AR-Engineering Antrieb

Die aktuelle Transformation der Autoindustrie in Richtung E-Mobilität geht mit gewaltigen Umwälzungen für die Zulieferer einher. (Bild: Adobe Stock / Gorodenkoff)

Nichts ist unmöglich, aber das Geschäft mit Verbrennerfahrzeugen gehört dank regulatorischer Vorgaben und technischem Fortschritt zu den Auslaufmodellen der Automobilbranche. Die Trends sind gesetzt. Die Gewichte in den Fertigungshallen verschieben sich nach und nach in Richtung emissionsfreier Antriebstechnik mit modular aufgebauten Elektromotoren, effizienten Batteriestacks und daran angepassten Getrieben und Antriebswellen.

Fest steht: Ein einfaches Umschwenken vom Verbrenner-Engineering auf Elektroautofertigung ist für die meist hochspezialisierten Zulieferunternehmen mit einigen Hürden verbunden. Die Fahrzeugkonzepte der Autohersteller sind nicht einheitlich und verfolgen unterschiedliche Strategien vom rein strombasierten Powertrain über Plug-in-Hybride, Wasserstoff-Brennstoffzelle oder auch neue Formen des Verbrennungsmotors auf Basis von Wasserstoff oder E-Fuels. Selbst Benzin- und Dieselfahrzeuge haben noch nicht ausgedient.

Rekordzulassungen für E-Autos erwartet

Aktuelle Käuferumfragen ergeben, dass die Hälfte der Befragten immer noch einen Benziner dem reinen Elektroauto vorziehen – Tendenz allerdings rückläufig. Das Statistik-Portal Statista meldet, dass im Jahr 2021 bereits mehr als eine Million Autos mit Elektroantrieb auf deutschen Straßen unterwegs waren. Im selben Jahr erreichte die Produktion von Neufahrzeugen mit Verbrennungsmotor rund 2,2 Millionen Fahrzeuge. Dieses Jahr zeichnet sich ein Rekordwert bei der Anzahl der Neuzulassungen von Elektroautos in Deutschland ab: Die Zahl der verkauften Elektroautos ist jetzt bereits höher im Vergleich zum selben Vorjahreszeitraum. Mit einer besseren Lade-Infrastruktur könnte sich das zu einem Kaufboom auswachsen.

Eine weitere Hürde für Zulieferer sind die erheblichen Neuinvestitionen in smarte Produktionsverfahren mit einem hohen Grad an Automatisierung, präzisen Werkzeugen und flexibel ausgelegten Bearbeitungsstufen. Das betrifft sowohl die Batterieentwicklung und -fertigung als auch die Produktion von Komponenten und Systemen für die elektrifizierte Antriebsstränge. Nicht zuletzt steigende Ausgaben für Forschung und Entwicklung werfen die Frage nach der Finanzierung auf. Der Mehraufwand schmälert besonders bei kleineren Unternehmen die Gewinnmargen.

E-Mobilität braucht neue Kompetenzen

Die Hirschvogel Group beispielsweise ist ein weltweit operierender Automobilzulieferer auf dem Gebiet der Massivumformung von Stahl und Aluminium sowie anschließender Bearbeitung. Das Unternehmen hat Anfang des Jahres umstrukturiert und kurzfristig sieben Millionen Euro in die Entwicklung von Rotorwellen für Elektroantriebe investiert. Weitere 20 Millionen Euro fließen in eine neue Produktionshalle mit prozess- und materialflussorientierter Fertigung: „Um hochkomplexe Komponenten wie Rotorwellen kundenspezifisch und in Großserie fertigen zu können, ist eine hohe Entwicklungs- und Fertigungskompetenz erforderlich“, bekräftigt Oliver Maurer, der die Hirschvogel-Werke in Denklingen und Schongau leitet. Erste Großaufträge von OEMs liegen bereits vor.

Verbrenner bringen noch Umsatz

Wer es sich leisten kann, fährt eine Doppelstrategie. Der Werkzeug- und Formenbauer Mapal mit starkem Standbein im Automotive-Markt gibt sein Produktfeld im Bereich herkömmlicher Motorentechnik nicht auf, investiert aber kräftig in den Bereich Elektromobilität.

Als Zerspanungsspezialist für Motorenkomponenten hat Mapal seine Präzisionswerkzeuge bereits vor drei Jahren auf Anforderungen des elektrischen Antriebs fit gemacht: „Wir haben uns intensiv mit den entsprechenden Bauteilen, wie der Batteriewanne oder dem Scrollverdichter auseinandergesetzt. Unter anderem für diese beiden Komponenten von elektrisch angetriebenen Fahrzeugen haben wir Lösungen für die Komplettbearbeitung entwickelt“, sagt Jochen Kress, Geschäftsführender Gesellschafter der Mapal-Gruppe im Interview mit der Automobil Produktion.

