Güther Schuh auf dem Aachener Werkzeugmaschinenkolloquium 2023 / Die Re-Assembly Factory verspricht ein längeres Fahrzeugleben

Autopionier Günther Schuh demonstriert auf dem Aachener Werkzeugmaschinenkolloquium am SUV Space, wie sich die thermoplastische Außenhaut auswechseln lässt. (Bild: e.Volution)

„Unsere Erfahrungen beim Übergang vom Modell T zum Modell A haben gelehrt, dass die moderne Fabrikation anpassungsfähiger ist als die alte. Wir unternahmen es, ein gänzlich neues Produkt auf völlig neue Weise herzustellen.“

An dieser zeitlosen Weisheit des US-Autopioniers Henry Ford I. orientierte sich Günther Schuh bereits beim Streetscooter und e.Go und nun auch bei seinem jüngsten Projekt. Der Leiter des Lehrstuhls für Produktionssystematik der RWTH Aachen stellte am 11. Mai auf dem Aachener Werkzeugmaschinenkolloquium (AWK) ein Konzept für eine wertsteigernde und lebensverlängernde Kreislaufwirtschaft vor, für das sein Spin-off e.Volution mit dem Werkzeugmaschinenlabor zwei Fahrzeuge entwickelt hat: den Corporate Shuttle META (6-7 Sitzer) mit multimedialen Büroarbeitsplätzen für Pendler und den SUV SPACE (5 und 7 Sitzer). Ein drittes, wahrscheinlich kleineres Mobil soll folgen.

Das Ziel der neuen Kreislaufwirtschaft ist nicht nur Wertsteigerung, sondern auch die Erweiterung der Funktion. Dazu arbeitet künftig ein Update Re-Assembly-Werk mit allen Partnern der Wertschöpfungskette zusammen – vom Rohstoffproduzenten, den Zulieferern bis hin zur Abfallwirtschaft. Zwar haben, wie Automobil Produktion in Aachen erfuhr, alle namhaften Automobilisten und viele große Zulieferer das Konzept mit seinen 17 Demonstratoren bereits unter die Lupe genommen, doch in Sachen Standardisierung dürfte Aachen eher Mitstreiter bei Mittelständlern gewinnen.

Open-Source-Fahrzeugarchitektur soll Standards sicherstellen

Im Mittelpunkt steht die sehr weitreichende Standardisierung mit Hilfe einer neuen Mehrzweck-Chassis-Architektur namens OSCAR (Open Source Car Architecture Research), die als generische technische Plattform für unterschiedlichste Fahrzeugkategorien dient. „Mit 15 standardisierten Chassis dürften sich 80 bis 90 Prozent aller Fahrzeugmodelle abdecken lassen“, erklärt Schuh. Damit das auch gelingt, sollen Hersteller, Zulieferer und Technologiepartner künftig gemeinsam rollierende Standards festlegen.

Die Fahrzeuge kommen alle fünf Jahre in eine Upgrade Re-Assembly Factory, die zusätzlich zur Neuwagen-Produktion als Greenfield-Werk entsteht. Künftig sollen Fahrzeuge wandlungsfähig sein: Nicht mehr für den Fahrzeugbetrieb geeignete Batterien erhalten ein neues Leben als Energiespeicher – etwa bei Hausbesitzern mit Photovoltaik-Anlage.

Bei Bedarf oder auf Kundenwunsch lassen sich nicht nur Interieur, Exterieur oder Antriebskonzept auswechseln –sondern auch die Außenhaut: Von e.GO und Streetscooter stammt ein solides Rahmenkonzept, das sich bereits in Formel 1-Rennwagen bewährt hat. Anstelle einer selbsttragenden Karosserie gibt es einen geschweißten Rahmen aus überdimensionierten Aluminiumprofilen, auf den eingefärbtes Thermoplast-Exterieur kommt. Das spart 80 Prozent heutiger Werkzeug- und Lackierkosten. Nicht ausgetauscht werden innerhalb der 50 Jahre E-Motor und Spaceframe-Rahmen.

Retrofit soll die Lebensdauer des Fahrzeugs erhöhen

Eine wichtige Rolle spielt das Baukastenprinzip à la Lego: Das „neue Kleid“ (Schuh) wird nicht aufgeschweißt oder geklebt, sondern lösbar mit Schrauben befestigt. Rein rechnerisch kann daher ein Fahrzeugmodell bis zu 50 Jahre des automatisierten Industrie-Retrofits de luxe fahren, der Verbrauch an Material und Energie soll dem von zwei Fahrzeugen entsprechen. Bisher waren es rund vier Automobile.

Die Modularisierung macht auch vor dem Antriebskonzept nicht halt: Weil Schuh kein Freund von gigantischen Batterien ist, setzt der Ingenieur auf Hybridtechnik: Für lange Strecken gibt es als Übergangslösung einen Zweizylinder-Range Extender mit LPG-Tank, den in fünf Jahren eine Brennstoffzellen-Version für grünen Wasserstoff ablösen soll.

Die ganzheitliche Kreislaufwirtschaft stellt den bisherigen automobilen Shopfloor auf den Kopf: In der Anlauffabrik in Aachen gibt es Stationen mit Bezeichnungen wie Re-X-Alternativen für den Austausch von Außenhautteilen oder User-Preferences, die das Nutzerverhalten bei der Auswahl möglicher Upgrade-Optionen berücksichtigt. Das funktioniert aber nur mit einer digitalen Produktakte, die alle Änderungen im Produktleben des Fahrzeugs dokumentiert und die wegen des Datenschutzes treuhänderisch von einem Informationstreuhänder verwaltet wird.

Daten bilden Grundlage für Updates

„In der digitalen Fabrik der Zukunft muss eine gute Produktakte existieren, die alle Erlebnisse der Komponenten und des Fahrzeugs dahingehend digital protokolliert, so dass sich diese industriell überarbeiten lassen“, erklärt Schuh. „Wie in der Serien-Neumontage hätte man einen Takt und nach einem Plan die Komponenten disponiert, die an den verschiedenen Montagestellen vorliegen müssen. In drei Stunden hätte man das Auto zu einem Fast-Neuwagen gemacht, während das in der Werkstatt 60 Stunden dauern würde.“

Akribische, digitale Dokumentation ist auch noch aus einem anderen Grund nötig: Da viele Änderungen nicht nur rein kosmetische Eingriffe sind, steht bei grundlegendem Update jeweils eine erneute Zulassung an, deren Arbeitsweise in der Anlauffabrik der Demonstrator Re-Assembly Homologation vorführt. Die digitalen Voraussetzungen für eine rollierende Homologation wurden geschaffen, jetzt muss nur noch das Kraftfahrt-Bundesamt mitziehen. Wünschenswert wäre hier für den e.Volution-Gründer eine Lösung wie in den USA, wo die Homologation ohne bremsende Behörde per Selbsterklärung abläuft.

Wirtschaftlich kann sich das Konzept vor allem für die Produktion von kleinen bis mittleren Serien sehen lassen: So komme der bisher in der Großserie nötige Personalaufwand vieler OEM für E-Autohersteller meist nicht infrage. So rechnete der Autopionier bei seiner Form der Produktion mit 400 statt der sonst üblichen 2.000 Entwickler. „Das Konzept erhöht – richtig gemacht – die Wertschöpfung um 20 Prozent", verspricht Schuh. „Es ist profitabler als das Neuwagengeschäft, spart 50 Prozent an Ressourcen und ist daher sehr nachhaltig – und es rettet langfristig Mutter Erde!“

Sie möchten gerne weiterlesen?