womit diese erkennen, dass das herannahende Auto sie erkannt hat. Mercedes kann sich wie bei der Studie des Zukunftsfahrzeugs F 015 sogar vorstellen, den Kühlergrill zu einer Kommunikationsfläche nach außen werden zu lassen oder einen Zebrastreifen als Querungshilfe auf die Straße zu strahlen.
Eine Million Spiegel
Mit einer Million Lichtpunkten im Scheinwerfer lassen sich 100 Meter vor dem Fahrzeug schärfer denn je Kleinstelemente mit einer Größe von 2,5 x 4 cm darstellen. Noch müssen die Behörden jedoch ihre Genehmigungen erteilen. Wenn ein Auto variabel Warnmeldungen auf die Straße projiziert, ist dies schließlich ebenso für andere Verkehrsteilnehmer sichtbar. Gerade in den USA mahlen die juristischen Mühlen überaus langsam. Viele Funktionen der aktuellen Matrix-LED-Scheinwerfer von Audi, BMW, Porsche oder Mercedes sind im Land der unbegrenzten automobilen Möglichkeiten nach wie vor nicht erlaubt und somit nicht freigeschaltet. Ähnlich wie bei dem Aufbau eines Netzes für Schnellladesäulen ziehen viele Konkurrenten ausnahmsweise einmal an einem Strang. Vor 2019 / 2020 dürften die amerikanischen Gesetzgebungsverfahren jedoch kaum abgeschlossen sein.
Die Zukunftstechnik, das gleißend helle LED-Licht mit bis zu einer Million Mikrospiegeln maximal aufzufächern, stammt aus dem Hause des Zulieferers Texas Instruments. Der amerikanische Elektronikkonzern beliefert mit dieser Technik jedoch nicht Daimler selbst, sondern den Hersteller der Scheinwerfer; in diesem Falle zum Beispiel Automotive Lighting. Aus dem Hause Mercedes stammt dabei die entsprechend angepasste Steuerungselektronik. "Entscheidend ist nicht die Technologie im Scheinwerfer, sondern die digitale Intelligenz dahinter", betont Gunter Fischer. Mehr als zwei Dutzend Programmierer arbeiten in einem neu geschaffenen Projekthaus bei den Schwaben derzeit daran, das Licht von morgen und übermorgen möglichst effektiv in Szene zu setzen. Ähnlich sieht es bei Herstellern wie Volkswagen, Audi, BMW, Porsche, Volvo oder General Motors aus, die allesamt an vernetzten Lichtsystemen der Zukunft arbeiten.
"Früher brauchten wir für einen neuen Scheinwerfer immer auch eine neue Hardware", so Lichtexperte Gunter Fischer, "das könnte sich bald ändern. Dann könnten Softwareupdates ausreichen, um neue Lichtfunktionen freizuschalten -gegebenenfalls später sogar für den Kunden per App." Wann die neue Technik in einem Serienfahrzeug verbaut wird, steht noch in hellen Sternen am Firmament. Wenn die Behörden nicken, dürfte dies in frühestens zwei bis drei Jahren soweit sein. Vielleicht eine Spielwiese für die neue Mercedes S-Klasse, die 2020 vorgestellt wird. Sie wird eines der ersten Modelle sein, die zumindest auf Autobahnen autonom im Straßenverkehr unterwegs sein können. Da kämen ein paar visionäre Hightech-Scheinwerfer gerade recht.