Herr Engelhorn, Spartanburg ist nicht nur das größte BMW-Werk weltweit, sondern auch der führende Standort für mehrere größere SUV-Modelle. Gibt es dadurch mehr Möglichkeiten, die Entwicklung und Markteinführung von Modellen zu unterstützen?
Wir sind ein vollwertiges Werk für die gesamte Fahrzeugfertigung. Die Entwicklung erfolgt in München und wird zu einem bestimmten Zeitpunkt im Entwicklungszyklus hierher verlagert, um die Produktionsplanung abzuschließen. Nachdem das Konzept aus München kommt, sind wir federführend bei der Integration in das Werk und der Einbindung der Lieferantenlandschaft. Wir haben unsere eigene Abteilung für Qualität und Fahrzeugvalidierung, die die Prozessschritte von der Idee bis zum Angebot und vom Prototyp bis zur Serienproduktion begleitet. Es gibt auch gemeinsame Funktionen und Schnittstellen zwischen der Zentrale und dem Werk, zum Beispiel im Einkauf und in der Produktplanung. Das gilt insbesondere bei Modellen, für die wir das Leitwerk sind – und beispielsweise beim X3 auch die Verantwortung für die Produktionsreife an den Standorten in China und Südafrika haben. Dadurch haben wir zwar etwas mehr Möglichkeiten als einige Werke in Deutschland, aber der grundsätzliche Prozess von der Entwicklung bis zur Produkteinführung ist gleich.
Sie befinden sich mitten in einem riesigen Investitions- und Transformationsprozess. Was sind dabei ihre obersten Prioritäten?
An erster Stelle stehen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir führen neue Produkte, Technologien und Prozesse im Bereich der Elektrifizierung ein, aber auch neue Software und vernetzte Funktionen in unseren Fahrzeugen. Um diese Herausforderungen zu meistern, müssen wir unsere Mitarbeiter qualifizieren. Dafür haben wir ein neues Schulungszentrum mit einer Vielzahl von Werkzeugen, Robotern und Anlagen eröffnet. Gleichzeitig arbeiten wir eng mit Technical Colleges, Fachhochschulen und Universitäten zusammen, um Talente zu gewinnen und zu fördern. Ein weiterer Punkt ist die Zusammenarbeit mit unseren Zulieferern und politischen Partnern. Wir wollen unseren Lieferanten zur Seite stehen und einen gemeinsamen Standpunkt zur Ausbildung und Qualifizierung unserer Mitarbeiter vertreten. Mit dem Bundesstaat South Carolina arbeiten wir Hand in Hand, denn die Region wächst täglich, vor allem hier im Norden. Immer mehr Menschen ziehen wegen der Arbeit hierher, also brauchen wir vor allem Infrastruktur und Schulen, um erfolgreich zu sein. Wir sind auf einem guten Weg und pflegen partnerschaftliche Beziehungen zu den lokalen und staatlichen Behörden. Eine weitere Priorität lautet „performing while transforming“. Das bedeutet, dass wir in großen Stückzahlen produzieren und gleichzeitig das Werk für die Elektromobilität vorbereiten. Dabei bleiben wir flexibel und verfolgen einen technologieoffenen Ansatz. Es ist offensichtlich, dass der Anteil der E-Autoverkäufe steigt und weiter steigen wird. Wir sind aber auch überzeugt, dass es weiterhin eine Nachfrage nach unseren hocheffizienten Verbrennungsmotoren geben wird. Entscheidend ist, dass wir die Entwicklungen in unserer Lieferkette und unserem Werk antizipieren und flexibel darauf reagieren. Niemand kann die Kundennachfrage in drei oder vier Jahren mit Sicherheit vorhersagen. Bei neuen Investitionen und Lieferanten im Hinblick auf Elektromobilität wenden wir unsere Strategie „local for local“ an. Dazu gehört der lokale Bezug von Batteriezellen von unserem Partner AESC aus dessen neuem Werk in Florence, South Carolina, und die anschließende Montage der Hochvoltbatterien durch BMW in Woodruff – ganz in der Nähe unseres Fahrzeugwerks. So ermöglichen wir eine starke, lokale Wertschöpfungskette. Das wird wichtig sein, wenn wir Batterien mit neuartigen Rundzellen einführen, die viele neue Prozesse und Anlagen in der Produktion erfordern. Bei der Industrialisierung der Produktion wird es wichtig sein, eine genaue Überwachung und gemeinsame Qualifizierung zu gewährleisten.
Zurück zu den Mitarbeitern: Der Arbeitsmarkt ist angespannt und Sie haben erwähnt, wie schnell die Region South Carolina wächst. Steht BMW angesichts der Fluktuation vor größeren Herausforderungen beim Recruiting?
