Jim Rowan with the Volvo EX30 Cross Country

Will bis zur Mitte des Jahrzehnts 1,2 Millionen Autos pro Jahr erreichen: Volvo-CEO Jim Rowan mit dem Volvo EX30 Cross Country (Bild: Volvo)

In sieben Jahren soll es soweit sein – Volvo will ab dem Dekadenwechsel nur noch Elektrofahrzeuge fertigen. Um zu sehen, wie Volvo mittlerweile tickt und wohin der Weg in den nächsten Jahren gehen soll, haben wir einen Blick hinter die Kulisse des Forschungs- und Entwicklungszentrums nebst Designcenter geworfen und uns auch die Fertigungsstätte im chinesischen Taizhou angesehen.

Volvo ist längst keine rein schwedische Marke mehr, denn bereits vor mehr als zwölf Jahren übernahm der chinesische Großkonzern Geely den schwedischen Autobauer. Geely besitzt neben seinen heimischen Marken mittlerweile nennenswerte Anteile an Marken wie Polestar, Lynk & Co, Taxi Cab London und selbst an Aston Martin oder Mercedes ist man relevant beteiligt.

Volvo setzt auf neue Antriebe, Design und Nachhaltigkeit

Unter Geely-Regie veränderte Volvo die Strategie, das Portfolio und insbesondere die Antriebe – ohne dabei die beiden Schwerpunkte Design und Nachhaltigkeit aus den Augen zu verlieren. Im Jahre 2017 kündigte Hakan Samuelsson als damaliger CEO an, dass innerhalb von zwei Jahren alle neuen Fahrzeuge mit einem Elektromotor in irgendeiner Form der Elektrifizierung ausgestattet sein werden und dass die Marke bis 2040 in all ihren Aktivitäten Kohlenstoffneutralität erreichen will. 2021 verpflichtete sich das Unternehmen, ab 2030 nur noch Elektrofahrzeuge herzustellen: 2023 wird der Anteil der Elektrofahrzeuge an den weltweiten Gesamtverkäufen 16 Prozent betragen und bis 2025 soll er auf 50 Prozent steigen. Schätzungen zufolge werden bis 2030 allein in China 16,5 Millionen Elektroautos verkauft - mehr als auf dem gesamten europäischen Markt - was 60 Prozent des gesamten Pkw-Marktes in China entspricht.

Globale Strategie mit acht Rekord-Jahren in Folge

Die Auswirkungen der neuen globalen Strategie des Unternehmens ließen nicht lange auf sich warten, und in acht aufeinanderfolgenden Jahren wurden historische Absatzrekorde erzielt, ehe die Pandemie nebst Halbleiterkrise 2020 die Rekordfahrt unterbrach. „Aber nicht mehr lange", sagt Volvo-CEO Jim Rowan, „bei unserem Börsengang haben wir gesagt, dass wir bis zur Mitte des Jahrzehnts 1,2 Millionen Autos pro Jahr erreichen werden, und wir haben die Absicht, uns an diesen Plan zu halten.“ Der schottische Fertigungsingenieur brachte eine neue Geschäftsvision mit, die typisch für jemanden ist, der keinen Hintergrund in der Automobilindustrie hat, nachdem er in den letzten anderthalb Jahrzehnten als COO bei Blackberry und als CEO der Dyson Group tätig war. Rowan ist zweifellos einer der großen Vektoren bei der Beschleunigung der Metamorphose von Volvo.

Diese Ziele konnten nur durch eine komplette Umstellung der Unternehmensorganisation erreicht werden, die nun eine zweiköpfige Leitung zwischen Göteborg und Shanghai aufweist. Das Unternehmen beschäftigt derzeit 40.000 Mitarbeiter, die sich auf sechs Fabriken weltweit (Göteborg, Gent in Belgien, South Carolina / USA und die chinesischen Werke Chengdu, Daqing und Taizhou) sowie auf mehrere Forschungs- und Entwicklungs- und Designzentren (Göteborg, Camarillo / Sunnyvale in den USA, Shanghai), Software- und Technologiezentren für autonomes Fahren (Singapur und Indien) sowie auf sämtliche Marketing-, Kommunikations-, Verwaltungs-, Finanz- und Handelsdienste verteilen.

Chengdu, Daqing und Taizhou sind die maßgeblichen Werke

Die industrielle Präsenz von Volvo in China basiert auf den drei Fabriken, in denen der XC60 (Chengdu), der S90 und der S60 (Daqing) sowie der XC40 und der C40 (Taizhou) hergestellt werden. Kommerziell ist die schwedische Marke in 160 Städten vertreten, in denen sie 298 Autohäuser betreibt, davon 25 in den Mega-City-Zentren dieses gigantischen Landes mit 1,4 Milliarden Einwohnern. „Dennoch“, so Bjorn Annwall, Chief Commercial Officer und stellvertretender CEO von Volvo, „gibt es Raum für Wachstum, wenn man bedenkt, dass das Verhältnis von Autos pro erwachsener Person 200 zu 1.000 beträgt.“

Annwall verrät auch, dass es eine andere Art von Daten gibt, die das Wachstumspotenzial für den Autoverkauf wie nirgendwo sonst auf der Welt ausschöpfen: „40 Prozent der Käufer von Premiumautos sind unter 35 Jahre alt (gegenüber 14 Prozent in den USA), und ihr Durchschnittsalter liegt bei 36 Jahren (50 in den USA und 56 in Europa).“ Nach Regionen betrachtet ist Europa der größte Markt für Volvo, aber nach Ländern betrachtet ist China der Markt Nummer eins mit einem Viertel vor den USA, Großbritannien und Deutschland.

