Nio Fahrzeug wird von Robotern montiert

Der noch junge Autobauer Nio hat in Hefei eine hochmoderne und hochautomatisierte Fabrik aufgebaut - und er ist nicht der einzige dort. (Bild: Nio)

Die Zehn-Millionen-Stadt Hefei liegt 480 Kilometer westlich von Shanghai. Die Fahrt mit dem Hochgeschwindigkeitszug dauert keine zwei Stunden. Die Hauptstadt der Binnenprovinz Anhui (61 Millionen Einwohner) lockt die Unternehmen nicht nur mit direkten Subventionen, wenngleich der OEM Nio mit Bürgschaften und Förderungen von über einer Milliarde Euro in die Provinz geholt wurde. Ausschlaggebend für den Erfolg des neuen Elektromobilitäts-Clusters sind eine maßgeschneiderte Infrastruktur, modernste Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen und schnelle Entscheidungswege.

Mit der Ansiedelung von Nio und Volkswagen setzte die Provinz ihren etablierten Autoherstellern Anhui Jianghuai Automobile (JAC) und Chery Automobile, die auch nach Deutschland exportieren, Konkurrenz vor das Werkstor. Auch der Elektroautogigant BYD produziert in der Provinz. Konkurrenz belebt nicht nur das Geschäft und erhöht nicht nur das Entwicklungstempo. In Anhui entsteht ein neuer Industriecluster, welcher allen dort tätigen Unternehmen Vorteile verschaffen soll. Laut Daten der lokalen Behörden haben sich bereits über einhundert Unternehmen der Elektroautobranche in Hefei angesiedelt.

Was macht Nio im Neo Park anders?

Neo Park – ein „wahres Wunderland für Elektro-Startups“, so beschrieb die Fachzeitschrift Electrive.net das Gemeinschaftsprojekt von Nio und der Provinzregierung. Doch auch bei der Besichtigung der neuen Nio-F2 Fabrik dürften sich Fabrikplaner verwundert die Augen reiben. Nio bricht fast vollständig mit der klassischen Fließbandproduktion und setzt auf neue Produktionskonzepte, welche nur durch digitale Vernetzung und künstliche Intelligenz möglich sind. Damit soll ein Gleichgewicht zwischen Produktanpassung und Massenproduktionskapazität geschaffen werden. Mehrere der Elektrofahrzeugmodelle von Nio wie der ET5, der ET5T und der neue ES8 werden hier gleichzeitig gefertigt.

Augenfällig sind die vertikalen Autogaragen, in denen über mehrere Ebenen gestapelt die teilmontierten Fahrzeuge den verschiedenen Produktionsschritten zugeführt werden. Die vertikale Autogarage dient als Station zwischen zwei Produktionsabläufen. Sie hält Fahrzeuge oder halbmontierte Karosserien bereit und organisiert und kombiniert sie je nach Bedarf, um sie an die Anforderungen verschiedener Werkstätten oder Prozesse der Fertigung anzupassen. Dieser Ansatz kann im Gegensatz zur reinen Fließbandarbeit die Ressourcennutzung optimieren und gleichzeitig besser an die unterschiedliche Geschwindigkeit jedes Produktionsprozesses angepasst werden, erklärt ein Nio-Sprecher.

Das steckt hinter der Garagenfertigung

Nio wendet diese Strategie in verschiedenen Phasen der Produktion an und ändert kontinuierlich die Produktionsreihenfolge der Fahrzeuge, um eine höhere Effizienz zu erreichen. In einzelnen Werkstätten werden verschiedene vertikale Autogaragen mit unterschiedlichen Größen und Kapazitäten eingesetzt. Ji Huaqing, Vizepräsident für Fertigungslogistik bei Nio erklärt, dass die Menge der Garagen in den einzelnen Produktionsabschnitten vom Rhythmus jeder Produktionsphase und der bevorzugten Reihenfolge für die Produktion in jeder Werkstatt abhängt.

