Global Automotive Business Vietnam / Warum Vietnam in den Fokus der Autohersteller rückt

Der Automarkt in Vietnam hat in den vergangenen Jahrzehnten einen deutlichen Aufschwung erlebt. (Bild: Adobe Stock / agrus, Vinfast)

Die Umstände könnten günstiger für einen Markteintritt sein. In den ersten neun Monaten des Jahres ist der Automobilmarkt in Vietnam um 27 Prozent eingebrochen. Gründe für den Abschwung sind ein schlechtes Wirtschaftsklima, hohe Zinsen, eine schlechte Kaufkraft und immer noch die Auswirkungen der Coronapandemie. Bei solchen Zahlen müsste eigentlich jeder Manager, der das BWL-Grundstudium erfolgreich absolviert hat, sofort die Reißleine ziehen und alles abblasen. Nicht so Skoda. Die Tschechen verkünden mit einer aufwendigen Zeremonie in Hanoi den Einstand in das südostasiatische Land. Gegen den Strom schwimmen ist aller Ehren wert, aber gleich gegen einen Wasserfall?  

Welches Potenzial steckt im Automarkt Vietnam? 

Uli Hoeneß, ehemaliger Boss des Fußballclubs FC Bayern, würde in diesem Fall mit einer alten Börsen- Weisheit kontern: „The trend is your friend.“ Das trifft auch in diesem Fall zu. Auf einen längeren Zeitraum gesehen, ist Vietnam von den reinen Zahlen her für die Automobilhersteller das, was eine nie versiegende Goldader für die Glücksritter im Westen der USA im 19. Jahrhundert war: „In der letzten Dekade hat der Automobilmarkt in Vietnam pro Jahr im Schnitt um 16 bis 18 Prozent zugelegt, zwischen 2015 und 2019 waren es sogar 22 Prozent“, erklärt Chu van Tuyen, Vize-Chef von Skoda Vietnam und gibt im gleichen Atemzug Entwarnung, was den temporären Abschwung angeht: „Im letzten Quartal sollen sich die Zahlen wieder erholen.“  

Ungeachtet dieser Entwicklungen hat das 99-Millionen-Einwohner-Land ein großes Absatzpotenzial. Auf tausend Einwohner kommen aktuell lediglich 38 Autos, allerdings sind 70 Millionen Motorräder unterwegs. Dass die allgegenwärtigen Mopeds auf den Straßen Vietnams bald der Vergangenheit angehören, ist klar, ebenso wie das, was sich die Autofahrer wünschen. Die Antwort lautet wie fast überall: SUV. Im vergangenen Jahr machten die Crossover 40,7 Prozent der Verkäufe aus. Bei einer Gesamtzahl von knapp 360.000 Einheiten sind das 146.500 Exemplare. Auf den Plätzen zwei und drei folgen kompakte Limousinen (25,4 Prozent) und Mehrzweckfahrzeuge, sogenannte MPVs (16,1 Prozent). „Wir erwarten, dass hier bis 2030 rund eine Million Autos pro Jahr verkauft werden“, sagt Chu van Tuyen, der auch bei Skodas lokalem Partner und Importeur TC Motor arbeitet. Der Importeur ist kein heuriger Hase. Die Thanh Cong Group arbeitet bereits seit einiger Zeit mit Hyundai beim Joint Venture Hyundai Thanh Cong Vietnam zusammen. 

Welche Autobauer sind in Vietnam vertreten? 

Hyundai betreibt bereits eine zweite Fabrik in der Ninh Binh Provinz und will so seine Produktionskapazitäten bis zum Jahr 2025 auf 180.000 Einheiten pro Jahr steigern. Auch Kia - zusammen mit Branchenführer Thaco Auto – produziert lokal, die deutschen Premiummarken Mercedes und BMW wollen ebenfalls in Vietnam Fuß fassen. Vor allem Toyota hat sich in den letzten 25 Jahren als eindeutiger Marktprimus etabliert und schon 1997 die erste Fabrik im südostasiatischen Land eröffnet.

Dementsprechend sind die Pfründe in Vietnam verteilt. Toyota hat 2022 den Automobilmarkt mit 24 Prozent Anteil dominiert, gefolgt von Hyundai (18 Prozent) und Kia (13 Prozent). Der lokale Autobauer Vinfast spielt mit einem Anteil von sechs Prozent eine vergleichsweise kleine Rolle und muss sich hinter Mitsubishi (neun Prozent), Mazda und Honda (je acht Prozent) auf Platz sieben einreihen. In diese Phalanx soll die tschechische VW-Tochter einbrechen. „Wir erwarten, dass Skoda mittelfristig drei Prozent Marktanteil hat, in zehn Jahren sollen es dann fünf bis sechs Prozent sein“, so Chu van Tuyen.  