 

Der F&E-Standort Shanghai wurde zum reinen Volvo-Zentrum

Mit einer Fläche von 65.000 Quadratmetern und mehr als 800 Ingenieuren, die hier täglich arbeiten, wurde das Entwicklungszentrum in Shanghai 2010 eröffnet. Der erste Volvo, der hier entwickelt wurde, war die Langversion der S60 Limousine, die dann in Chengdu hergestellt wurde. „Das F&E-Zentrum gehörte zunächst zu Geely. 2021 wurde es dann zu einem reinen Volvo-Zentrum und begann mit der Entwicklung von Fahrzeugen für den globalen Markt, aber auch für den chinesischen Binnenmarkt", erklärt Hans Lindh als Direktor des Standortes, der seit mehr als drei Jahrzehnten bei Volvo arbeitet und 1991 an der Entwicklung des Volvo 850 beteiligt war.

Ein Dutzend Modelle wurde hier von Grund auf neu entwickelt und derzeit laufen 24 neue Projekte. Besondere Bedeutung kommt den über 32.000 Quadratmeter großen Laborabteilungen wie Batterieentwicklung, Elektromotoren und autonomem Fahren zu; doch auch die klassischen Bereiche wie Sicherheit, Emissionen, Infotainment, Widerstand / Festigkeit oder Fahrwerksprüfstände haben in den letzten Wochen des Jahres 2023 viel zu tun, um die geplanten Projekte umzusetzen.

Beim Besuch der Einrichtungen wird deutlich, dass die Entwicklungen im Bereich der Verbrennungsmotoren abgeschlossen sind. In keinem der Innen- oder Außenbereiche werden mehr solche Motoren getestet – selbst nicht bei den Emissionen: „Das gehört der Vergangenheit an, und alle unsere Aktivitäten konzentrieren sich auf Elektromotoren, Batterien - einschließlich eines Festkörperbatterieprojekts -, Elektromotoren, Software, etc.“, versichert Hans Lindh. Selbst Plug-in-Hybride werden nicht mehr entwickelt, sondern nur noch verkauft, weil die Ladeinfrastruktur nicht ausreicht, um die Nachfrage zu befriedigen, wie Lindh erklärt. Stattdessen wird aktuell eine Batteriestraße eingerichtet, die kommendes Jahr in Betrieb genommen werden soll.

Spiegelbildliche Prozesse zwischen Shanghai und Göteborg

Wichtiger denn je sind die spiegelbildlichen Prozesse und die Konfiguration mehrerer Abteilungen zwischen Shanghai und Göteborg, wie Lindh erläutert: „Wir spiegeln die Arbeitsabläufe, die Software und die Hardware in Schweden wider, so dass jeder mit allen Funktionen in Schweden und in China vertraut ist, was uns viel Zeit spart und die Effektivität erhöht.“ Um die entsprechenden Zeitverschiebungen auszugleichen, gibt es eine fest definierte Zeit, in der Europa und China gleichermaßen wach und Abstimmungen einfacher sind. Den Rest erledigen Computer, die zeitenunabhängig zwischen China, Europa und den USA miteinander kommunizieren.

Eines der ersten großen globalen Projekte, das von Shanghai aus geleitet wurde, war die Entwicklung der SPA2-Plattform, die die Grundlage für den kommenden EX90 SUV bildet. Aktuell rollen die Fahrzeuge von Volvo auf vier Hauptplattformen: CMA (XC40, C40, Lynk & Co), SAE (EX30, Smart #1 / #3, Zeekr X, EM90, Zeekr 001, Lotus Eletre und  Commercial), SPA1 (XC90, S60/XC60 und S90) und das neue SPA2 (EX90), das für Elektrofahrzeuge bestimmt ist. In Zukunft werden die Plattformen SAE und SPA2 zu einer gemeinsamen Architektur verschmelzen und es wird eine neue Plattform für kompakte Elektrofahrzeuge entstehen.

Volvo führt seit 2021 Regie in Taizhou

Das 2017 von Geely eingeweihte Werk in Taizhou in der Provinz Zhejiang wurde 2021 von Volvo übernommen und wird heute von Mikael Vessin geleitet. Es verfügt über eine Werkstatt, Lackiererei, Presswerk, Batteriemontage und eine Endmontagelinie, während derzeit ein Produktionsbereich für Elektromotoren entsteht. Die installierte Kapazität liegt bei 150.000 Fahrzeugen pro Jahr, wobei aktuell nur in einer Schicht die Modelle C40 Recharge, XC40 Recharge und Polestar 2 montiert werden.

Das Werk mit einer Gesamtfläche von 734.000 Quadratmetern beschäftigt 1.900 Mitarbeiter und wird mit grünem Strom betrieben, wobei das Ziel einer kohlenstoffneutralen Gesamtfertigung für 2025 anvisiert ist. Das Unternehmen wird von insgesamt 472 Lieferanten beliefert, von denen 225 aus dem eigenen Land stammen und im selben Bezirk ansässig sind. Mikael Vessin: „Das Qualitätsniveau ist hier sehr hoch, mit einer Fehlerquote von 1.000 Fahrzeugen, die besser oder gleich hoch ist wie das der Volvo-Fabriken in den USA und Europa.“ Ziel sei es, die Umweltauswirkungen in 2025 durch eine 40-prozentige Verringerung der CO2-Emissionen pro hergestelltem Fahrzeug zu reduzieren.

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