Die Pandemie und der Halbleitermangel haben es der gesamten Autoindustrie schwer gemacht, aber wir sind in einer guten Position. Unsere Strategie bei der BMW Group ist es, keine Jobs anzubieten, sondern Karrierewege mit zusätzlichen Qualifizierungsmöglichkeiten. Ich bin überzeugt, dass das für junge Menschen wichtig ist. Wir versuchen auch Eltern davon zu überzeugen, dass eine Karriere im produzierenden Gewerbe genauso wertvoll ist wie eine im Finanz- und Dienstleistungssektor. Die Automobilproduktion kann eine lebenslange Karriere bieten – mit der Chance, innerhalb unseres Netzwerks ins Ausland zu gehen, einen festen Arbeitsplatz zu haben und sich weiterzubilden. Wir haben intensiv an der Entwicklung dieser Programme gearbeitet, um damit Menschen zu überzeugen. Und wir haben echte Fortschritte bei der Weiterentwicklung und Rekrutierung neuer Mitarbeitender gemacht.
Sie produzieren bereits viele Modelle und Derivate, darunter auch den XM – und das noch vor der Einführung von Elektroautos. Welche Strategien verfolgen Sie, um diese Vielfalt in Ihrer Produktion abzudecken?
Wir sind stolz auf die Art und Weise, wie wir mit Varianz umgehen, was ein hohes Maß an Prozessreife – und Disziplin – sowohl in der Fabrik als auch bei den Lieferanten erfordert. Das macht die Abläufe bei BMW aus. Auf der anderen Seite versuchen wir, Komplexität zu reduzieren und Prozesse zu vereinfachen. Wir bieten nur das an, was sich die Kunden wünschen oder was uns von anderen unterscheidet. Das ist immer eine Gratwanderung, aber ich bin überzeugt, dass unsere Autos stark auf die Kundenanforderungen ausgerichtet sind und wir deshalb in der Produktion immer mit Komplexität umgehen müssen.
Sie scheinen auch zu versuchen, die Komplexität in der Wertschöpfungskette zu verringern, indem Sie bestimmte Prozesse und Lieferanten lokalisieren?
Sie haben Recht, „local for local“ ist eine Möglichkeit, die Komplexität der Lieferkette zu verringern. Wir sehen Vorteile darin, zum Beispiel die größeren Karosserieteile in der Nähe des Werks zu haben. Außerdem investieren wir in ein neues Press- und Stanzwerk, das nächstes Jahr eröffnet wird. Durch die Verkürzung der Lieferkette sehen wir Verbesserungen bei den Vorlaufzeiten und der Lieferung. Außerdem verringern wir so Risiken, Logistikkosten und Emissionen. Wir erwarten weiterhin eine optimale Produktionsqualität, da wir die Abläufe besser überwachen und Produktänderungen besser steuern können. Dies ist einer der Gründe, warum wir die Batterieproduktion und -versorgung in der Nähe des Werks aufbauen.
Und mit dem Press- und Stanzwerk im nächsten Jahr zielen Sie natürlich auf neue Modelle ab – und nicht nur auf Elektrofahrzeuge, die ab 2026 auf den Markt kommen?
Richtig. Das Presswerk ist eine wichtige Investition, die uns helfen wird, Qualität, Effizienz und Konsistenz zu steigern. Wir arbeiten mit Schuler zusammen, um die neueste Servopressenlinie einzusetzen, die bis zu 18 Hübe pro Minute ausführen kann. Das ist wirklich sehr schnell. Das wird uns dabei helfen, maximale Produktivität und Auslastung zu erreichen.
Wie bereiten Sie sich konkret auf den Hochlauf der Produktion von E-Fahrzeugen im Werk vor?
Im Batteriewerk in Woodruff, in das wir 700 Millionen US-Dollar investieren, werden wir neue Prozesse und Technologien für die Montage der sechsten Batteriegeneration einführen. Für das Werk in Spartanburg geben wir eine Milliarde Dollar für verschiedene Bereiche aus: unter anderem für die Anschaffung neuer Anlagen im Karosseriebau. Wir müssen unsere Logistik und die Handhabung der Batterien, die mehrere hundert Kilogramm wiegen, anpassen. Und wir erweitern die Montage für Elektroautos und höhere Stückzahlen. Der Ausbau der Montagehalle wurde in unserem Produktionslayout nach einer Finger-Anordnung umgesetzt. Wenn wir die einzelnen Finger (Erweiterungen der Montagehalle, Anmerkung der Redaktion) vergrößern, hilft uns das, größere Stückzahlen zu bewältigen, die sich aus den neuen Modellen ergeben.
