Bundeskanzler Olaf Scholz besucht den Messestand von SEW Eurodrive auf der Hanover Messe.

Auf der Hannover Messe werden unter anderem Lösungen für die Intralogsitik vorgestellt. (Bild: Hannover Messe, SEW Eurodrive)

Festo nutzt bekannte Technik für innovative Cobots

Bei Festo sticht ein Highlight am Messestand klar hervor: der pneumatische Cobot. Dafür kommt altbekannte Piezotechnik, die sich bestimmte Kristalleigenschaften unter Spannung zu Nutze macht, anstelle eines Elektroantriebs zum Einsatz. Obwohl der Cobot aufgrund seiner Direktgetriebe mit großer Sensitivität, leichtem Gewicht und einem für Kleinunternehmen erschwinglichen Preis überzeugt, betont Vorstandsvorsitzender Oliver Jung: „Pneumatik wird andere Antriebe nicht direkt ersetzen. Jeder Antrieb besitzt nach wie vor seine eigenen Vorteile.“ Im Falle des Festo Cobots zählen dazu überdies die einfache Inbetriebnahme, platzsparende integrierte Steuerung, geminderte Kontaktenergie und umsichtige Zusammenarbeit mit Menschen.

Zusätzlich gelte auch die regionalere Batteriefertigung im Unternehmen als Fokusthema, erläutert Jung. Mit entsprechenden Festo-Lösungen sollen aus halbautomatischen Produktionsverfahren künftig vollautomatisierte Prozesse werden – von der Batteriezellfertigung bis hin zur Montage von Elektromotoren. Neben kupfer-, zink- und nickelfreien Automatisierungsprodukten, pneumatischen Schwenkantrieben oder dem Steuerungs- und Automatisierungssystem CPX-E-CEC, das die Produktion im Sinne eines Digital Twins zur vollständigen Datenerfassung und Rückverfolgung von Bauteilen vernetzt, adressiert Festo auch die Datenanalyse selbst. Demnach soll Festo Automation Experience (Festo AX) mittels KI und maschinellem Lernen den maximalen Wert aus Anlagendaten ziehen und dadurch die Produktivität steigern, Energiekosten senken sowie Stillstände oder Qualitätsverluste vermeiden. „Ein großer Vorteil am Markt ist, dass unsere Software es ermöglicht, auch Komponenten anderer Hersteller zuverlässig zu analysieren“, so Oliver Niese, Leiter Digital Business.

Bundeskanzler Olaf Scholz berührt auf der Hannover Messe den pneumatischen Cobot von Festo.
Bundeskanzler Olaf Scholz ließ sich am ersten Messetag den pneumatischen Cobot von Festo zeigen. (Bild: Hannover Messe, Festo)

So denkt Dürr die Lackiererei der Zukunft

Dürr zeigt gemeinsam mit den IT-Tochterunternehmen iTAC und Dualis drei Usecases auf. Da zunehmende Produktvielfalt und Individualisierung die konventionelle Linienführung beim Lackieren an ihre Grenzen bringen, präsentiert der Anlagenbauer erstens sein Konzept von Flexible Manufacturing. Unter Einbindung von fahrerlosen Transportsystemen sorgt eine Steuerungssoftware dabei für eine effiziente Auslastung aller Lackierboxen. Zweitens stellt das Unternehmen sein DXQenergy.management vor. Es soll eine zentrale Überwachung der Energieverbräuche bis hin zur detaillierten Analyse von Einzelverbräuchen ermöglichen.

Drittens bietet Dürr mit der DXQanalyze-Produktfamilie eine umfassende Protokollierung aller verfügbaren Prozessdaten. Die Analyse mittels KI und Machine Learning soll potenzielle Fehler oder Qualitätsprobleme in Echtzeit erkennen. Es handle sich um eine Art Datentransferautobahn, die Datensätze abholt und an anderer Stelle wieder abgibt, erklärt Patrick Wouterse, Product Manager bei iTAC im Bereich Manufacturing Execution System. Mit vorgefertigten Modulen für Qualitätsmanagement, Batterieproduktion und weitere Anwendungsbereiche würden sich somit Maschinenstillstände verhindern und optimale Wartungszeitpunkte ermitteln lassen.