Um die Einschränkungen der Flexibilität der Produktion mit dem traditionellen Fließbandmodell zu überwinden, nutzt Nio mehr als nur eine Lösung. Neben der Produktionslinie in der Endmontagewerkstatt hat der OEM spezielle Arbeitsbereiche für die Montage von Komponenten wie Heckklappen, Armaturenbrettern, Windschutzscheiben und Panorama-Schiebedächern eingerichtet. Der Transport der Fahrzeugkarosserie zu und von diesen Arbeitsbereichen erfolgt mit fahrerlosen Transportfahrzeugen.

Nios Fertigung ist reif für die Insel

Diese Art der Montage entspricht dem Konzept der Alone Manufacturing Island (AMI) aus dem Lean-Manufacturing-Ansatz von Toyota, jedoch mit unterschiedlichen Ausführungs- und Zuweisungsmodulen. Während herkömmliche Lean-Production-Methoden dieselbe Maschine verwenden, um eine Reihe von Einzelteilen zusammenzubauen, setzt Nios Ansatz Roboter ein, um diese autonom auf separaten „Inseln“ zusammenzubauen.

Die Vorteile des Einsatzes separater Inseln zeigen sich, wenn verschiedene Automodelle in derselben Anlage hergestellt werden oder wenn ein Modell die Montage verschiedener Komponenten erfordert. Dieser Ansatz lässt sich gut an Änderungen in verschiedenen Komponenten anpassen, ist einfacher zu implementieren und stört das Tempo der primären Montagelinie weniger. Laut Qin Lihong, Mitgründer und Präsident von Nio, würde die Umstellung einer Produktionslinie, nur etwa zwei Wochen dauern, während andere Unternehmen bis zu sechs Wochen benötigen.

Doch Nio denkt über das eigene Unternehmen hinweg. „Wir begrüßen sehr die Investition von Volkswagen an unserem Standort. Diese Konkurrenz macht uns noch schneller noch besser. Und gemeinsam haben wir eine größere Kraft, um dort die Grundlagen für die zukünftige Mobilität zu schaffen,“ so Nio-CEO William Li auf der IAA München.

Volkswagen sieht China als Fitnessstudio

„China ist für uns wie ein Fitnessstudio. Wir müssen aber härter und schneller trainieren,“ so Blume. Daher baut VW in Hefei eine zweite Konzernzentrale auf, um die Aufholjagd im Elektrosegment zu starten. Dort bauten die Wolfsburger in nur wenigen Monaten ihr größtes Entwicklungszentrum außerhalb Deutschlands auf. Mit der Volkswagen China Technology Company (VCTC) in Hefei soll die Entwicklung von Modellen für den chinesischen Markt von Wolfsburg nach China verlagert und damit die Zeit bis zur Marktreife von Fahrzeugen und Komponenten um 30 Prozent verkürzt werden.

Nur wenige Kilometer vom neuen Entwicklungszentrum entfernt hat der Konzern zudem ein neues Werk gebaut. In der riesigen Werkhalle montieren bereits über tausend orangene Kuka-Roboter mit ihren gewaltigen Greifarmen Elektrofahrzeuge. Über 95 Prozent beträgt der Automatisierungsgrad bereits, die wenigen verbliebenen Arbeitskräfte stehen einzig vor den Überwachungsmonitoren. Die neuen Elektromodelle werden für die Ansprüche des chinesischen Kunden maßgeschneidert, auch die über tausend Zulieferer kommen fast ausschließlich von vor Ort. Zulieferer aus Deutschland sind nur wenige zu finden.

Dabei fördert das Produktionssystem in den neuen Industrieparks die Ansiedlung der Zulieferer vor Ort, was die Logistikkosten reduziert und die Lieferketten sicher macht. Wer nicht vor Ort produziert, erhält kaum Aufträge. Sämtliche Maßnahmen sollen dabei nicht nur Produktionszeit, sondern auch bis zu 30 Prozent an Kosten einsparen. Gefertigt wird hautsächlich für den chinesischen Markt. Doch aus Hefei wird bereits das SUV Cupra Tavascan nach Europa importiert.

