Blickt man in ein paar Jahren auf die Zeit der Coronapandemie zurück, gehören Erfolgsmeldungen aus der Wirtschaft wohl eher zu den Ausnahmen. Beispielsweise konnten sich die meisten IT-Konzerne durch die beschleunigte digitale Transformation wahrlich nicht über mangelnde Umsätze beschweren. Und auch in der Autobranche gab es Krisengewinner – zumindest wenn der Blick auf einzelne Antriebstechnologien fällt: Laut Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) für das Jahr 2020 hat sich die Elektromobilität in Deutschland trotz eines rund zwanzigprozentigen Rückgangs der Zulassungszahlen in Zeiten von Corona stärker durchgesetzt als jemals zuvor. Alternative Antriebe beanspruchten rund ein Viertel aller Neuzulassungen. Die Anzahl der Pkw mit reinem Elektroantrieb verbuchte sogar ein Zulassungsplus von 206 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt wurden im letzten Jahr 394.940 Stromer neu zugelassen.
„Die E-Mobilität ist in der Mitte der mobilen Gesellschaft angekommen. Positive Nutzererfahrungen, verlässliche Technologien und ein wachsendes Angebot erleichtern den Umstieg in die E-Mobilität. Bei einem anhaltenden Zulassungstrend der Fahrzeuge mit elektrischen Antrieben von rund 22 Prozent wie im letzten Quartal 2020 kann das von der Bundesregierung formulierte Ziel von sieben bis zehn Millionen zugelassenen Elektrofahrzeugen in Deutschland bis zum Jahr 2030 erreicht werden“, frohlockt bereits KBA-Präsident Richard Damm.
Doch aufkeimender Hoffnung wurde in der Vergangenheit oft genug der (Lade-)Stecker gezogen. Dafür tragen sowohl Politik als auch Industrie die Verantwortung. Schon 2011 formulierte die Bundesregierung das hehre Ziel, im Jahr 2020 deutschlandweit eine Million E-Fahrzeuge auf die Straßen zu bringen. Immerhin wurde diese Strategie dann 2017 im Angesicht der tristen Verbrennerrealität still und heimlich wieder verworfen. Denn die deutsche Autobranche hat in der Vergangenheit in Sachen E-Mobilität viel zu wenig getan: Eine bescheidene Auswahl an elektrischen Modellen, schwache Reichweiten und eine dürftige Ladeinfrastruktur haben hierzulande selbst die größten E-Enthusiasten lange Zeit abgeschreckt.
Und während Elektropionier Tesla im US-Heimatmarkt sowie in China von Zulassungsrekord zu Zulassungsrekord eilte, wurde in Deutschland noch über Formulierungen in der Ladesäulenverordnung II debattiert. Auch die Zulieferer sperrten sich lange gegen den technologischen Wandel. Mit Systemen und Komponenten für Verbrennungsmotoren haben Continental und Co. in der Vergangenheit schließlich gutes Geld verdient. Da tut ein Strukturwandel natürlich ungemein weh und schlägt sich zu Anfang auch negativ in der Bilanz nieder. In Zeiten von kriselnden Märkten und kurzfristig denkenden Aktionären ein schwieriges Unterfangen.
Deutsche Autobauer investieren Milliardensummen
Im Land der Zauderer ist mittlerweile jedoch die Erkenntnis gereift, dass der Automobilstandort Deutschland die Transformation Richtung Elektromobilität angehen muss, um Arbeitsplätze zu sichern und das Wohlstandsniveau langfristig halten zu können. Der Druck ist jedoch nur zum Teil intrinsischer Natur, denn es ist Europa, das in Sachen Klimaschutz Ernst macht: So können die Pariser Klimaziele zur CO2-Reduktion wohl nur eingehalten werden, wenn die hiesigen Hersteller ihren Flottenverbrauch durch eine gehörige Zahl an neu abgesetzten Elektroautos deutlich senken.
Dafür investieren die Autobauer nun kräftig in den Aufbau entsprechender Produktionskapazitäten. Allein beim Volkswagen-Konzern fließen in den nächsten fünf Jahren insgesamt 35 Milliarden Euro in die Elektromobilität. Bis 2030 sollen bei den Wolfsburgern etwa 70 reine E-Modelle und 60 Hybridmodelle auf dem Markt sein. 19 der insgesamt anvisierten 26 Millionen produzierten E-Fahrzeuge sollen auf dem Elektrobaukasten MEB basieren, die meisten der übrigen sieben Millionen auf einer neuen Grundstruktur für Oberklassefahrzeuge. In neun Jahren will der Autokonzern zudem sieben Millionen zusätzliche Hybridfahrzeuge produziert haben.
Auch bei Daimler gilt das Jahr 2030 als wichtige Zielmarke. Zu diesem Zeitpunkt soll mehr als die Hälfte der Autos mit Stern mit Elektroantrieb verkauft werden, hierzu zählen sowohl vollelektrische Fahrzeuge als auch Plug-in-Hybride. BMW will in den nächsten drei Jahren 25 E-Modelle auf die Straßen bringen. Bis 2025 rechnet der bayerische Premiumhersteller mit einer steilen Wachstumskurve: Jahr für Jahr soll der weltweite Absatz elektrifizierter Fahrzeuge um durchschnittlich über 30 Prozent steigen. Auch in Europa folgt das Unternehmen einer sehr anspruchsvollen Steigerungslogik: In diesem Jahr soll dort der Anteil der Stromer in der Neuwagenflotte ein Viertel betragen, 2025 ein Drittel sowie 2030 auf die Hälfte des Absatzvolumens wachsen.
