Wer der Frankfurter IAA zum Beispiel an diesem Montag- oder Dienstagmorgen einen Besuch abstattete, hatte ausreichend Platz. Die Zeiten, in denen man die Messeneuheiten nicht einmal aus der Nähe betrachten konnte, sind lange vorbei. Auf der 67. IAA herrscht gerade in den Vormittagsstunden gähnende Leere. Ein Abstecher in die Festhalle 1, die vom Daimler-Konzern in wochenlanger Vorbereitung zu einem wahren Autotempel geschmückt worden ist: Hier locken Neuheiten wie der Hypersportwagen von AMG, die überarbeiteten Modelle der S-Klasse und der Ausblick auf eine elektrische Mercedes A-Klasse. Viel los ist nicht. Ein paar Meter weiter in Halle drei werden kleinere Brötchen gebacken und es ist keinesfalls voller, obschon sich hier zahlreiche Marken präsentieren. Audi, einst auf der Agora mit eigenem Messebau einer der IAA-Höhepunkte, hat deutlich Luft aus dem Messeauftritt gelassen und ist ins Konzernkörbchen geklettert. Die Halle drei beheimatet mittlerweile alle Marken des Volkswagenkonzerns. Ein Blick auf den neuen Bentley Continental, den neuen Frischluft-Huracan von Lamborghini oder die visionären Zukunftsstudien von Audi namens Aicon und Elaine. Volkswagen selbst stellt wirklich wichtige neue Modelle längst außerhalb des Messeumfeldes vor und auch Skoda hat die Studie seines elektrischen Vision E bereits vor ein paar Monaten in Shanghai enthüllt.
Das größte Messe-Tam-Tam bietet in diesem Jahr die Halle 11 am anderen Ende des Messegeländes. BMW zelebriert zusammen mit Mini hier einen Markenauftritt, wie ihn die IAA bisher nicht gesehen hat. Doch selbst hier tummeln sich zu großen Teilen des Tages nur ein paar Handvoll Zuschauer. Genug, um das mächtige Invest einer IAA zu rechtfertigen? Wohl kaum. Die großen deutschen Marken lassen sich einen Markenauftritt am Main alle zwei Jahre einen Betrag zwischen 15 und 50 Millionen Euro kosten. Die Importeure liefern auf der 67. Internationalen Automobil Ausstellung - für zugegeben deutlich weniger Geld - eine enttäuschende Vorstellung ab. Ein knappes Dutzend Marken sind gar nicht mehr vertreten und die, die noch gekommen sind, haben ihre Neuheiten oftmals schon einige Wochen vor der Messe bei Einzelevents enthüllt. Tesla hat seinen messianisch gefeierten Hoffnungsträger, das Mittelklassemodell Model 3, ebenso erstmals bei einer einzelnen Veranstaltung entblättert wie Nissan seinen neuen Leaf, das aktuell meistverkaufte Elektroauto der Welt. Beide Marken fehlen in Frankfurt. Fiat, Alfa Romeo, Jeep, Chrysler oder Volvo sind auf der IAA ebenso wenig vertreten wie Peugeot oder DS.
Was waren das für glorreiche Autozeiten, als die Messe Motorama in den 50er Jahren durch die USA und die Menschen mit Fahrzeugen und Innovationen fesselte. Wenn eine Motorama in eine amerikanische Stadt kam, gab es kein Konkurrenzprogramm. Vater, Mutter, Kind und die Großeltern - da musste jeder hin. General Motors hatte Motorama im Jahre 1949 ins Leben gerufen und so die Idee von Alfred P. Sloan weiterentwickelt, der technische Innovationen seit den 30er im Hotel Waldorf Astoria der Öffentlichkeit nahebrachte. Die amerikanische Bevölkerung sollte nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Lust auf Autos bekommen. So wurden nicht nur Neuheiten, sondern insbesondere auch Studien, Prototypen oder spektakuläre Einzelstücke in Szene gesetzt. Bei der Erstauflage nach dem Zweiten Weltkrieg kamen bereits mehr als 600.000 Besucher. Nach dem lokalen Erfolg ging Motorama ab 1953 auf Tour durch die Vereinigten Staaten. US-Klassiker wie die Corvette, Cadillac Le Mans oder die Fiberglas-Modelle wurden so zu Legenden. Das Publikum strömte und kaufte in den Wochen danach bei lokalen Händlern die Neuheiten.
Doch diese Zeiten sind vorbei - einmal mehr auf der ehemaligen Leitmesse IAA. Die ist fraglos nach wie vor ein Aushängeschild für die deutsche und europäische Autoindustrie und setzt ein Ausrufezeichen hinter Deutschland und Europa als wichtigen weltweiten Industriestandort. Doch die Begeisterung und die Sexiness, dass es tolle Autos erstmals auf der IAA zu bestaunen gab, ist Vergangenheit. Über die Neuigkeiten informiert man sich längst am eigenen Computer, auf dem Tablet oder schaut sich auf dem eigenen Smartphone erste Bildshows und Filmchen an. Das erspart einem den Aufwand auf die Messe zu reisen und nicht zuletzt den Eintritt, der mit 4,50 bis 16 Euro jedoch alles andere als überteuert erscheint. Mehr als anschauen, staunen, glotzen ist in Frankfurt allerdings nicht. Das Mitmachprogramm ist überschaubar und dünn, wobei es auf anderen Automessen in Detroit, Paris, Shanghai oder Genf nicht anders aussieht. Speziell eine Automesse erscheint auch deshalb mehr denn je als Auslaufmodell. Da erscheint es schon sinnvoller, wichtige Neuheiten bei einzelnen Events ins rechte Licht zu rücken oder andere Großveranstaltungen mit mehr Unterhaltungswert zu besuchen.
Da locken Events wie die Consumer Electronic Show in Las Vegas, die bei den Autoherstellern kurzzeitig gehypt wurde; nun aber wieder ins zweite Glied zurückzufallen scheint. BMW enthüllte sein 600 PS starkes Sportmodell M5 vor kurzem als kunterbunten Testballon auf der Gamescon in München – einer trendigen Spielemesse. Mercedes zieht es seit Jahren zu den Fashion Weeks in New York und Berlin, während gerade kleinere Autohersteller nur allzu gerne Abstecher zu norditalienischen Möbelmessen machen. In welche Richtung es zukünftig laufen könnte, zeigt der Innovationskongress South by Southwest (SXSW), der alljährlich im Frühjahr in Austin / Texas stattfindet. Hier präsentieren sich verschiedenste Konzerne innerhalb der City in kurzzeitig angemieteten Häusern, Hotels, Kongresssälen und lässigen Partys. Eintritt kostet fast nichts und die „Messebesucher“ können sich in der Innenstadt aussuchen, was und wen sie besuchen. Alles „free floating.“ Mitmachen? Dringend erwünscht! Arbeiten und Feiern geht dabei ohne Umschweife ineinander über, während die Konzerne ihre Botschaften scheinbar problemlos beim Adressatenkreis unterbringen. Mercedes hat auf der IAA in diesem Jahr mit dem Me-Kongress erstmals eine Partnerveranstaltung mit der South by Southwest gemacht, während BMW am Vortag der Messe eine TED-Konferenz in der eigenen Messehalle veranstaltete. Vielleicht ist das ein Weg, dass die Messen nicht untergehen. So wie sich aktuell präsentieren, sind sie von vorgestern – und wie.