Volkswagen kooperiert mit Xpeng

Um den „Chinaspeed“ in Sachen Zukunftstechnologien und Kostensenkung in der Fertigung zu erreichen, sucht Volkswagen noch intensiver den Kontakt zu Chinas neuen privaten Autokonzernen. „In China für China“, verkündete VWs China-Chef Ralf Brandstätter und bezog sich damit auf eine möglichst autonome und kontrollierbare Wertschöpfungskette im Reich der Mitte. Doch scheint sich dies jetzt eher in die Richtung zu entwickeln, dass China zum weiteren Hotspot für die weltweiten Standorte wird.

Im Juli 2023 verkündeten die Wolfsburger, rund 700 Millionen US-Dollar für knapp fünf Prozent vom aufstrebenden OEM Xpeng aufzurufen. Beide wollen zwei Mittelklasse-Elektromodelle der Marke Volkswagen für Chinas Automarkt gemeinsam entwickeln. Die strategische Partnerschaft von Xpeng mit Volkswagen in der Lieferkette werde Kostensenkungen für beide Unternehmen einbringen, erklärte Xpeng-CEO Er Xiaopeng über den Onlinedienst Weibo. Ende September besuchte Er VWs Hauptstandort in Wolfsburg: „Ich bewundere zutiefst die Kompetenz von Volkswagen im Produkt- und Konstruktionsdesign sowie in der Großfertigung, und ich bin zuversichtlich und gespannt, wie wir in Zukunft langfristig komplementär und im Einzelnen zusammenarbeiten können.“ Die Kooperation soll keine Einbahnstraße, sondern eine klassische Win-Win-Partnerschaft sein.

 

Wird Huawei in Anhui zum Automobilzulieferer?

In Anhui profitieren auch etablierte Hersteller wie JAC von der Dynamik des Automobilcluster und setzten auf neue Partnerschaften. Die komplexen neue Produktionssysteme, die intensive Vernetzung mit Zulieferern und Kunden und die sich immer wieder veränderten Produktionskriterien erfordern, schnellen, sicheren und flexiblen Datenaustausch, für die Huawei die Technologie liefert. Und nicht nur das. Im Dezember haben JAC und Huawei in einen Vertrag unterzeichnet und werden bei der Produktentwicklung, Herstellung, dem Vertrieb und dem Service auf Basis der Smart-Car-Lösungen von Huawei zusammenarbeiten.

Huawei arbeitet bereits mit der Seres Group und Chery zusammen, betont aber immer wieder, dass man selbst nicht als Automobilkonzern auftreten möchte, sondern für alle Konzerne offen sei. Bei der Kooperation mit Huawei ist JAC daran interessiert, vom Engineering- und Entwicklungssystem des Technologieriesen zu lernen und ihm so einen flexibleren Kooperationsraum zu eröffnen, so ein Unternehmenssprecher von JAC. Huawei hat bereits einige Komplettlösungen für Elektrofahrzeuge auf dem Markt, welche an unterschiedliche Firmen vermarktet werden. In der Huawei-Technologie fliesen so elektronische Komponenten der Fahrzeuge und vernetzte Fertigung zusammen.

Die deutschen Zulieferer stehen auf dem größten Automarkt der Welt nicht nur unter Druck, da die Elektrofahrzeuge grundlegend neue Komponente erfordern und durch neue chinesische Anbieter aus der elektroniksparte ganz Module geliefert werden. Zudem erfordert die neue Produktionsstrategie in den Hightech-Parks eine Präsenz vor Ort. Im Idealfall ist das Zulieferwerk direkt mit dem Werk verbunden und in die hochflexible Fertigung direkt eingebunden.

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