Roboter im Chery-Stammwerk Wuhu / Chery setzt massiv auf Automatisierung

Beim Besuch des Chery-Werks in Wuhu überrascht vor allem das hohe Maß an Automatisierung. (Bild: Chery)

Der erste Moment hat etwas Gespenstisches. Denn wer die so genannte Mega-Fabrik des chinesischen Autoherstellers Chery am Stammsitz in Wuhu betritt, sieht nach dem Pförtner kaum mehr eine Menschenseele. Draußen sucht man vergebens nach Parkplätzen fürs Personal und den in China üblichen Wohnhäusern für riesige Belegschaften. Im Inneren des Werks sind einsame Flure zu sehen, über die alle Viertelstunde mal ein einzelner Mitarbeiter huscht. Und das liegt bei Weitem nicht daran, dass hier nichts zu tun wäre. Schließlich läuft hier jede Minute ein neues Auto vom Band, die Jahreskapazität beziffert Chery mit rund 300.000 montierten und noch einmal 200.000 für andere CKD-Werke vorbereiteten Autos.

Chery setzt auf konkurrenzlos hohe Automatisierungsquote

Der Grund für die scheinbare Ruhe im Werk Wuhu ist die konkurrenzlos hohe Automatisierungsquote: „98 Prozent aller Arbeiten werden hier von Robotern und Maschinen erledigt“, sagt Zhang Guibing, während automatische Flurförderfahrzeuge wie von Geisterhand gesteuert autonom durch die Gänge surren und so den Materialfluss zu den Montageroboten sicherstellen. Er ist Chef von Chery International und will dafür sorgen, dass die 662 Roboter und die gerade mal 2.000 vor allem in der Endmontage und in der Qualitätssicherung eingesetzten Mitarbeiter bald noch mehr zu tun haben.

Denn um die kontinuierlich zweistelligen Wachstumsraten bei Chery zu halten, drängt das Unternehmen jetzt auch nach Europa und will im kommenden Jahr mit gleich drei Marken und mittelfristig fast einem Dutzend Modellen in der alten Welt durchstarten. Und anders als die meisten Konkurrenten aus dem Reich der Mitte setzten sie dabei nicht allein auf Stromer, sondern auch noch auf Verbrenner und Hybriden mit oder ohne Stecker – was die Abläufe in der Mega-Fabrik nicht gerade einfacher macht. „Denn viele der Modelle laufen hier unabhängig vom Antrieb über ein und dasselbe Band“, ergänzt Bing Yu aus dem internationalen Vertriebsteam und zählt drei Plattformen mit acht Modellen auf.

Robotik und Automatisierung im Chery-Automobilwerk in Wuhu, China
In der Produktion von Chery ist pro drei menschliche Mitarbeiter jeweils ein Roboter aktiv. (Bild: Chery)

Chery ist längst ein globaler Player

Der Weg ins Ausland ist für die Chinesen dabei nichts Neues. Das 1997 in Wuhan gegründete Unternehmen hat bereits 2001 sein erstes Auto nach Syrien exportiert. Mittlerweile ist man in 80 Ländern präsent - vor allem in Asien, Südamerika, Afrika und Arabien - und schafft mehr Autos außer Landes als jeder andere Hersteller in China: Im ersten Halbjahr 2023 lag die Exportquote zum ersten Mal bei mehr als 50 Prozent. Bei einem Volumen von 1,2 Millionen Fahrzeugen im letzten und prognostizierten 2,0 Millionen in diesem Jahr kommt da Einiges zusammen. Etwa ein Fünftel dieser Fahrzeuge baut Chery in seinem Stammwerk in Wuhu, das für umgerechnet gut 500 Millionen Euro von einem alten Autowerk in die frei nach der Tesla-Terminologie zur „Mega“ geadelten Fabrik umgebaut und im Frühjahr 2023 eröffnet wurde. „Dabei sind kaum mehr die Grundmauern stehen geblieben und wir haben die Fabrik komplett neu aufgebaut“, erzählt Bing. „Und das in weniger als zwei Jahren.“

Das Werk steht auf einem Areal von 830.000 Quadratmeter und hat eine Gebäudefläche von 550.000 Quadratmetern. Und auch wenn die meiste Arbeit die Roboter machen und man die wenigen Menschen kaum zu Gesicht bekommt, gibt es reichlich Personal: 2.000 mit einem Altersdurchschnitt von 23 Jahren fast schon erschreckend junge Mitarbeiter stehen in der Mega-Factory an den Bändern und Prüfständen und arbeiten nach einem ausgeklügelten Schichtmodell: „Normalerweise fahren wir hier zwei Schichten mit jeweils zehn Stunden. Doch in Spitzenzeiten läuft die Fabrik auch im Drei-Schicht-Betrieb mit dann acht Stunden pro Durchgang“, erläutert Bing. Und während die Roboter 365 Tage im Jahr arbeiten müssen, haben die Mitarbeiter alle zwei Wochen drei Tage frei.

