Qualitätskontrolle bei Volkswagen

Bereits vor der abschließenden Qualitätskontrolle kommen smarte Technologien zur Qualitätssicherung zum Einsatz. (Bild: Volkswagen)

Auch innerhalb eines vollautomatisierten und digitalisierten Produktionsprozesses können Fahrzeuge entstehen, die Mängel aufweisen. Eine gründliche Qualitätskontrolle des Endprodukts ist demnach unerlässlich. Doch wer erst am Ende des gesamten Produktionsprozesses Ausschau nach Fehlern hält, steht bereits vor vollendeten Tatsachen und übersieht möglicherweise Mängel, die tief im Kern des Fahrzeuges schlummern oder stößt auf Schäden, dessen Ausbesserung in einem nicht rentablen bis gar irreversiblen Bereich liegen. Kunden erwarten ein Produkt in gleichbleibender, ausgezeichneter Qualität. Aus diesem Grund beginnt die Qualitätssicherung bereits in den Grundzügen des Fertigungsprozesses. Auch in diesem Bereich brachte die Entwicklung hin zur Smart Factory bereits einige Innovationen hervor.

Audi ersetzt Ultraschall bei Qualitätssicherung

Beispielsweise wird seit Ende 2021 im Rahmen eines Pilotprojektes am Audi-Standort Neckarsulm die Qualitätssicherung von Schweißpunkten im Karosseriebau weiterentwickelt. Bisher wurden an dieser Stelle manuell und stichprobenartig mithilfe von Ultraschall geprüft, ob das sogenannte Widerstandspunktschweißen (WPS) fehlerfrei abgelaufen ist. Doch bei rund 5.300 Schweißpunkten, die es braucht, um die Karosserieteiles eines Audi A6 miteinander zu verbinden, benötigt es ein smarteres und vor allem weniger zeitaufwendiges Vorgehen.

Der Hersteller aus Ingolstadt nutzt daher im Projekt „WPS Analytics“ künstliche Intelligenz, um Qualitätsauffälligkeiten automatisiert und in Echtzeit zu erkennen. Neben dem zugrundeliegenden Algorithmus werden auch die dazugehörige grafische Benutzeroberfläche (Dashboard) sowie eine Anwendung für tiefergehende Qualitätsanalysen getestet. Denn Projektleiter Mathias Mayer verspricht sich von WPS Analytics nicht nur eine automatisierte Bewertung alle Schweißpunkte, sondern spricht ebenfalls von einer Blaupause für weitere Anwendungen der vernetzten Fertigung und der Weiterentwicklung bis hin zur Predictive Maintenance.

Die Cloud als App-Store für smarte Produktionsanwendungen

Dieser Anwendungsfall wird durch die Industrial Cloud des Volkswagen Konzerns ermöglicht, die alle Produktionsdaten aus dem weltweiten Netzwerk an Fabriken zusammenführt. Mittels eines App-Store-Ansatzes soll jeder an die Cloud angeschlossene Standort die entsprechenden Anwendungen für seine Maschinen, Werkzeuge und Anlagen direkt aus der Cloud beziehen können und damit noch effizienter produzieren. Den Tests in Neckarsulm soll ein größeres Roll-out der Cloud auf zahlreiche weitere Werke folgen. Bereits jetzt werden die Möglichkeiten dieser Lösung auch von anderen Werken in Anspruch genommen. Im VW-Werk Emden wird die Cloud zur Auswertung der Schweißdaten genutzt. Das automatisierte Messen und Abgleichen der notwendigen Daten zu Stromfluss und Spannung ermöglicht auch hier eine permanente und genauere Qualitätssicherung. Mitglieder des bisherigen Prüfteams werden sich künftig um die Überwachung der Daten am Dashboard kümmern und bei auffälligen Schweißpunkten manuell nachprüfen.

Im Allgemeinen sei es hilfreich sich von der Vorstellung zu distanzieren, dass smarte Technologien den Menschen ersetzen sollen, erklärt Expertin Theresa Bick vom Fraunhofer IAIS und Fraunhofer CCIT im Interview am Beispiel von KI-Prüfsystemen. "Die Mitarbeitenden haben langjährige Erfahrung, die wir uns zu Nutze machen sollten. Daher sehen wir, dass insbesondere das Zusammenspiel aus menschlicher Expertise mit KI ein sehr rentables System ergibt", so Bick weiter.

Machine Learning macht teure Kameratechnologie überflüssig

Künstliche Intelligenz, spielt für alle Bereiche der Smart Factory und daher auch für die Qualitätssicherung eine große Rolle. Bei BMW wird KI-Technologie etwa zur Qualitätssicherung in der Lackiererei eingesetzt. In Echtzeit wertet das System Produktionsdaten aus, erkennt Unregelmäßigkeiten im Lack und analysiert deren Ursache. Aufgrund unterschiedlicher Blickwinkel oder variierender Beleuchtung ist diese bedeutende Aufgabe in der Regel ein klarer Fall für das geschulte, menschliche Auge.

Doch durch umfängliches Anlernen anhand von Bildern aus der Lackiererei kann dieser Job mittlerweile auch durch künstliche Intelligenz übernommen werden. Diese baut ihre eigenen Fähigkeiten durch maschinelles Lernen stetig aus und kann daher nicht nur Fehler im Lack erkennen, sondern identifiziert zusätzlich den Fehlertyp und leitet das Fahrzeug in den entsprechenden Nachbearbeitungsprozess weiter. Durch dieses Verfahren könnte neben wertvollen Kapazitäten auch deutlich an Platz und Kosten für teure Kamerahardware gespart werden, heißt es von Seiten des bayerischen Herstellers.