Die Lackiererei der Zukunft von Dürr setzt auf ein flexibles Konzept.
In der Lackierei der Zukunft wird Flexibilität immer bedeutsamer. (Bild: Dürr)

Siemens präsentiert zentimetergenaues Lokalisierungssystem

Am Messestand von Siemens herrscht reger Betrieb. Dass der Konzern unter anderem Schwerpunkte bei Automatisierung, Digitalisierung, Infrastruktur und Energiesystemen setzt, wird sofort deutlich. Im Bereich Smart Factory gibt es dabei zwei Highlights: Product Owner Patrick Seidl stellt den industriellen 5G Router vor. Bis zu eine Millionen Geräte pro Quadratkilometer kann das Netzwerk durchgehend zuverlässig versorgen. „Das klingt erstmal nach super viel. Aber runtergerechnet bedeutet das ein Gerät pro Quadratmeter und für automatisiertes Shopfloormanagement, Roboter oder Automated Guided Vehicles kommt eine solche Vielzahl an Geräten schnell zusammen“, erklärt Seidl.

Ein weiteres Highlight präsentiert Christian Wamser, Business Owner for Digital Enterprise Offering bei Siemens. Das Simatic RTLS System (Realtime Location Service) lokalisiert in Echtzeit relevante Assets und ermöglicht so mehr Transparenz im gesamten Produktionsprozess. Jedes zu verfolgende Werksstück, Fahrzeug etc. wird mit einem Transponder ausgestattet, der in definierten Abständen ein Signal aussendet und auf Abfrage ausgelesen wird. Durch diese Funktion lassen sich Fahrzeuge und Aufträge jederzeit lokalisieren. Hinderliche Suchaufwände können minimiert werden. Für den zweiten Use Case erklärt Wamser: „Auch im Tooleinsatz kann das RTLS hervorragend assistieren. Durch die Lokalisierung der Aufträge und Tools kann es jederzeit überprüfen, ob das richtige Werkzeug am entsprechenden Fahrzeug verwendet wird. Nur wenn alle Teile zusammenpassen, kann auch geschraubt werden. Bei falschen Tools oder Fahrzeugen passiert einfach nichts.“ Diese Funktion zahle auch in die Qualitätssicherung ein und profitiere davon, dass das Lokalisierungssystem im Gegensatz zu herkömmlichen GPS-Systemen über eine optimierte Genauigkeit von 20 bis 30 cm verfüge.

SEW-Eurodrive nutzt autonome Assistenzroboter

Der Messestand des Antriebstechnikers SEW-Eurodrive repräsentiert durch grüne Bodenflächen, Pflanzenkübel und Sitzmöbel in Holzoptik direkt welches Thema fokussiert wird: Nachhaltigkeit. Das Highlight am Stand ist jedoch die Technologie für mobile Assistenten. Das smarte Fertigungswerk in Graben-Neudorf nutzt den autonomen Roboter bereits als Logistik- und Montageassistenten, um beispielsweise Boxen und Teile zum Arbeitsplatz der Mitarbeiter zu transportieren. Daniela Schmid, Leiterin des Bereichs Bau und Facility Management, kommentiert, dass die Assistenten auch Boxen aus untersten Regalabschnitten einsammeln, wodurch sich Mitarbeiter diesen weniger ergonomischen Arbeitsschritt ersparen können. Die gleiche Technologie wird auch im Rahmen des efeuCampus in Bruchsal für die Logistik der letzten Meile genutzt. Während dort energieeffizientes Bauen und andere Bereiche erforscht werden, geht der emissionsfreie und geräuscharme Lieferroboter seiner Tätigkeit nach. Per App können Bewohner den gewünschten Lieferzeitpunkt oder Ablageort angeben. Nach der Auslieferung besteht die Möglichkeit den Roboter mit Gütern wie Retouren oder sogar Müll zu beladen, die der mobile Assistent auf seinem Rückweg an den zuständigen Lieferdienst oder das Entsorgungsunternehmen übergibt.