Wie hoch entwickelt die Produktion ist, demonstriert Bing gerne im Rohbau, wo mehr als 300 Roboter von der angeblich weltweit stärksten künstlichen Intelligenz gesteuert und kontrolliert werden: Hier liegt die Automatisierungsquote bei 100 Prozent, die Taktzeiten sind extrem kurz und die Genauigkeit der Kontrollroboter erreicht etwa an manchen Stationen zur Überprüfung der Materialstärke 0,1 Millimeter. „Und das alles machen wir zum Großteil mit erneuerbaren Energien und ohne Emissionen“, schwärmt Bing und hängt der Mega-Factory noch ein weiteres Attribut an: „Das ist auch eine Green-Factory.“

Chery macht keine Abstriche bei der Sicherheit

Im und um das Werk haben die Chinesen alles vereint, was es zum Automobilbau braucht: Es gibt nicht nur Press- und Stanzwerke, Montage und Lackierung, sondern auch Motoren und Getriebe werden auf dem Gelände gebaut. Und nur einen Steinwurf weiter ist das Gros der Entwicklung angesiedelt und eines der größten Testcenter im ganzen asiatischen Raum: Klar, Klimakammern und EMV-Prüfstände gibt es überall und Schüttelböcke für die Marterungen der NVH-Absicherung auch. Doch keiner habe so eine geschäftige Crashhalle wie Chery, sagt Hausherr Wuhai Zhong über das im Jahr 2010 für 1,6 Milliarden Yuan eröffnete Sicherheitscenter. Allein hier arbeiten 1.000 Ingenieure, die auf der 260 Meter langen Crashbahn mit den strahlenförmigen Kollisionspfaden pro Jahr 300 bis 400 Autos gegen die Wand oder gegeneinander fahren. Die unzähligen Schlittenversuche mit Komponenten nicht mitgerechnet.

Sicherheitstests bei Chery in Wuhu
Nicht nur die Produktion, sondern auch die Sicherheit der eigenen Fahrzeuge steht in Wuhu im Fokus von Chery. (Bild: Chery)

Auch hier in der Halle spiegelt sich der globale Anspruch der Chinese wider - und zwar nicht nur, weil die Fahnen aller Länder von der Decke hängen: „Wir können hier jeden Crasttest fahren, der irgendwo in der Welt verlangt wird“, sagt Wuhai stolz, überschlägt dabei mehr als 200 Unfallkonfigurationen und belässt es nicht bei den öffentlichen Anforderungen: „Denn natürlich können wir unseren Autos dabei immer ein bisschen mehr zumuten als Gesetzgeber und Prüforganisationen.“

Das gilt für Verbrenner genauso wie für E-Modelle, die in Wuhais Crash-Programm einen zunehmenden Anteil haben und ihn zu einem weiteren Umbau der Anlage gezwungen haben: In einer Ecke hat er seitdem einen riesigen Swimmingpool, in dem havarierte E-Autos im Fall der Fälle versenkt werden, damit sie abklingen können und nicht die gesamte Anlage in Brand stecken.

Zwar baut Chery in China gerade eine Mega-Fabrik nach der andren und hat vor wenigen Wochen in Quingdao bereits die nächste eröffnet – natürlich direkt am Hafen, was für den Exportmeister natürlich besonders geschickt ist. Doch heißt das nicht, dass sich Chery nicht auch in Ausland umschauen würde. Zehn Montagewerke haben sie deshalb schon in Afrika, Asien und Südamerika. In Europa sei man auch längst auf der Suche, sagt Zhang: „Denn wenn wir es ernst meinen mit dem europäischen Engagement und unsere Wachstumspläne aufgehen, dann sollte es an Kapazitäten nicht scheitern.“

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