Valmet, Mann+Hummel, Plastic Omnium – All diese Branchenakteure haben zuvor einzelne Unternehmensbereiche an die Beteiligungsgesellschaft Mutares verkauft. Im Juli 2021 vollzog der Mischkonzern dann die Übernahme von drei Magna-Standorten, die als Unternehmensbereich Exterieur Systems agierten. Seitdem arbeiten die Werke als Light Mobility Solutions (LMS) zusammen – ein eigenständiges Unternehmen, das Exterieurteile an Hersteller wie BMW und Mercedes liefert. Um den Fortschritt des Unternehmens zu sichern, schloss Mutares es erst kürzlich in den Zuliefererverbund Amaneos mit ein. Dieser besteht neben LMS aus dem Hersteller für Flüssigkeitstransfersysteme SFC und dem Unternehmen MoldTecs, das hauptsächlich Hochleistungskunststoffteile herstellt.
„Der Name Amaneos steht ganz frei übersetzt für neue Liebe“, erklärt Mathieu Purrey, der seit 2021 als Geschäftsführer von LMS tätig ist. Zudem ist Purrey seit Januar 2022 für den Bereich Automotive & Mobility bei Mutares zuständig. „Wichtig zu erwähnen ist, dass es sich bei Mutares nicht um eine klassische Unternehmensberatung handelt, die am Ende des Tages Handlungsempfehlungen gibt oder Hinweise darauf, was das Team falsch gemacht hat“, wirft Daniel Lozano ein, COO und Co-CEO bei LMS. „Mutares entsendet eigene Experten in die Unternehmen, die vor Ort fester Bestandteil des Teams sind und individuelle Aufgabenpakete übernehmen, wie beispielsweise die Umstrukturierung des Einkaufs.“ Ungefähr 15 zusätzliche Experten schickte der Konzern zu seinem neuen Zulieferer nach Obertshausen in eine umgebaute LKW-Werkstatt, die dort als Verwaltungsstätte genutzt wird.
Doch nicht nur in diesem Bereich wird transformiert und vorangetrieben. Viele Jahre lang blieb enormes Innovationspotenzial aufgrund verworrener Konzernstrukturen ungenutzt. CEO Purrey verspricht, dass unter seiner Leitung jeder einzelne Mitarbeiter bei LMS selbst zum Unternehmer werden und seine Ideen einbringen kann. „Wir haben zwar die Reichweite, gewisse Prozesse und das Knowhow eines großen Konzerns, aber viel mehr im Fokus stehen Startup-ähnliche Flexibilität und der Innovationsgeist“. Und tatsächlich spiegelt die Führung durch die Gewerke mit Werksleiter Julian Kabey diese Aussage wider.
Im Bereich der Montage fällt auf, dass die einzelnen Bauteile der Stoßstangen jeweils von einer einzelnen Person auf ihrer eigenen Montagebank zusammengeführt werden. Durch diesen Ansatz wachse die Verantwortung der Werkherren, jedoch nehme auch die Identifikation mit der eigenen Arbeitsleistung zu, so dass jedes gefertigte Teil als individueller Erfolg erlebt wird, erklärt Kabey. Bis zu fünf unterschiedliche Serienreihen werden im Wechsel auf einer Montagebank nach dem Just-in-Time-Prinzip gefertigt. Aktuell füllen Aufträge von Mercedes für die Modellreihen EQA, GLA, B und S rund 45 Prozent der Bücher. Zusätzlich werden Stoßfänger für die Modelle Audi A8, BMW X1 und BMW 5, Ford Focus, Opel Insignia und Opel Astra, sowie Peugeot 308 und Citroen DS4 im südhessischen Werk gefertigt.
Ist eines der täglich bis zu 12.000 produzierten Bauteile fertig, führt die Werkstation eine Prüfung mit anschließenden Verbesserungshinweisen per Tablet durch, um die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu unterstützen. Sind alle Komponenten korrekt verbaut und entsprechend verkabelt, holt ein autonom fahrender Prüfwagen den Stoßfänger ab und lädt ihn für eine finale, modellspezifische Kontrolle in der Prüfstation ab. Diese arbeitet bisher mit einer Bildverarbeitungssoftware, soll in naher Zukunft jedoch mithilfe künstlicher Intelligenz noch präziser arbeiten können. Eine weitere Transportmöglichkeit stellt die Elektrohängebahn in der Montage dar, die laut Kabey rund 80 Staplerfahrzeuge ersetzt und so für deutlich mehr Sicherheit sorgt. Durch RFID-Tags und eine Produktionsüberwachungssystem, das per Smartphone gesteuert wird, behält der Produktionsleiter gewerksübergreifend und zwischen den einzelnen Prozessschritten den Überblick.
Was ist ein RFID-Tag?
RFID steht für "Radio-Frequency Identification", auf Deutsch "Funkfrequenz-Identifizierung" bedeutet. Es handelt sich um eine Technologie, bei der Daten drahtlos über Funkwellen zwischen einem Lesegerät und einem Tag ausgetauscht werden. Der RFID-Tag enthält einen kleinen Mikrochip und eine Antenne, die Informationen speichert und drahtlos an das Lesegerät sendet. Die Tags werden in der Automobilproduktion verwendet, um Fahrzeugteile zu verfolgen und ihre Qualität zu kontrollieren. Zudem enthalten sie Informationen wie Seriennummer, Produktionsdatum und Hersteller. Zudem ermöglichen RFID-Tags eine präzise Rückverfolgbarkeit von Fahrzeugen und erleichtern die Planung von Wartungsarbeiten sowie die Automatisierung von Produktionsprozessen.
Als größter von drei Standorten der LMS versteht sich Obertshausen als Vorreiter in Sachen Digitalisierung, Automation und Nachhaltigkeit. Erst kürzlich erfolgte der Austausch einer alten Spritzgussmaschine gegen ein neueres Modell mit verbessertem Energieverbrauch und zusätzlichen Robotern. „Unsere Roadmap zur Nachhaltigkeit zeigt, dass wir bis zum Jahr 2039 die 100 Prozent CO2-Neutralität erreichen wollen und müssen“, betont Lozano.
Auch in der Lackiererei, die laut Kabey bis zu 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs des Werkes verursacht, wird es zunehmend lean, green und digital. Bereits jetzt erfolgt die Lackplanung mit Unterstützung von künstlicher Intelligenz; abgeschlossene Aufträge werden automatisch ins Hochlagerregal verfrachtet. 60 bis 70 Farbwechsel muss der Zulieferer hier täglich realisieren und will in Zukunft die Rundlaufdauer durch die Lackieranlage von vier Stunden optimieren. „Wir haben bereits einen KI-gesteuerten Prototyp für die automatisierte Oberflächenprüfung bauen lassen“, merkt Kabey an. „Besonders auf dem Shopfloor lag viel ungenutzte Innovationskraft für genau solche Ideen und Optimierungen. Daher fiel uns der Turn vom Konzern weg und hin zur Startup Mentalität nicht wirklich schwer. Und seit die Ideen der Belegschaft auch umgesetzt werden, ist die Ideenvielfalt um ein Vielfaches gestiegen.“