BYD U9

In Europa ist BYD vor allem für erschwingliche Elektrofahrzeuge bekannt. Der Fokus des Elektro-Riesen aus China ist jedoch deutlich breiter. (Bild: BYD)

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Wang Chuanfu ist ein Mann, der nicht eben das Licht der Öffentlichkeit sucht und sich gerne in seinem Büro verkriecht, wenn internationale Gäste im Haus sind. Doch Mitte Januar hat sich der Chef des chinesischen Shootingstars BYD dann doch mal auf die Bühne getraut. Zu wichtig war ihm die Botschaft, als dass er die Keynote beim Dream Day 2024 einem seiner Manager hätte überlassen wollen. Schließlich hat Mr. Wang ambitionierte Pläne: Nachdem er BYD in nicht einmal 30 Jahren erst zum größten Akkulieferanten für die Smartphone-Branche und dann zum Weltmeister der E-Autos gemacht hat, will er die etablierte Konkurrenz auch in anderen Disziplinen schlagen: Mit einem integrierten Ansatz für Hard- und Software und einem neuen Level an Intelligenz im Fahrzeug soll BYD zum Schrittmacher bei der Transformation der Automobilindustrie werden. Wofür beschäftigt das Unternehmen schließlich 70.000 Ingenieure allein in Forschung und Entwicklung und hat nur im letzten Jahr 18.000 Hochschulabsolventen eingestellt?

Neue BYD-Plattform bringt das Auto ins digitale Ökosystem

Xuanji heißt die neue Plattform, die intelligenter sein soll als alles, was bislang auf dem Markt ist, schwärmen die Chinesen. Denn sie sei gleichermaßen Gehirn und Nervensystem und begreife das Auto erstmals ganzheitlich und nicht als Summe einzelner Sensoren. Das System erkenne oder antizipiere jede Veränderung am Fahrzeug oder in der Umwelt in Echtzeit und stelle dann den Wagen darauf ein: „Es interpretiert die Informationen in Millisekunden und schickt diese zurück ans Gehirn des Autos“, erläutert Wang: So kann Xuanji das Fahrzeug jederzeit automatisch den Gegebenheiten anpassen und damit Komfort, Performance und Sicherheit optimieren, erläutert der Firmenchef. Herz und Hirn der Architektur ist ein AI-Prozessor, der laut BYD erstmals über alle Fahrzeugdomains hinweg läuft. Mit maximaler Rechenpower verarbeitet er den angeblich größten Datensatz in der Industrie, deckt über 300 Fahrzeugszenarien ab, lernt ständig dazu und lässt sich online auf den neuesten Stand bringen.

Zwar kommt Xuanji – ganz ähnlich wie die Neue Klasse bei BMW oder die MMA bei Mercedes – erst mit der nächsten Fahrzeuggeneration zum Einsatz und dürfte deshalb frühestens 2025 in den Handel kommen. Doch bis dahin will BYD seine neue E4-Plattform weiter ausrollen, die aktuell das technische Aushängeschild ist und im letzten Sommer  mit dem Luxusgeländewagen Yangwang U8 lanciert wurde. E4 – das steht zunächst einmal für die vier radnah montierten E-Motoren, die im U8 rund 1.200 PS entwickeln und den 3,5 Tonnen scheren Koloss in 3,6 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 beschleunigen. Aber das steht auch für eine neue Form der Fahrdynamik-Regelung und der Aufbau-Kontrolle. Denn mit Torque Vectoring in Echtzeit ermöglicht die Elektronik hier nicht nur imposante Fahrleistungen auf unterschiedlichsten Untergründen, sondern kann sogar einen Reifenplatten kompensieren. Und egal wie wild der U8 durchs Gelände stampft oder um die Kurven fegt, sorgt das DiSus Intelligent Body Control System samt einer Luftfederung für eine stets aufrechte Gangart.

Dass das intelligente Zusammenspiel von vier Motoren, einem rasend schnellen Torque Vectoring und einem aktiven  Fahrwerk statt in der Pampa auch auf der Piste funktioniert, wollen die Chinesen mit dem U9 beweisen, von dem es bislang allerdings nur drei Prototypen gibt. Während der U8 auf Geländewagen wie den Range Rover oder die Mercedes G-Klasse zielt, soll der 1.300 PS starke und 300 km/h schnelle Flachmann zum Ferrari-Fighter werden und neue Bestmarken auf den Rennstrecken dieser Welt setzen.

BYD zielt auf autonomes Fahren ab

Neben der intelligenten Fahrdynamik-Regelung ist auch das autonome oder zumindest hoch unterstütze Fahren auf der E4-Plattform ein großes Thema. Nicht umsonst beschäftigen sich allein mit dieser Disziplin über 4.000 Entwickler im Forschungszentrum in Shenzhen. Sie haben im U8 als Grundlage für einen kommenden Autopiloten schon mal redundante Brems- und Lenksysteme integriert und den Geländewagen mit 38 Sensoren bestückt: drei LIDAR, fünf Millimeterwellen-Radare und 14 Ultraschall-Radare sind an Bord.

Wie greifbar das Robocar aus Shenzhen ist, das demonstriert BYD mit einem umgerüsteten Denza N7. Die luxuriöse Steilhecklimousine zeigt, wie entspannt der Stadtverkehr in einer Millionenmetropole wird, wenn der Rechner die meiste Zeit das Kommando hat. Ja, es braucht noch einen Fahrer und der muss bisweilen seine Anwesenheit auch mit einem Griff zum Lenkrad quittieren. Doch Ampelkreuzungen, Spurwechsel und Ausweichmanöver schafft die Software für Navigate on Autopilot auch gut schon alleine.

Aber die Chinesen engagieren sich nicht nur für vermeintlich ernsthafte und seriöse Themen wie ihre neuen Betriebssysteme, innovative Steuerungen für Antrieb und Fahrdynamik und das autonome Fahren. Sondern sie zeigen mit digitalen Schlüsseln, automatischem Valet Parking, Karaoke im Kofferraum, dem Cockpit als Gaming-Zentrale beim Ladestopp, dem Tank Turn oder dem Querparken des U8 oder einem intelligenten Landeplatz für Drohnen auf dem Dach eines Autos auch Sinn für Spielereien, die den Alltag unterhaltsamer oder komfortabler machen oder globale Elektroniktrends aufnehmen.

BYD macht Connected Car zur Realität

Das gilt auch für die Vernetzung und die Sprachsteuerung: „Das Auto soll wie das menschliche Gehirn funktionieren, in dessen beiden Hälften verschiedene Daten gespeichert werden“, erklärt ein Ingenieur, nur dass die Hirnhälften bei BYD nicht im gleichen Kopf respektive Auto stecken. Sondern ein die eine ist im Wagen integriert, die andere in der Cloud und damit noch leichter akualisier- und erweiterbar. Was dieses Doppel kann, demonstrieren die Chinesen mit der Sprachsteuerung, die so auf schier konkurrenzlose  Antwortzeiten von 300 Millisekunden kommen will.

Natürlich sind nicht alle diese BYD-Innovationen geeignet, die PS-Welt aus den Angeln zu heben. Doch muss Mr. Wang mal ein paar Scouts auf die CES nach las Vegas schicken, um sich Bestätigung für seine Forschungen zu holen - und für sein Selbstbewusstsein. Denn was dort etwa von Mercedes zum Beispiel rund ums Infotainment noch als große Errungenschaft für kommende Modelle gefeiert wurde, ist bei BYD bereits heute zu kaufen.

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