Sie haben zuvor die Produktion am Standort München verantwortet, wo Sie die E-Auto-Produktion in die Montagelinie integriert haben. Dieses Werk wird jetzt auf die Produktion der Neuen Klasse umgestellt. Wie würden Sie den Umbau hier in Spartanburg damit vergleichen?
Der Unterschied ist, dass München ein Werk für Elektroautos werden wird. In Spartanburg wollen wir auch in den nächsten Jahren den Bedarf an Verbrennungsfahrzeugen decken, einschließlich Diesel- und Benzinmotoren. Flexibilität bleibt der Schlüssel zum Erfolg für unsere Produktion.
Verändert der Ansatz „Lean, Green, Digital“ auch die Art und Weise, wie Sie weitere Abläufe im Werk konzipieren und planen?
Auf jeden Fall. Bei Lean geht es darum, Prozesse zu optimieren und effizienter zu werden. Das gilt nicht nur für bestehende, sondern auch für zukünftige Prozesse. Deshalb achten wir bei neuen und modernisierten Anlagen sehr genau auf die Gestaltung und das Design. Auch in der Produktion können wir einen großen Einfluss auf Emissionen und Nachhaltigkeit nehmen. Wo auch immer wir investieren, wollen wir innovative, robuste und nachhaltige Technologien einsetzen. Das wird in Woodruff der Fall sein, wenn es darum geht, Solaranlagen zu installieren, Regenwasser aufzufangen und erneuerbare Energien zu nutzen. Das Gleiche gilt für die Modernisierung bestehender Anlagen, zum Beispiel in unserer Lackiererei, in der wir energieintensive Trocknungsprozesse reduzieren beziehungsweise abschaffen. Und heute, in unserer digitalen Welt, läuft kein Auto mehr ohne IT-Einsatz vom Band. Wir setzen beispielsweise künstliche Intelligenz ein, um mögliche Qualitätsprobleme oder Fehler beim Abgleich der verschiedenen Spezifikationen jedes Auftrags zu erkennen. Da wir in 120 verschiedene Länder exportieren, müssen wir sicherstellen, dass wir alle relevanten Zulassungsanforderungen erfüllen, und gegebenenfalls Anpassungen vornehmen, bevor wir ins Ausland liefern. Zum anderen nutzen wir zunehmend Daten aus unseren Produktionsprozessen, um herauszufinden, wo wir uns verbessern, die Effizienz steigern oder einen Mehrwert für unsere Kunden schaffen können. Wir müssen diese Daten ständig auswerten. Das bedeutet, wir brauchen Mitarbeiter mit den richtigen Fähigkeiten, um die gesammelten Daten zu analysieren und auf dieser Grundlage Entscheidungen zu treffen. Das wiederum hängt damit zusammen, wie wir unsere Mitarbeiter aus- und weiterbilden.
Abschließend: Sie und Ihr Team betonen die Notwendigkeit, Leistung zu erbringen und sich gleichzeitig zu verändern. Gibt es Risiken, die Sie überwinden müssen, um diesen Wandel erfolgreich zu gestalten und von seinen Chancen zu profitieren?
Die Chancen sind vielversprechend, denn die Elektrifizierung ist eine der wichtigsten Säulen für die Zukunft des Werks Spartanburg. Ich bin überzeugt, dass wir über das richtige Produktionskonzept verfügen, um flexibel auf die Kundenanforderungen reagieren zu können. Natürlich gibt es Risiken, wenn man eine Investition tätigt, die das Werk für die nächsten zwanzig Jahre ausrichtet – niemand hat eine Kristallkugel. Aber deshalb sind wir ja hier, um diesen Umbau flexibel zu gestalten, damit wir auch in Zukunft auf Kundenbedürfnisse und sich ändernde Vorschriften reagieren können – nicht nur in Amerika oder Europa, sondern auch in China und Asien. Genau das ist unsere Aufgabe: diese Flexibilität sicherzustellen.
Zur Person
Robert Engelhorn ist seit 2011 für die BMW Group tätig und hatte seitdem verschiedene Positionen in den deutschen Werken München und Regensburg inne. Im Jahr 2016 wechselte er zum Joint Venture BMW Brilliance Automotive (BBA) nach China, wo er den Bereich Technik und Produktion für die Werke Dadong und Tiexi leitete. Im Jahr 2018 übernahm Engelhorn die Leitung des BMW Werks München, wo er den Standort auf die Produktion des vollelektrischen BMW i4 vorbereitete. Im Jahr 2021 übernahm er die Leitung des Werks Spartanburg von Knudt Flor.
Das Interview mit Robert Engelhorn ist ursprünglich in englischer Sprache bei unseren Kollegen von automotive manufactoring solutions erschienen.