Wir nutzen in der Produktion der BMW Group mehr als 200 Anwendungen“, erklärt BMW-Produktionsvorstand Milan Nedeljković hinsichtlich künstlicher Intelligenz. „Mit Hilfe von KI automatisieren wir Prozesse in der Logistik und in der Fertigung. Auch in der Instandhaltung lassen sich zukünftig verstärkt smarte Ansätze verfolgen. Aber auch Qualitätsabläufe lassen sich mit KI ganz neu definieren“, so Nedeljković weiter.

KI erkennt Produktionsfehler in Sekundenbruchteilen

Auch BMWs europaweit größte Produktion am Standort Dingolfing nutzt in der Qualitätssicherung computerbasierte Vision-Technologie, deren Leistungsniveau sich laut den Münchenern durch den kontinuierlichen Fortschritt bei Bildsensoren, Rechenleistung und Leistungsaufnahme sowie durch smarte Algorithmen und maschinelles Lernen enorm erhöht hat. Nachdem das Vision-System in der Überprüfung von Karosserieteilen häufiger kleine Staubkörner oder Ölrückstände mit sehr feinen Rissen verwechselte, wurde es vom hauseigenen Data-Analytics-Team mit einem neuronalen Netz ausgestattet.

So konnte die Treffsicherheit der Bildverarbeitungssoftware bei Karosserieteilen in Richtung Null-Fehler-Level erhöht werden. Im Bruchteil einer Sekunde vergleicht das Programm die erfassten Realbilder mit hunderten von Musterbildern aus der Datenbank und sieht mithilfe der KI-Klassifikation, ob es sich um ein Staubkorn oder einen Materialfehler handelt. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass die Maschine den Menschen trotz automatisierter Prozesse nach wie vor benötigt, um einen reibungslosen Produktionsablauf gewährleisten zu können.

Trotz der immensen Zeitersparnis, die in diesem Beispiel ermöglicht wurde, betont etwa Fraunhofer-Expertin Bick, dass eine Zeitreduktion nicht immer zu den Zielen beim Einsatz neuer Technologien zähle. "In vielen Fällen genügt es auch, dass die gleiche Geschwindigkeit erreicht wird. Denn hier kommt der entscheidende Vorteil in puncto Erkennung zum Tragen: Die KI ermüdet über den Tag nicht, sondern leistet wiederholbare Ergebnisse", erläutert die KI-Expertin.

Bei Automotive-Konzern Benteler kommt Machine Learning ebenfalls zum Einsatz. In einem Forschungsprojektes unter der Leitung des Fraunhofer-Instituts für Entwurfstechnik Mechatronik (IEM) aus Paderborn wird gemessen, wie sich Wärme auf Bauteilen verteilt, die kurz zuvor mithilfe einer Warmumformpresse bearbeitet wurden. Die Formpressen bereiten Blechplatinen zu hochfesten Bauteilen auf, beispielsweise zu A- und B-Säulen, Rahmenteilen sowie Quer- und Längsträgern.

Entscheidend für die Qualität ist dabei, wie sich die Wärme während des Pressvorgangs verteilt. Benteler und das Fraunhofer IEM setzen daher ein Wärmebildsystem ein, das thermografischen Daten erfasst und auswertet. So soll anhand der Analyse von Prozesswärme bereits im Vorfeld identifiziert werden, ob die Pressteile der geforderten Qualität entsprechen. "Allgemein gesprochen würde ich empfehlen, derartige Scanning-Systeme so früh wie möglich in der Prozesskette einzusetzen, um etwaige Fehler schnellstmöglich erkennen und beheben zu können", kommentiert Bick. "Die gesamte Automobilproduktion umfasst viele Schritte, sowohl im Werk als auch bei Zulieferern. Dementsprechend viele Anwendungsfälle gibt es für Scanning-Systeme".

Wearables ermöglichen berührungslose Prozessüberwachung

Eine weitere Innovation, die in ihrem vielfältigen Einsatzgebiet auch Anwendungsbereiche der Qualitätssicherung einschließt, sind Wearables. Das baden-württembergischen Softwareunternehmen Kinemic hat beispielsweise ein Armband entwickelt, das einem Fitnesstracker ähnelt und in der Lage ist in Echtzeit menschliche Bewegungssignale zu analysieren. Das Gerät erkennt Gesten und in die Luft geschriebene Zahlen und je nach Konfiguration wird dadurch eine gewünschte Aktion ausgeführt, ohne dass der Mitarbeiter Produktionsteile oder Endgeräte berühren muss.

Das drahtlose und freihändige Arbeiten spart Zeit, ermöglicht eine höhere Ergonomie und ist zudem deutlich effizienter. In den Werken von BMW sowie in der Logistik von Volkswagen werden bereits ähnlich funktionierende, smarte Arbeitshandschuhe genutzt, die zusätzlich Informationen empfangen und weiterleiten sowie dank integrierter Kamera auch Fotos aufnehmen, um beispielsweise beschädigte Teile direkt dokumentieren zu können.

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