Das sind die Pläne Skodas in Vietnam 

Ambitionierte Ziele. Zumal die Tschechen mit ihrem Markteintritt spät dran sind. Um den verlorenen Boden wiedergutzumachen, wählt die VW-Tochter eine Top-down-Strategie, indem sie mit dem SUV-Duo Kodiaq und Karoq, die beide aus Bremerhaven importiert werden, Premium-Flair verströmen und so die Bekanntheit der Marke erhöhen. Allerdings sind die Preise für hiesige Verhältnisse ziemlich gesalzen: Der Karoq Ambition 1.4 TSI kostet 999.000.000 vietnamesische Dong, also rund 38.400 Euro. Beim Kodiaq Ambition 1.4 TSI sind es umgerechnet etwa 45.700 Euro und wer den 2.0-TSI-Motor im Kodiaq Style bevorzugt, muss schon circa 54.160 Euro hinblättern. Das liegt auch an der Tatsache, dass dieses Jahr bei Importen ein Zoll-Aufschlag von 49 Prozent den Verkaufspreis nach oben schnellen lässt.  

Schnäppchen schauen anders aus. Aber darum geht es Skoda in diesem Fall gar nicht in erster Linie. „Wir wollten keine Zeit verlieren“, erklärt Skoda-Vertriebsvorstand Martin Jahn. Außerdem wird in den folgenden Jahren der Zoll für den Import jährlich um sieben Prozent sinken und die Import-Autos günstiger machen. Die Zielrichtung ist klar: Die vietnamesische Regierung will die Autobauer ins Land holen, aber auch Jobs generieren. Deswegen ist die lokale Produktion so wichtig. 

Die soll im nächsten Jahr mit dem Skoda Kushaq und dem Skoda Flavia erfolgen. „Volkswagen und Skoda haben das Potenzial, in Vietnam erfolgreich zu sein. Das Unternehmen muss jedoch seine Produktpalette an die Bedürfnisse der vietnamesischen Verbraucher anpassen“, analysiert Arnd Petmecky, Experte für Go-To-Market-Strategien bei der Bürgenstock Associates AG. 

Wird Skoda in Vietnam fertigen? 

Das sehen auch die Konzern-Strategen in Wolfsburg so. Die beiden kleineren Skodas sollen dann auch zwischen 25.000 und 35.000 Euro kosten. Das entspricht genau dem Summenkorridor, den die Vietnamesen für ein Auto ausgeben. Gelingt diese Ziellandung nicht, wird es mit dem angepeilten Erfolg schwierig. Auch das Händlernetz wird geknüpft. In Hanoi hat der erste Skoda-Händler die Pforten geöffnet, bis 2025 sollen es 20 Standorte sein und 2028 bis zu 30.

Barbara Sichler (Skoda) im Podcast Nagel/Tiedemann

Barbara Sichler im Podcast Nagel/Tiedemann

„Der Barbara von vor 20 Jahren hätte ich gern mitgegeben, sich mehr zu trauen, mehr Mut zu haben“, sagt Barbara Sichler. Die IT-Managerin ist heute Head of Software Engineering bei Skoda – damals hat sie als Frau und zudem nicht gelernte ITlerin mit ihrer Karriere auch gehadert, sagt sie offen.

 

Was sie in Helsinki gelernt hat, warum sie sich mit dem Blick nach China Sorgen um den Industriestandort Europa macht und warum sie gerade die Verbindung aus Technik und Business begeistert, erzählt sie im Podcast Nagel/Tiedemann.

Für die Fertigung entsteht im 36 Hektar großen Viet Hung Industrial Park in der Quang Ninh-Provinz, zwei Autostunden westlich von Hanoi, auf einer Fläche von 80.640 Quadratmetern eine Fabrik, in der die aus Indien angelieferten CKD-Elemente von mehr als 700 Arbeitern montiert werden. Im ersten Schritt beträgt die Kapazität der Produktion im Zwei-Schicht-Betrieb 40.000 Autos pro Jahr. Maximal sind 105.000 Einheiten Jahr möglich. Eine komplette Fertigung ist ohne weiteres machbar. Und wenn man die Strategie der vietnamesischen Regierung konsequent zu Ende denkt, inklusive Zuliefererparks auch erwünscht. 

Vietnam will E-Mobilität zum Durchbruch verhelfen  

Das wird vor allem bei der Elektromobilität wichtig, wenn es darum geht, bezahlbare Autos auf den vietnamesischen Markt zu bringen. „Vietnam ist ehrgeizig in Sachen Elektromobilität. Im Fokus sind hier große Städte wie Ho-Chi-Minh-Stadt, die eine Treiberrolle spielen“, fasst Arnd Petmecky die Situation zusammen. Hier gibt Hyundai den Takt vor. Am 1. August debütierte der Ioniq 5, Der Preis ist mit 54.000 Euro bereits eine Kampfansage an die Konkurrenz und damit auch an Skoda. Bei den BEVs fährt die tschechische VW-Tochter die gleiche Strategie wie bei den Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Erst kommt der Enyiaq ab 2025 als Premiumfahrzeug, als Import aus Europa.  

„Dann müssen wir schauen, ob das mit dem Elroq oder mit dem Small BEV funktionieren kann. Da steht noch nichts fest“, sagt Martin Jahn. Aber für den Vertriebler steht fest, dass auch in Südostasien die mobile Zukunft elektrisch ist. „Wir müssen bezahlbare Elektrofahrzeuge für diese Region haben. Da muss etwas kommen“, macht Martin Jahn klar und setzt damit ein klares Zeichen in Richtung der Konzernzentrale in Wolfsburg.

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