Dieter Zetsche plaudert hier, plaudert da und hat trotz augenscheinlicher Müdigkeit immer noch ein Lächeln auf den Lippen. "Die Cowboystiefel habe ich mir heute hier in einem Laden gekauft", lacht er, "sie passen noch nicht ganz richtig." Dieter, wie ihn hier viele nennen, ist heute Gast im eigenen Hause. Der Daimler-Chef, spätestens seit seiner Zeit in den USA mit allen Qualitäten eines Bühnenartisten ausgestattet, stattet der Innovations- und Digitalisierungsmesse South by Southwest, kurz SXSW, einen kurzen Besuch ab.
Während andere deutsche Wirtschaftsgrößen aktuell mit der Bundeskanzlerin Richtung Washington zum Trump-Antrittsbesuch unterwegs sind, steht Zetsche im Vorgarten des House of Smart, 700 East 6th Street in Austin (Texas). Sein Auftritt auf der Showbühne ist kurz, der von Smart-Chefin Annette Winkler kaum länger. Große Reden will hier bei der 30. Auflage der SXSW keiner schwingen. Denn dann ist das zumeist junge Publikum schnell wieder weg. Autohersteller, die sich längst als Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen sehen, haben Messen wie die Consumer Electronic Show Anfang des Jahres in Las Vegas oder eben die South by Southwest längst zu ihren neuen Spielwiesen erkoren.
Braucht man noch eine eigene Automesse?
Vor rund 70 Jahren war die Autowelt noch in Ordnung. In den 50ern zog Motorama durch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zog. Straßen in den USA waren leergefegt, wenn Motorama in die Stadt einfiel. General Motors hatte die Veranstaltung Motorama im Jahre 1949 ins Leben gerufen und so die Idee von Alfred P. Sloan weiterentwickelt, der technische Innovationen seit den 30er im Hotel Waldorf Astoria der Öffentlichkeit nahebrachte.
Die amerikanische Bevölkerung sollte nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Lust auf Autos bekommen. So wurden nicht nur Neuheiten, sondern insbesondere auch Studien, Prototypen oder spektakuläre Einzelstücke in Szene gesetzt. Bei der Erstauflage nach dem Zweiten Weltkrieg kamen bereits mehr als 600.000 Besucher. Nach dem lokalen Erfolg ging Motorama ab 1953 auf Tour durch die Vereinigten Staaten. US-Klassiker wie die Corvette, Cadillac Le Mans oder die Fiberglas-Modelle wurden so zu Legenden. Das Publikum strömte und kaufte in den Wochen danach bei lokalen Händlern die Neuheiten.
Braucht man in Zeiten von TV, allgegenwärtigem Internet und grenzenloser Informationen für automobile Neuheiten überhaupt noch eine eigene Automesse? Wohl kaum. Dabei ist der derzeit laufende Genfer Salon oder die Jahresauftaktmesse in Motorcity Detroit noch eine kleine Nummer. Auf Messen wie der Frankfurter IAA, die im Zweijahres-Rhythmus Mitte September stattfindet, oder dem Pariser Salon wird ganz anders aufgefahren.
Die großen Hersteller planen bis zu zwei Jahre im Voraus am nächsten Messeauftritt. Messestand, neue Fahrzeuge, technische Innovationen und Choreographie der Präsentation werden zentimetergenau aufeinander abgestimmt. Gleichzeitig wurden die Neuheiten in den letzten Jahren jedoch immer dünner. Trotzdem verschlingen Messeauftritte der großen Hersteller in Frankfurt, Peking, Tokio oder Paris zweistellige Millionenbeträge. Dabei stehen längst nicht mehr die neuen Autos im Vordergrund. Hier ist den Konzernen das Risiko viel zu groß, die eigenen Neuheiten würden auf der Leistungsschau untergehen. Die wichtigsten Neuheiten werden schon ein paar Tage oder Wochen vor der Messe präsentiert. Ein paar Fotos, die Appetit machen sollen auf das neue Modell oder ein paar eindrucksvolle Filmschnipsel sind da genau richtig.
Trendige Nerds
Statt der klassischen Shows zieht es immer mehr Firmen auf anderes, bisher weitgehend unbekanntes Messeterrain. Auf der Suche nach einer neuen Kundenansprache werden Messen wie die Consumer Electronic Show (CES) in Las Vegas, die Möbelmessen in Norditalien, die New York Fashion Week oder eben die SXSW immer wichtiger. Autos sind hier nicht mehr als schmückendes Beiwerk, doch man präsentiert sich in einem anderen, ungewöhnlichen Umfeld; bestenfalls mit Anspruch, Ambiente und Charme. Immer größer werden die Messeauftritte der Automarken auf der CES in Las Vegas. Hierbei geht es weniger darum, in der Szene der IT-Nerds neue Kunden zu gewinnen. Vielmehr präsentieren sich Hersteller als innovative Zukunftsfirmen.
