Die zentralen Argumente der Gegner von Elektrofahrzeugen sind seit Jahren dieselben. Neben dem höheren Preis der Stromer, der inzwischen durch die Kaufprämie der Bundesregierung deutlich gemindert wurde, lassen sich die Beschwerden relativ einfach zusammenfassen: Laden ist nicht dasselbe wie Tanken.
An der Aral, Esso oder Shell um die Ecke oder an der Autobahn, lässt sich die Reichweite des Fahrzeugs ohne großen Aufwand und ohne große Ladezeit noch mit einem Schokoriegel im Tankstellenshop verbinden und schon kann die Reise weitergehen. Bei der Elektromobilität gestaltet sich die Lage schon deutlich schwieriger: An der ordinären Haushaltssteckdose kann es durchaus einen halben Tag in Anspruch nehmen, die Akkus wieder zu füllen. Ist die Reichweite auf einer längeren Reise verbraucht, muss zunächst einmal eine freie Ladesäule gefunden werden. Die Dauer des Ladevorgangs braucht anschließend deutlich länger als die übliche Toiletten- oder Kaffeepause an der Autobahnraststätte.
Insbesondere der Gedanke, die Langstrecke batterieelektrisch zurücklegen zu müssen, versetzt viele Autofahrer in Panik. Unter anderem deshalb, weil sich – wie in China – Wechselakkus hierzulande nicht flächendeckend durchzusetzen vermögen und der Siegeszug der Wasserstoff-Technologie weiter auf sich warten lässt. Solange also eigene Batterien als Stromspeicher für das Elektrofahrzeug der Antrieb der nahen Zukunft sind, muss sich beim Ausbau der Ladesäulen vor allem im Hochvoltbereich etwas tun, denn: Laut der Continental-Mobilitätsstudie 2020 ist die fehlende Ladeinfrastruktur für rund drei von fünf Befragten in Deutschland, den USA, China und Japan das stärkste Argument gegen den Kauf eines eigenen E-Fahrzeugs.
Ausbauziele liegen in weiter Ferne
Laut der Bundesnetzagentur befanden sich in Deutschland zu Beginn des Februars 2021 33.811 öffentlich zugängliche Normalladepunkte und 5.630 Schnellladepunkte für Elektrofahrzeuge am Netz. Die Zahlen sind noch weit entfernt von der einen Million Ladepunkte, die im Masterplan Ladeinfrastruktur der Bundesregierung für das Jahr 2030 vorgesehen sind. Doch auch niedrigere Zielsetzungen werden schwierig zu erreichen sein. Laut Berechnungen der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur brauche es in Deutschland bis 2030 rund 440.000 bis 843.000 öffentliche Ladepunkte. Alleine für die Untergrenze des Zielkorridors entspreche dies rund 1.000 neuen Ladepunkten pro Woche, rechnet der VDA vor. Bisher kämen jedoch nur etwa 200 öffentlich zugängliche Ladepunkte pro Woche hinzu.
Die Autoindustrie habe ihren Beitrag bereits geliefert, heißt es dennoch seitens des VDA. Die Unternehmen haben dem Verband zufolge mehr als 15.000 Ladepunkte an den eigenen Betriebsstellen eingerichtet. Der Schlüssel für einen raschen Ausbau des Ladenetzes liege bei den Kommunen, so der Auto-Verband. „Jeder Landrat und jeder Bürgermeister sollte nun einen eigenen Ladenetz-Ausbauplan erarbeiten und mit den Partnern vor Ort vorantreiben“, heißt es. Gefordert seien damit auch die Mineralölwirtschaft mit ihrem Tankstellennetz, die Energiewirtschaft, die Wohnungswirtschaft, die Parkplatzbetreiber und die Automobilindustrie. Zusätzlich zu Parkplätzen von Supermärkten und Shopping-Zentren, Flughäfen, Bahnhöfen, Parkhäusern und Unternehmen brauche es zudem viele private Ladepunkte an Wohnhäusern, die Experten zufolge künftig für bis zu 80 Prozent aller Ladevorgänge genutzt werden könnten.
Die Autobranche rückt zusammen
Den Ausbau der notwendigen Infrastruktur bündeln die deutschen Autobauer gemeinsam mit internationalen Partnern vor allem im 2017 gegründeten Joint Venture Ionity. Neben BMW, der Mercedes-Benz AG und dem Volkswagen-Konzern mit Audi und Porsche gehören dem Konsortium auch Ford und seit Ende letzten Jahres Hyundai an. Neben dem Ausbau der physischen Infrastruktur außerhalb von Metropolregionen und Städten steht bei Ionity auch die Vereinheitlichung der IT-Infrastruktur für die Abrechnung von Ladevorgängen im Fokus: Unter anderem sind der Audi E-Tron Charging Service, Mercedes me Charge, BMW ChargeNow, der Porsche Charging Service und Volkswagens We Charge in den Dienst eingebunden. Aktuell betreibt Ionity europaweit rund 280 Ladestationen mit über 1.000 einzelnen Schnellladern, weitere 30 Stationen befinden sich im Aufbau. Zum Vergleich: Die Discounterkette Aldi Süd kündigte alleine für das Jahr 2020 den Aufbau von 200 Ladestationen mit jeweils mindestens zwei Chargern an den eigenen Standorten an, Tankstellenbetreiber Aral möchte bis Ende 2021 rund 500 Schnellladepunkte mit einer Leistung von bis zu 350 Kilowatt aufbauen.
