AUTOMOBIL PRODUKTION: Herr Robbin, mit Ihrem neuen System VarioLoc setzt Eisenmann bei Daimler im Werk Kecskemét erstmals eine hochflexible skidlose Lackieranlage um. Was sind die Highlights dieses Systems?
Die Prozessschritte der Lackierung benötigen in der Automobilproduktion sehr viel Energie. Für uns ist es immer wieder wichtig, uns dem für uns allen bedeutenden Thema der Ressourceneinsparung zu stellen. In diesem Zusammenhang haben wir uns auch mit dem Thema Fördertechnik beschäftigt. Diese ist dazu da, einzelne Prozesse miteinander zu verbinden. In der Automobilproduktion sitzt eine etwa 300 Kilogramm schwere Mittelklasse-Karosse auf einem Schlitten, dem so genannten Skid, der selbst noch einmal bis zu 220 Kilogramm wiegt. Dieser Skid muss bewegt und während des Lackierprozesses ständig erwärmt und wieder abgekühlt werden. Das ist aufwendig und teuer. Anstatt die Karosse samt Skid über herkömmliche Skidfördersysteme zu bewegen, ist jede VarioLoc mit einem eigenen Antrieb ausgestattet und fährt auf einer Schiene am Boden. Somit erübrigt sich der Skid.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Ein System, das Flexibilität schafft und Ihrem Ansatz von Industrie 4.0 entspricht. Können Sie dies näher erläutern?
Bei allem, was wir tun, geht es uns vor allem um die Flexibilität. Das ist heute wichtiger denn je, denn es ändert sich aktuell sehr viel: Die Produktzyklen werden immer kürzer. Auch im Karosseriebau gibt es beispielsweise große Veränderungen durch den Einsatz verschiedener Materialien, dazu trägt auch die E-Mobilität bei. Diese Entwicklungen sind für uns Steilvorlagen. Die E-Mobilität erfordert zum Beispiel konstruktive Änderungen am Fahrzeug. Etwa im Schwellerbereich. Darauf muss die Lackierung mit größerer Flexibilität reagieren. Im Trockner muss jetzt beispielsweise im Vergleich zu früher deutlich mehr Wärme in den Schwellerbereich gebracht werden. Dank der VarioLoc wissen unsere Kunden zu jeder Zeit die millimetergenaue Position jeder einzelnen Loc, so dass die Düsen im Trockner entsprechend geschwenkt und die Karosse punktgenau angewärmt werden kann. Wir kombinieren also flexible Hardware mit intelligenter Software zum Nutzen des Kunden: das ist unser Verständnis von Industrie 4.0.

Schutzgitter-freie Lackiererei als nächster Schritt

AUTOMOBIL PRODUKTION: Hinzu kommt das Thema Instandhaltung: Eine Panne im System hat dann auch nicht mehr so weitreichende Folgen?
Stellen Sie sich einen Störfall vor, der zum kompletten Stillstand einer Lackiererei führen kann: etwa in einem 120 Meter langen Trockner, in dem ein starrer Tragkettenförderer zum Einsatz kommt. Auf diesem werden im Sechs-Meter-Raster hintereinander Karossen kontinuierlich durch den Trockner befördert. Kommt dieser Förderer störungsbedingt zum Stillstand, dann können alle Karossen nicht mehr weiterfahren. Sie entsprechen nach längerem Stillstand aber nicht mehr den Qualitätsanforderungen der Kunden, weil die Lackoberfläche durch die langanhaltende Hitze beschädigt werden kann. Mitunter benötigen die Reparatur und der Wiederanlauf der Anlage mehr als drei Stunden aufgrund der schwierigen Umgebung im Trockner. Dadurch kann innerhalb dieses Zeitraums die Produktion an der nächsten angrenzenden Linie abreißen und die Prozesskette zum Erliegen kommen. Tritt bei unserem System VarioLoc eine Störung auf, fahren alle davorliegenden Karossen weiter, als ob nichts passiert wäre. Die havarierte Loc kann mit der dahinterfahrenden problemlos aus dem Trockner geschoben und anschließend in einem Wartungsbereich bearbeitet werden. Außerdem benötigt die VarioLoc weit weniger Bauteile als konventionelle Fördertechnik. Beispielsweise entfallen 90 Prozent der Sensorik. Das spart bares Geld.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Was ist der nächste Schritt mit Blick auf die voll digitalisierte Fabrik?
Als nächstes folgt der Bau einer Schutzgitter-freien Lackiererei, die wir mit unserem neuen System VarioMover betreiben werden. Hierzu sind wir bereits in der Entwicklung und werden die ersten sein, die nächstes Jahr voll flexibel durch Spritzkabine und Trockner fahren. Es gibt bereits einen ersten, für die Lackiererei entwickelten Prototypen.

AUTOMOBIL PRODUKTION: Ein Pilotsystem also, mit dem Sie dafür werben, was Sie können? Was können Sie schon vor der Markteinführung erzählen?
Wir kommen aus dem Bereich der Fahrerlosen Transportsysteme, kurz FTS. Eisenmann war einer der Marktführer und hat große Anlagen für die Automobilindustrie gebaut. Allerdings waren FTS ab Mitte der 1990er Jahre nicht mehr wirtschaftlich und es gab auch andere Anforderungen an die Systeme. Heute nehmen wir erneut ein großes Interesse an dieser Technologie wahr. Das liegt vor allem an der großen Flexibilität der FTS. In anderen Industriesparten gibt es diesen Hype ohnehin schon länger - denken Sie etwa an die Intralogistik. Hier werden bereits ganze Lager vollautomatisch bestückt. Und auch in der Endmontage werden FTS immer wichtiger. Ein konsequenter Ansatz ist es nun, so auch durch die Lackiererei zu fahren. Zu diesem Zweck haben wir unseren VarioMover entwickelt. Dabei handelt es sich natürlich um kein einfaches FTS, sondern um ein speziell für diese Anwendung entwickeltes System. Deshalb bauen wir es auch selbst. In der Automobilproduktion haben wir einfach andere Anforderungen und denen stellen wir uns.

Einen Beitrag zum Paint Shop 4.0 lesen Sie in der AUTOMOBIL PRODUKTION-Ausgabe 11-12/2018.

 

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