Ein fahrerloses Transportsystem von SEW-Eurodrive fährt im Außenbereich des Werks.
SEW-Eurodrive nutzt fahrerlose Transportsysteme auch für die letzte Meile. (Bild: SEW-Eurodrive)

Bosch Tochter legt Wert auf offene und flexible Produktreihen

Am Stand von Bosch Rexroth präsentiert das Tochterunternehmen für Steuerungs- und Antriebstechnik seine aktuellen Komplettlösungen und Einzelkomponenten. Henrik Wasserfuhr, Software Application Engineer im Bereich Mobile Robotics bei Rexroth erklärt übergreifend für viele der Neuheiten: „Wir haben sehr viel Wert darauf gelegt, dass die Inbetriebnahme unsere Soft- und Hardwarelösungen so einfach wie möglich erfolgt und eine flexible Gestaltung ebenfalls möglich ist.“ So zum Beispiel der modularen Systembaukasten Rokit, bestehend aus einer grafischen Benutzeroberfläche, einer eigenen Laserlokalisierungs- sowie Navigationssoftware und einem einbaufertigen Radantriebsmodul für mobile Roboter. Das daraus entstehende fahrerlose Transportsystem kann beispielsweise für die Warenführung eingesetzt werden. Vorstellen könne sich der Kunde dieses System wie einen Staubsaugerroboter, so Wasserfuhr. Das Fahrzeug kann nicht nur Hindernissen ausweichen, sondern ein Algorithmus vergleicht zusätzlich die gespeicherte Karte mit der tatsächlichen Umgebung und informiert über mögliche Abweichungen.

Auch am nächsten Exponat, dem Smart Flex Effector, wird der Fokus auf offene Use Cases erkennbar. Daniel Bauer, Product Owner bei Rexroth steigt mit der Erklärung „Wir schreiben Evolutionsgeschichte im Bereich der smarten Robotertechnik“ in die Vorführung ein. Die Lösung sei ebenfalls eine flexible Komponente, die an jeden Roboter angefügt werden kann. Das Plug and Produce Konzept machte langwierige Installationsprozesse überflüssig und mithilfe der 6D-Positionserfassung könnn dem Roboter ohne großen Programmieraufwand gewünschte Bewegungen und Abläufe eingeprägt werden. Einmal in Betrieb genommen, erklärt Bauer, nutze die Maschine den durch die zusätzliche Komponente neugewonnenen taktilen Sinn, um bei Abweichungen nachzugreifen oder Korrekturen vorzunehmen. Genau wie in der Produktreihe Rokit ist der Smart Flex Effector als einzelne Komponente verfügbar oder im Rahmen der Smart MechatroniX-Plattform als einsatzbereite Gesamtlösung.

Smart Factory KL demonstriert Shared Production

Viele Unternehmen litten oder leiden noch immer unter Produktionsausfällen aufgrund des Ukraine-Konflikts. Für Situationen wie diese stellt die Smart Factory Kaiserslautern auf der Hannover Messe seine Produktionsinsel vor. Das Konzept für eine nachhaltige und flexible Fertigung der Zukunft wird von der Technologie-Initiative als Production Level 4 betitelt. Demonstriert wird die voll vernetzte Shared Production durch die Konfiguration eines Modell-Lkws. Per Live-Schaltung kann beobachtet werden, wie Maschinen an anderen Fertigungsstandorten sich in Bewegung setzen, sobald der Auftrag freigegeben wird. Auch das Modul zur Qualitätskontrolle aus der Ferne anhand von Bilddaten kommt zum Einsatz. „Bei einer Shared Production muss nicht immer alles automatisiert sein. Sie soll uns das Leben leichter machen, indem sie den gezielten Auftrag durch ein datenbasiert konfiguriertes Match zwischen Produkt und Maschine ersetzt und so ein skillbasiertes Fertigungsnetzwerk ermöglicht“, kommentiert der Demonstrator-Verantwortliche Patrick Bertram.