Dagegen sind Automessen wie der Genfer Salon, die Detroit Motorshow oder die IAA in Frankfurt eine alte, ganz alte Welt. Noch haben viele Autohersteller nicht den Mut, hier komplett loszulassen; doch immer mehr springen ab. Für die IAA haben unter anderem bereits Nissan, Peugeot, Citroen, Volvo und DS abgesagt. Doch waren die Messen einst Schaufenster für Innovationen und Mobilität von morgen, herrscht im Frankfurter Messezentrum oder dem Genfer Palexpo gähnende Langeweile.
Die Messen des Jahres 2017 unterscheiden sich kaum von denen vor 30 oder 40 Jahren. Ein paar Autos im Scheinwerferlicht und eine Branche, die sich selbstgefällig den dicken Bauch streichelt. So läuft das Ganze auf der South by Southwest in der 900.000-Einwohner-Metropole Austin nicht. Auch SXSW ist alles andere als neu. Vor 30 Jahren als Musikfestival gegründet, kamen die Besucher lange Jahre nur wegen der Rockstars. Ab Mitte der 90er Jahre wurde der Event im ungewöhnlich liberalen Austin (US-Bundesstaat Texas) schritt für Schritt zu einem Multimediafestival. Heute arbeiten, socializen, diskutieren und nicht zuletzt feiern mehr als 60.000 Besucher des Festivals in den verschiedensten Bereichen von Musik, Filmen und Hightech Tag und Nacht. Hier lernten Ideen wie Twitter oder Meerkat das laufen.
SXSW kommt zur IAA
Doch es dauerte lang, bis die Autohersteller - gefangen in ihrer eigenen millionenschweren Messewelt - auf das Festival am Colorado River aufmerksam wurden. Das SXSW ist kein Kongress oder gar eine Messe wie andere. Es gibt zehn Tage lang hunderte von Veranstaltungen, bei denen in Hotels oder offenen Themen- und Markenhäusern diskutiert wird. Smart ist erstmals mit seinem House of Smart vor Ort, Mazda stellt den Fahrdienst und Ford erzählt etwas über die vernetzte Zukunft. Hier spricht jeder mit jedem - über Gott und die Welt - vorausgesetzt, der eigene Name steht auf der Gästeliste. Ohne Kontakte und die richtigen Verbindungen geht hier gar nichts. Kurz mal in diese Diskussion einsteigen oder schnell zu dem Vortrag springen, läuft hier nicht. Man muss Zeit mitbringen, denn das Drumherum ist mindestens genauso wichtig, wie Botschaften und Ideen selbst.
Dass bereits zu morgendlicher Stunde ohne Scham Bierdosen und Weingläser geleert werden, ist hier an der Tagesordnung - die legendären Parties zu späterer Stunde sowieso. Doch wer die SXSW zu einem Partyevent abtun will, irrt gewaltig. Das lässige Arbeiten, das auch das Silicon Valley so kreativ hat werden lassen, gehört hier so selbstverständlich dazu wie die langen Schlangen vor den lokalen Starbucks-Filialen. Lockere Meetings, spannende Diskussionen über welchen auch noch so abstrusen Bereich - hier werden die Ideen von morgen geboren, die nicht nur die Autoindustrie so dringend benötigt. So ist es nicht nur zu erklären, dass Executives wie Bill Ford, Dieter Zetsche oder Annette Winkler ein paar Tage in Austin commuten, sondern auch ein Hersteller wie Nio sein neues vollautonomes Elektroauto mit Namen "Eve" erstmals auf der SXSW der Öffentlichkeit präsentiert. 2020 soll der Crossover auf den Markt kommt - mit autonomen Fahrfunktionen der Stufe vier allemal eine Herausforderung.
"Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass wir hier auf der South by Southwest einmal ein Auto präsentieren", sagt Zetsche, "vielleicht nicht gerade die neue S-Klasse. Aber sonst ." Da überrascht es, dass Mercedes eine Kooperation mit dem SXSW eingeht und parallel zur IAA im Herbst 2017 in Frankfurt einen Partnerkongress veranstaltet - nicht zuletzt um die verschiedenen Dienste von "Mercedes me" zu verbreiten. Doch ist ein Innovationskongress als Teil einer betagten Automesse ein visionärer Weg?