Europa löst China als E-Leitmarkt ab
Denn allen Unkenrufen zum Trotz tut sich Europa im Gegensatz zum bisherigen E-Leitmarkt China als Krisengewinner hervor: Der Marktanteil der elektrischen Fahrzeuge kletterte 2020 laut Analyse der Strategieberatung Strategy& in den europäischen Kernmärkten Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien zusammen auf knapp 24 Prozent. Hier verzeichnen Plug-in-Hybride im Jahresvergleich das größte Wachstum (+248 Prozent) und erreichten einen Anteil von 20 Prozent an allen neu zugelassenen Elektroautos, während die rein batterieelektrischen Fahrzeuge 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 179 Prozent auf 24 Prozent Anteil wuchsen.
Im globalen Vergleich bleibt der Marktanteil von Elektroautos in China mit 7,2 hinter dem Europas zurück, zeigt aber ein klares Übergewicht von 70 Prozent reinen Batteriefahrzeugen im Segment. Trotz eines massentauglichen Angebots von sehr günstigen Stromern wuchs der entsprechende Markt im Reich der Mitte letztes Jahr nur um 20 Prozent. In den USA verhindert unter anderem der Fokus auf hochpreisige Fahrzeugsegmente laut den Strategy&-Experten noch immer das weitere Wachstum der Elektromobilität. Trotz stagnierender Absatzzahlen stieg der E-Anteil auf dem US-amerikanischen Markt von 4,3 im Jahr 2019 auf 5,1 Prozent ein Jahr später.
„Neue Produkteinführungen und das ungebrochene Interesse an E-Autos werden auch dieses Jahr für ein großes Absatzwachstum sorgen“, erwartet Christoph Stürmer, Global Lead Analyst bei PwC Autofacts und Leiter der Studie. „Zudem werden nun neben der öffentlichen Ladeinfrastruktur auch private Ladesäulen gefördert, was einen kritischen Erfolgsfaktor für die Mobilitätswende darstellt.“
Ladeinfrastruktur bleibt Achillesferse
Damit kommt Stürmer genau auf den Punkt zu sprechen, der für viele Jahre das Wachstum der E-Mobilität hierzulande ausgebremst hat – der Mangel an geeigneten Lademöglichkeiten. Dieses Versäumnis möchte man in Berlin nicht wiederholen. Das Bundeskabinett hat jüngst das sogenannte Schnellladegesetz und das Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz (GEIG) auf den Weg gebracht.
„Es kommen immer mehr E-Autos auf die Straßen, im Januar war mehr als ein Fünftel aller Pkw-Neuzulassungen in Deutschland elektrisch. Wir begrüßen daher, dass die Politik den Ausbau der Ladeinfrastruktur mit dem Schnellladegesetz und dem GEIG vorantreibt. Jetzt müssen die beiden Vorhaben rasch umgesetzt werden, damit die Ladeinfrastruktur schnell ausgebaut wird und mit dem Hochlauf der Neuzulassungen von E-Pkw Schritt hält“, so Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA).
Neben der Förderung des Aufbaus der halböffentlichen und privaten Ladeinfrastruktur gilt es jedoch auch die Lademöglichkeiten in die Breite zu tragen. Im ersten Quartal 2021 lag die Anzahl der öffentlichen Stationen laut dem Ladekarten-Startup Chargemap bei knapp 22.000 Stück. Das dichteste Netz an Ladestationen ist in Hamburg zu finden. Bei den Flächenländern übernimmt Bayern die Führungsrolle.
Dennoch sei der bisherige Ausbau nur ein Tropfen auf den heißen Stein: „Ein beschleunigter Ausbau des öffentlichen Ladenetzes bis Ende 2024 wäre wünschenswert, da ab 2025 strengere CO2-Emissionsregelungen gelten und noch höhere EV-Verkäufe erfordern – dafür sollten die Ladenetze rechtzeitig vorbereitet werden“, mahnt auch PwC-Experte Christoph Stürmer an. Diesem Ziel haben sich auch die Autohersteller verschrieben und setzen mit eigenen Diensten wie dem Schnellladenetz Ionity eigene Akzente. Mittlerweile sind neben BMW, Daimler und dem Volkswagen-Konzern auch Ford und Hyundai mit an Bord.
„Neben der reinen Anzahl der Ladepunkte sind die Fragen, wie lange regulatorische Anreize zum Ausbau der Ladeinfrastruktur noch notwendig sind und ab wann sich die Infrastruktur selbstständig ausbaut, entscheidend. Darüber hinaus wäre es aus unserer Sicht sinnvoll, die öffentliche Ladeinfrastruktur frühzeitig auf einen möglichst gängigen und leistungsfähigen Ladestandard auszurichten“, so Jörn Neuhausen, Director bei Strategy& Deutschland. Nur wenn Ladeinfrastruktur, Förderung und der Fokus auf E-Mobilität anhalten, kann der Turnaround gelingen.