MHP zeigt Flottenmanagement für AGVs

Auf dem Messestand des strategischen Partners Amazon Web Services (AWS) veranschaulicht die Management- und IT-Beratung MHP am Beispiel des FleetExecuters, wie der Begriff Industrie 4.0 in der Praxis mit Leben gefüllt werden kann. Mithilfe der Cloud-fähigen Software lassen sich Automated Guided Vehicles (AGVs) unterschiedlicher Hersteller steuern. Sie nimmt die Daten von AGVs, übergeordneten Systemen und der Peripherie im Shopfloor entgegen, interpretiert diese, disponiert auf dieser Basis die Fahrzeuge und sendet entsprechende Steuerungsbefehle. Konkret umgesetzt habe dies unter anderem der Zulieferer Forvia im tschechischen Werk Plzen, so MHP. Die Flottenmanagementlösung habe die Effizienz des Gesamtprozesses um 20 Prozent gesteigert und damit innerhalb von weniger als 18 Monaten einen Return on Investment erzielt. „Vor elf Jahren wurde der Begriff Industrie 4.0 auf der Hannover Messe erstmals verwendet. Seitdem ist zwar einiges in den Unternehmen passiert. Laut unserem aktuellen Industrie 4.0 Barometer, das wir gemeinsam mit der LMU erstellt haben, stagniert die Digitalisierung aber in den Industrieunternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz“, gibt Walter Heibey, Partner im Cluster Consulting Enablement & Strategy zu Bedenken. Die DACH-Region werde in diesem Sinne von China, Großbritannien und den USA abgehängt.

Schaeffler setzt auf Präzision bei Automatisierung

Schaeffler präsentiert auf der Hannover Messe sein Lösungspaket für Cobots und Knickarmroboter. Die Präzisionsprodukte umfassen Planetengetriebe sowie Getriebeblöcke und Wellgetriebe. Entwickelt wurden die Produkte für Industrie- und Leichtbau-Robotik, um in diesem Bereich für alle Achsen und jede Traglast – von wenigen Kilogramm bis zu über 100 Kilogramm – eine höhere Sensitivität und längere Gebrauchsdauer zu ermöglichen. Martin Kram, Leiter der Vorentwicklung bei Schaeffler erklärt, dass durch integrierte Sensoren eine Schwächung der Getriebe umgangen wurde und die Lösungen somit in allen Montageprozessen mit gleicher Leistung und verbesserter Sensitivität überzeugen. Eine zusätzliche Verschleißkompensation halte dabei das extrem kleine Verdrehspiel der Getriebe konstant. Mit Blick in Richtung Automobilbranche fügt Kram hinzu: „Wir zahlen hierdurch in die Automatisierung ein und die Automatisierung zahlt wiederrum in die Automobilherstellung ein.“

Fraunhofer virtualisiert die Robotersteuerung

Am Stand des Fraunhofer IPT präsentiert Niels König, Abteilungsleiter der Produktionsmesstechnik, die 5G Edge Cloud anhand des sogenannten Jugglers. Am Beispiel einer adaptiv geregelten Platte, die einen Tischtennisball mithilfe von kabelgebundener sowie kabelloser Echtzeitkommunikation und Bildverarbeitung fehlerlos jongliert, zeigt sich die Anwendung der Edge Cloud für industrielle Steuerungsprozesse. „Wir arbeiten daran Robotorsteuerung zu virtualisieren“, erklärt König. Ebenso werden vom Fraunhofer neue Prüfmethoden für (autonome) Fahrzeuge präsentiert. Jonathan Militzer, Gruppenleiter der Regelungstechnik am Fraunhofer LBF beschreibt beispielsweise die neue Kamera-in-the-Loop Technologie als notwendige Schnittstelle zwischen Simulationen und realen Tests. Durch Tests hinsichtlich der Schwingungsauswirkungen beim Fahren auf die Funktionalität kamerabasierte Sensorsysteme soll dieses Projekt eine sichere Verifikation autonomer Fahrzeuge ermöglichen.

Bundesministerium fördert flexible Produktion

Besonders eines der zahlreichen geförderten Projekte am Stand des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sticht in Bezug auf Smart Factory hervor. So präsentiert der Forschungsverein Arena 2036 mit dem FlexCar eines seiner Verbundprojekte am Forschungscampus. Ein Demonstrator der Fahrzeugplattform gibt Einblicke in den Plug and Play Ansatz, der eine flexible Entwicklungs- und Produktionslandschaft ermöglichen soll. Durch standardisierte Soft- und Hardwareschnittstellen können Fahrzeugkomponenten direkt eingesetzt und in Verbindung mit anderen Systemteilen optimal weiterentwickelt werden. So will FlexCar den Weg zur dezentralisierten Entwicklung und Fertigung modularer Fahrzeugsysteme ebnen.

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