Vom Nordpol zum Südpol ists nur ein Katzensprung: Beim Porsche 911 Speedster gibt es kein Turbogebimmel oder eine sonstige Zwangsbeatmung, sondern einen archaischen frei atmenden Sechszylinder-Boxer mit 375 kW / 510 PS. So wie es bei einem Porsche 911 sein muss. Die Symbiose zwischen Triebwerk und Vehikel wird schon beim Drehen des Zündschlüssels deutlich. Mit einem kurzen Grollen erwachen die sechs Töpfe zum Leben, Kupplung treten, Gang einlegen, Pedal kommen lassen und schon geht die wilde Hatz los. Bereits nach ein paar Metern bietet einem der Porsche das "Du" an.
Wir warten nicht, wir starten, was immer auch geschieht: Die Sitze fixieren einen wie ein guter Skischuh, ohne den jeder Slalom in einer Rutschpartie enden würde. Das Lenkrad liegt gut in der Hand und der Boxer im Rücken schreit mit jeder Kurbelwellenumdrehung "tritt mich" und das mit einer solchen Vehemenz, dass man dem Wunsch nur allzu gerne nachkommt. Doch im Sinne einer guten Nachbarschaft lassen wir es erst einmal gemächlich angehen. Für einen Sauger entwickelt das Vierliter-Aggregat überraschend viel Druck aus dem Drehzahlkeller und jubelt scheinbar mühelos hoch bis zu 9.000 U/min. Und jeder mit jedem Strich der Skala, den die Nadel passiert, steigt das Vergnügen.
"Auf den Motor sind wir besonders stolz, er erfüllt bereits die nächste Abgasnorm ", erzählt der Leiter der GT-Fahrzeuge Andreas Preuninger. Trotz der obligatorischen zwei Partikelfilter liefert das Aggregat ab 6.250 Umdrehungen 470 Newtonmetern und katapultiert den Speedster in nur vier Sekunden auf Landstraßentempo. Einzeldrosselklappen sorgen für eine optimierte Füllung der Brennräume, eine neue Einspritzanlage steuert mit 250 bar Druck den Treibstoff bei. Elektrisch geregelte Abgasklappen sorgen für ein optimales Ausatmen, minimieren den Gegendruck und helfen bei der Einhaltung der Abgasnorm. "Der Motor war schwer unterzubringen, aber man muss Ingenieure auch mal spielen lassen", erklärt Preuninger das Erfolgsgeheimnis hinter dem Kraftwerk.
Harmonisches Fahrwerk
Schneller und immer schneller rast der Propeller: Der Spaß der Tüftler kommt vollständig beim Piloten an, wenn man den Speedster artgerecht bewegt. Das bedeutet mit Drehzahlen jenseits der 4.500 U/min. Das grelle Sägen, Kreischen und lustvolle Saugen garniert mit fulminantem Ausatmen zieht jeden, mit nur einem Tropfen Benzin im Blut in seinen Bann. Oben auf der Mittelkonsole verführt der "Auto Blip"-Knopf zum Draufdrücken! Bitte Finger weg. Wer beim Runterschalten auf automatisiertes Zwischengas angewiesen ist, sitzt im falschen Auto. Selbst ist der Fahrer. Ohnehin ist der Speedster nichts für Feinrippträger. PDK und anderen modernen Krimskrams sucht man vergebens. Selbst eine Klimaanlage gibt es nur auf ausdrücklichen Wunsch des Käufers. Die Handschaltung lässt einen die automatisierten Schaltvorgänge ohnehin schnell vergessen: Präzise, knackig und mit kurzen Wegen flutscht der Ganghebel durch die Gassen.
Dein Leben, das ist ein Schweben durch die Ferne: Bei all dieser Lust an der Beschleunigung ist es gut, dass das Fahrwerk auch dieses Versprechen einlöst. Im Grunde ist der Speedster ein Porsche 911R ohne Dach. So stammt das Fahrwerk vom GT3, hat die gleichen Federraten aber etwas weichere Dämpfer. Zusammen mit dem Heckantrieb und dem geringen Gewicht von 1.465 Kilogramm sorgt das für eine Agilität, die mit der Wucht des Antriebs souverän zurechtkommt. Bodenwellen werden entspannt weggebügelt und die Traktion ist in jeder Kurve, egal ob eng oder weit, extrem vertrauenseinflößend. Das Heck hilft immer mit und meldet sich mit einem kurzen Zucken zu Wort, wenn man beginnt, übermütig zu werden. Die Lenkung ist präzise und erzählt freimütig alles, was unter den 20 Zoll-Walzen abgeht. Dabei braucht man anders als bei anderen Herstellern keine Bodybuilder-Oberarme, um am Volant zu drehen. Klar ist das Fahrwerk sportlich straff, aber alles andere als unharmonisch oder prügelhart und der Beweis, dass Dynamik nicht auf Kosten der Bandscheiben gehen muss.
Wir fliegen die Strecke bei jeder Witterung. Dass bei einem echten Speedster die Haube nur eine untergeordnete Rolle spielt, dürfte jedem klar sein. "Ich hatte mir überlegt, das Auto ohne Dach zu machen", erzählt Preuninger. Da die USA der Hauptabsatzmarkt ist, hat der 911 Speedster eine Stoffmütze, die nichts mit der der 911er Cabrios gemeinsam hat. Die Heckklappe ist aus Carbon, wiegt nur zehn Kilogramm und das Dach muss händisch verstaut und rausgeholt werden, was aber problemlos geht. Windschott? Fehlanzeige. Dennoch sitzt man im Speedster so tief, dass auch die niedrigere Fensterlinie oder das geschlossene Dach nicht stören. Also alles gut! Bis auf die Tatsache, dass Porsche nur 1.948 Exemplare baut. Da ist auch der Preis von 269.274 Euro nur Nebensache, denn man darf froh sein, überhaupt ein Exemplar zu bekommen.