David Brodie, ESG
David Brodie: "Im Bereich Entwicklungs- und Testprozesse beschäftigen wir uns intensiv mit dem Thema Virtual Engineering." (Bild: ESG)

AUTOMOBIL PRODUKTION: Was sind die Herausforderungen in der ADAS-Funktionsentwicklung für künftige Fahrzeuge?
Wir arbeiten in einem phantastischen aber hochvolatilen Umfeld. Die Komplexität im Fahrzeug steigt mit der Vielzahl von Sensoren und vielfach miteinander vernetzten Funktionen überproportional an. Heute konzipiert man Funktionen wie einen Abstandshalter oder ein Einparksystem nicht mehr isoliert, sondern in einem Auto mit umfassender Sensorik.
Wir stehen derzeit vor einem Paradigmenwechsel: Fahrzeuge werden über einen längeren Lebenszyklus immer wieder mit Software-Updates und funktionalen Upgrades versehen und so auf dem jeweils aktuellsten technologischen Stand gehalten. Dazu kommen verstärkt neue Technologien zum Einsatz. Zum Beispiel bin ich davon überzeugt, dass Lösungen rund um Künstliche Intelligenz in den kommenden Jahren eine wichtige Rolle spielen werden.
Last but not least kommt dann noch der Aspekt Car2X hinzu. Das Fahrzeug der Zukunft steht nicht mehr nur für sich alleine, sondern kommuniziert mit anderen Fahrzeugen, mit Infrastruktur und mit Backend-Systemen. Auch Fahrer und Nutzer erwarten weitere Vernetzung mit Smartphones oder drahtlosen Netzwerken. Wir sprechen im Automotive-Umfeld zunehmend von „System of Systems“ – ein technologisches Feld, mit dem sich die ESG seit ihrer Gründung beschäftigt.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Welche neuen Funktionalitäten werden in den kommenden Jahren in die Fahrzeuge kommen? Wohin geht der Trend bei Fahrzeug-Architekturen und wie sieht es mit dem Thema Sicherheit aus?
Eine zentrale Herausforderung ist, wie vorhin gesagt, die Beherrschung der Systemkomplexität. Viele Teilsysteme müssen reibungslos ineinandergreifen, damit wir in Zukunft hochautomatisiert fahren können. Denken Sie z.B. an einen „Auto-Store“, wo man künftig neue Fahrzeugfunktionen wie autonomes Parken im Parkhaus quasi per App beziehen kann. Die entsprechenden Apps am Smartphone und die passende Software im Backend müssen rechtzeitig verfügbar und kompatibel sein. Dazu kommt der Aspekt, dass einzelne Systeme mit unterschiedlicher Häufigkeit und zu unterschiedlichen Zeitpunkten Updates erhalten.

Mit zunehmender Vernetzung wird auch die Diagnose komplexer. Dem Thema Performance kommt ebenfalls große Bedeutung zu. Und zu guter Letzt hat man in diesem vielschichtig verflochtenem Umfeld noch das Ziel Frontloading zu erreichen, also Probleme möglichst früh in einer Entwicklungsphase zu erkennen und zu beheben. Von daher ist ein systemisches End-to-End-Verständnis wesentlich, das gilt insbesondere hinsichtlich der gegenseitigen Abhängigkeit von Safety und Security.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Welche Auswirkungen hat dies auf Ihre Entwicklungs- und Testprozesse? Und was unterscheidet die ESG hier von anderen Unternehmen?
Im Bereich Entwicklungs- und Testprozesse beschäftigen wir uns intensiv mit dem Thema Virtual Engineering. Durch Virtual Engineering wird möglichst viel Funktionalität zum frühestmöglichen Zeitpunkt abgesichert, quasi bevor man das Blech biegt. Durch clevere Aufteilung der Absicherung und die Verlagerung in die frühe Entwicklungsphase vermeidet man die Notwendigkeit, bei Funktionsupdates viele Millionen Kilometer fahren zu müssen. Manuelle Fahrtests wird es dennoch weiterhin geben. Den Aufwand wird man jedoch nicht für jede Fahrzeuggeneration und nicht für jedes Derivat im heutigen Umfang leisten (müssen). Vieles wird man in den frühen Phasen durch Tests mit Architekturmodellen absichern, weiteres auch in späteren Entwicklungsphasen mit Hilfe von Simulationen.
Ein weiteres Fokus-Thema ist die agile Entwicklung. Dies hilft uns erlebbare Funktionalitäten End-2-End zu liefern und mit der Dynamik der Märkte mitzuhalten.  Es ist erfreulich, dass Agile-Prozesse bei vielen Kunden inzwischen eingeführt werden.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Inwieweit beeinflusst das Thema alternative Antriebe Ihre Entwicklungen? Wie bewerten Sie dabei die Tatsache, dass VW mit der Einrichtung eines Vorstandsressorts E-Mobilität ins Jahr 2018 gestartet ist?
Ich sehe zwei Kräfte, die alternative Antriebe treiben: Zum einen ist es das Ziel der Emissionsreduzierung, in jüngster Zeit nochmals beschleunigt vorangetrieben durch die Diskussionen rund um die Diesel-Thematik. Es ist dabei die Erkenntnis gereift, dass zum Erreichen der Flottenziele alternative Antriebe erforderlich sind. Eine weitere treibende Kraft ist die Systemkomplexität: Elektro-Autos werden einfacher, effizienter und zuverlässiger, was es vielen Firmen erst möglich macht, in den Automotive-Markt einzusteigen. Wenn Dyson beispielsweise ankündigt, bis 2020 ein Auto auf den Markt bringen zu wollen, ist dies mit Elektromotoren natürlich wesentlich einfacher, als zunächst einen gesamten herkömmlichen Antriebsstrang aufzubauen.
Von Daher ist e-Mobility ein Eckpfeiler des ESG Mobility Portfolios.
Was VW angeht, so gelten die Wolfsburger als Vorreiter der Modularisierung mit Baukästen. Ich sehe in der Gründung dieses neuen Ressorts eine konsequente Fortsetzung der Strategie des VW-Konzerns. Es ist wirklich spannend, wo diese Reise in den nächsten Jahren hinführen wird.

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