Um den Ausbau zu beschleunigen, könnte etwa Audi einen zusätzlichen Alleingang wagen: „Wir wollen nicht, dass der Verkauf unserer Fahrzeuge am Mangel an Ladestationen scheitert“, sagte etwa Audi-Chef Markus Duesmann gegenüber dem Handelsblatt. „Wir prüfen, ob wir eine eigene Premium-Ladeinfrastruktur in großen Städten aufbauen.“ Das Audi-Netz soll demnach aus Schnellladestationen mit einer Leistung von mindestens 150 Kilowatt bestehen, die Kosten für die zunächst angedachten 200 bis 300 Stationen würden intern auf mehr als eine Milliarde Euro geschätzt, berichtet Duesmann. Auch Porsche könnte sich an dem Netz beteiligen.
Netzwerke statt Alleingänge
Aktuell ermöglichen die Services der Autohersteller vor allem den Zugang zu Ladestationen zahlreicher anderer Betreiber. PSA nennt etwa 140.000 Ladepunkte, die über die App Free2move ansteuerbar sind. Der Volkswagen-Dienst We Charge erlaubt das Laden an 150.000 Säulen in Europa. „We Charge-Kunden können also mit nur einer Karte den Großteil des europäischen Ladenetzes nutzen, das derzeit rund 220.000 Ladepunkte umfasst“, erklärt Martin Roemheld, Head of E-Mobility Services, Marke Volkswagen. „Angebunden sind sowohl die Ladepunkte von großen, europaweit tätigen Betreibern als auch von regionalen Anbietern wie den Stadtwerken.“ Die Marke Volkswagen selbst betreibe an ihren Standorten in Deutschland mehr als 1.200 Ladepunkte, berichtet Roemheld, ein Großteil davon sei öffentlich zugänglich. Für das Jahr 2021 plant der Wolfsburger Konzern weitere 750 Charging Points. „Der Volkswagen Konzern engagiert sich zudem weltweit beim Aufbau von Schnellladenetzen“, erklärt Roemheld. „Unter anderem mit Ionity in Europa, mit Electrify America in den USA und CAMS in China.“
Einen absehbaren Sieger beim Wettlauf um den Aufbau der Ladeinfrastruktur gibt es derzeit noch nicht. „Hierbei gibt es keine Schwarz-Weiß-Antwort, da dieses Rennen noch lange nicht abgeschlossen ist. Betrachtet man den Status Quo, ist eher das Gegenteil der Fall“, sagt Axel Schmidt, Senior Managing Director und Industry Sector Lead Automotive beim Beratungsunternehmen Accenture. Aktuell lasse sich beobachten, dass viele bereits existierende Akteure ihr Engagement massiv ausbauen: Etwa die Bundesregierung mit dem jüngst diskutierten Konzept, dass mit knapp zwei Milliarden Euro bis Ende 2023 rund 1.000 Ladestationen an Autobahnen, aber auch in abgelegenen Regionen aufgebaut werden sollen, aber auch die Betreiber konventioneller Tankstellen. Diese Entwicklung sei durchaus positiv zu bewerten, erklärt Schmidt: Szenarien, in denen eine Industrie voranprescht, würden nicht den Effekt einer flächendeckenden Verfügbarkeit erreichen. „Vor diesem Hintergrund, begrüßen Verbraucher die Tatsache, dass die Automobilindustrie, die Energiewirtschaft, die Bundesregierung und weitere Parteien gemeinsam an einem Strang ziehen und Elektromobilität für Jedermann bereitstellen.“ Nichtsdestotrotz sei das Engagement der Automobilindustrie bemerkenswert, da es weit über Joint Ventures hinaus gehe. „Aktuell gibt es Initiativen, die von einzelnen OEMs parallel und mit Milliarden-Investments durchgeführt werden“, so Schmidt.
Zu einem harten Wettbewerb verschiedener Branchen werde es beim Aufbau der Infrastruktur vermutlich nicht kommen, erklärt der Experte. Vielmehr werde es Aggregatoren geben, die diverse Anbieter von Ladesäulen zusammenfassen, um Kunden den größtmöglichen Nutzen zu bereiten. „Plattformen, die sich die große Anzahl verschiedener Betreiber zu Nutzen machen und einen standardisierten Service anbieten, beispielsweise mittels eines RFID-Chips, den ich mit meinem Benutzerkonto verknüpfe und somit bei einer großen Anzahl verschiedener Provider Strom beziehen kann, sind gut positioniert“, bewertet Schmidt. „Auch die einzelnen Betreiber profitieren hierbei insofern, als dass sie sich ohne Akquisitionskosten neue Zielgruppen erschließen können, wobei der Kunde von einer einheitlichen Benutzeroberfläche und Prozessen nativ an das Thema Laden herangeführt wird - eine Win-Win-Win-Situation.“