Kräftige Farben sorgen für Aufmerksamkeit. Etwa das knallige Kanariengelb, das dem U6 aus dem Hause Aiways wirklich gut zu Gesicht steht. Allerdings ergibt es auch einen eher gewöhnungsbedürftigen Kontrast zur in rot, blau und beige gehaltenen Innenausstattung des Neuzugangs. Die Geschmäcker im Reich der Mitte unterscheiden sich doch teils deutlich von denen der Europäer. Ansonsten wirkt das zweite Aiways-Modell optisch wie technisch durchaus überzeugend. Wenn man denn willens und in der Lage ist, sich in die wie in fast allen neuen Autos zunehmend komplexeren Bedienszenarien hineinzuarbeiten.
Bei der chinesischen Marke setzt man bei diesem Thema auf einen sogenannten Zero-Layer-Ansatz. Der umfasst das zentral angeordnete 14,6-Zoll-Display mit sehr guter Auflösung, das mit personalisierbaren Widgets aufwartet. Die können wie auf dem heimischen Tablet nach Wunsch platziert werden. Dabei informiert die obere Statusleiste über die Basis-Funktionen: Betriebsbereitschaft, eingelegter Gang, Reichweite, Lautstärke, Uhrzeit, Wifi-, Bluetooth- und Mobilfunknetz-Verbindungen. Im linken Drittel des Touchscreens geht es um fahrrelevante Informationen, die Funktion der Assistenzsysteme und die Bedienung des Abstandstempomaten. Wer vom linken Rand nach innen wischt, wird unter anderem über die Verbrauchswerte informiert. Die untere Statusleiste ist für Parkassistent, Lademenü und 360-Grad-Kamera reserviert. Auch die Abteilung Klima und Infotainment ist hier angesiedelt.
Bediensystem erfordert ausgiebige Trainingsphase
Den Löwenanteil des Displays, nämlich die restlichen zwei Drittel, nimmt das Haupt-Widget ein, dort lassen sich je nach Lust und Laune diverse Kommunikations-Funktionen platzieren. Ebenso Inhalte der per Android Auto (kabellos) und Apple CarPlay (mit Kabel) verbundenen Smartphones. Also etwa die Navigation, denn einen eigenen Wegweiser bietet Aiways nicht an. Hilfreich ist das schmale Mini-Display direkt hinter dem Lenkrad, das Tempo, Akkustand, Reichweite und Uhrzeit zeigt. Ein Head-up-Display gibt es nicht.
Einschätzung nach den ersten Testfahrten: Das Aiways-Bediensystem ist nicht das komplexeste auf dem Markt, trotzdem erfordert es eine ausgiebige Trainingsphase, ehe es dem Piloten einigermaßen locker von der Hand geht. Wohl dem, der auf einen fitten Beifahrer zählen kann, der etwa das lästige Protest-Bimmeln des Spurverlassenswarners oder des Tempowächters abstellen kann. Positiv fällt das Tempo auf, mit dem die einzelnen Rechenschritte abgearbeitet werden.
300 bis 320 Kilometer am Stück dürften drin sein
4,80 Meter ist der U6 lang, das sorgt in Kombination mit einem Radstand von 2,80 Metern für sehr ordentliche Platzverhältnisse vorne wie hinten. Das Kofferraumvolumen gibt Aiways mit 472 bis 1260 Litern an, auch hier gibt es nichts zu kritteln. Einen Frunk hat der chinesische Neuzugang noch nicht, derzeit blickt man unter der Motorhaube auf eine flächendeckende Plastiklandschaft. Doch das soll sich noch ändern, ein Mini-Staufach ist bereits in Arbeit.
Der Ladeanschluss ist im Gegensatz zum U5 von der Front zum hinteren Teil des linken Kotflügels umgezogen. An der Technik hat sich dabei nichts geändert, der 63-kWh-Akku wird auch hier mit maximal 90 kW gefüllt – kein berauschender Wert. Um das Beste daraus zu machen, hat Aiways eine Vorkonditionierung des Akkus über die serienmäßige Wärmepumpe eingebaut, die per Hand aktiviert wird und den Energiespeicher laut Hersteller in rund einer halben Stunde auf die optimale Temperatur für schnelles Laden bringen soll. Künftig wird das auch automatisch ablaufen, wenn im Navi eine Route mit Schnellladestopp gestartet wird. Wenn alles passt, soll am Schnelllader in 35 Minuten die Betankung von 20 auf 80 Prozent erledigt sein. Per 11-kW-Bordlader dauert es von leer auf voll etwa sieben Stunden.
Und wie weit kommt man mit dieser Energie? 405 Kilometer verspricht der Hersteller bei einem Normverbrauch von 15,6 bis 16,6 kWh pro 100 Kilometer. Bei den ersten Testfahrten zeigte der Bordcomputer Werte um die 18 kWh an, im Alltag dürften also rund 300 bis 320 Kilometer am Stück recht problemlos drin sein. Zumindest bei angenehmen Außentemperaturen. An der gebotenen Leistung von 160 kW/218 PS und dem Drehmoment von 315 Nm gibt es nichts auszusetzen. Der U6 ist allemal flink genug für ein E-Auto, das im Größenvergleich einen VW ID.5 leicht übertrifft. In 7,0 Sekunden sind aus dem Stand 100 km/h erreicht, bei 160 Sachen ist Schluss.
Prime-Version ist ab 47.600 Euro bestellbar
Das Fahrwerk des SUV-Coupé aus Fernost passt auch für europäische Ansprüche, in Verbindung mit einem für sein Format niedriges Leergewicht von 1.790 Kilo ermöglicht es flinke Kurvenkombinationen und unterstützt auch tatkräftig entspanntes Autobahn-Cruisen. Die Lenkung, oft ein Schwachpunkt gerade bei chinesischen Fahrzeugen, macht ihre Sache mit alltagstauglich deutlicher Rückmeldung ebenso gut.
Welchen nehmen – U5 oder U6? Das ist angesichts einiger Verbesserungen im Mitte 2023 debütierenden zweiten Aiways nicht nur, sondern auch eine Frage des persönlichen Geschmacks. Der U6 ist deutlich extrovertierter, von der aerodynamisch optimierten Haifisch-Nase bis zum Heckdiffusor und -spoiler. Die Luftleitelemente an Front und Schwellern setzen gerade beim gelb lackierten Exemplar deutliche Kontraste.
Im Inneren wartet der U6 mit guten Halt vermittelnden Integralsitzen, einen Schaltknauf im Schubhebel-Look und dem angeblich größten Panoramadach seiner Klasse auf. Die Qualität der Materialien ist entsprechend der U6-Preisklasse ausgefallen, man kann es in ihm wirklich gut aushalten – und kann sich in absehbarer Zeit auch für ein schwarzes Interieur entscheiden. Die Zwei-Zonen- Klimatisierung mit teilweise verdeckten Luftauslässen vorn arbeitet weitgehend zugfrei, das Magnat Soundsystem mit zehn Lautsprechern, Subwoofer und Aux-Konnektivität via USB und Bluetooth sorgt für den guten Ton. Und eine Phalanx von elf serienmäßigen Assistenzsystemen ist für die Sicherheit und den Komfort zuständig.
Nach diversen coronabedingten Verzögerungen soll der U6 tatsächlich im Sommer 2023 zu den ersten Kunden kommen. Bestellbar ist er bereits, und zwar in der Prime-Version zu Preisen ab 47.600 Euro.