Im letzten Jahr stellte der Werkzeugbauer aus Aalen ein vollständiges Toolset für die Innen- und Außenbearbeitung des topfförmigen Statorgehäuses vor. Die besondere Herausforderung: Die Toleranzgrenzen für die Bohr- und Schneidewerkzeuge liegen im Mikrometerbereich.

Mapal Statorgehäuse
Der Werkzeugexperte Mapal hat sich bereits vor Jahren auf die Herausforderungen der E-Mobilität eingestellt. (Bild: Mapal)

Doch den angestammten Platz bei Werkzeugen für Verbrennungsmotoren will Mapal nicht räumen und sieht bis zur endgültigen Ablösung genügend Auftragspotential auch mit Blick auf die globalen Märkte. Das Zukunftsfeld der Elektromobilität gilt nach wie vor noch als vielversprechendes Add-On, denn als alleiniger Umsatzbringer. „Zudem wollen wir natürlich unsere Positionen in Teilsegmenten abseits des Powertrains, wie zum Beispiel bei Chassis und Bremsen, deutlich stärken“, ergänzt Kress.

Mehr Sicherheit durch höhere Stückzahlen

Die Batteriegehäuse-Fertigung ist ein neuer Schwerpunkt der Boysen Gruppe, die sich bislang mit Abgastechnik wie Rohrkrümmer, Katalysatoren, Partikelfilter, Schalldämpfer, Abgasklappen und Endrohrblenden befasst hat und seit einigen Jahren gezielt Kompetenzen im Elektrobereich aufbaut. Dem Zulieferer ist es gelungen die Serienfertigung von Batteriegehäusen auf die Beine zu stellen und sich einen Großauftrag aus dem Umfeld seiner Stammkunden, zu denen BMW, Audi und Mercedes-Benz zählen, zu sichern. „Mit den Batteriegehäusen ist das erste große Etappenziel erreicht. Diesen Erfolg haben wir uns unter großem Einsatz hart erkämpft“, sagt Boysen-Chef Rolf Geisel.

Boysen Produktion Strukturbauteile E-Fahrzeuge
Seit Anfang vergangenen Jahres läuft am Boysen-Standort Simmersfeld die Serienproduktion von Strukturbauteilen für Elektrofahrzeuge. (Bild: Boysen)

Vor allem größere Stückzahlen sind es, die bei Boysen Optimismus verbreiten, das Management ist überzeugt mit dem Einstieg in die Gehäuseproduktion auf das richtige Pferd gesetzt zu haben. Die Geschäftsleitung entschied sich für den Neubau eines Fertigungswerks, das erstmals in der Firmengeschichte keine Abgassysteme für Verbrennerfahrzeuge, sondern ausschließlich Batteriegehäuse für Elektroautos fertigt. Es ist das größte Werk der Boysen Gruppe, das Mitte 2025 in Ungarn den Betrieb aufnehmen soll.

Neustart nicht ausgeschlossen

Wie sehr der Mobilitätswandel hin zu elektrischen und alternativen Antrieben die strategische und produktionstechnische Ausrichtung der Unternehmen verändert, lässt sich am Beispiel von Leoni nachvollziehen. Die Nürnberger Kabelspezialisten stehen seit einer Beinahe-Pleite unter erheblichem Refinanzierungsdruck und haben ihr Stammgeschäft mit Automobil-Standard- und Spezialkabeln, gebündelt in der Business Group Automotive Cable Solutions (BG AM), an die Stark Corporation verkauft.

Den Neuanfang will der Kabelspezialist mit einem Innovation Industrialization Center (IIC) im fränkischen Kitzingen bewerkstelligen. Der Fokus liegt auf alternativen Antrieben und autonomem Fahren. Den Leoni-Entwicklern geht es um die Neukonzeption von leistungsfähigen, an die Anforderungen der Elektromobilität und autonomer Fahrzeuge angepassten Bordnetz-Systemen. Walter Glück, CTO der Leoni-Bordnetz-Division: „Wir nennen diesen Ansatz die zonale Architektur. Das ermöglicht uns nicht nur, die wachsende Anzahl an Sensoren und Applikationen im Auto weiterhin ausfallsicher zu verbinden. Sondern auch, standardisierte und damit produktivere und stabilere Fertigungsprozesse aufzusetzen.“

Erfolg schwer kalkulierbar

Bei allem Zuspruch, den die Elektroautofertigung mit sich bringt, bleibt es offen, ob die teilweise immensen Vorschüsse in neue Fertigungstechnologie und den dazugehörigen Kompetenzaufbau zu den erhofften Umsatzsteigerungen führen. Der Tenor bei den Unternehmen: Die Mehrkosten bei Rohstoffen, Frachten und Energie könnten sich bei andauernder Konfliktlage für den ein oder anderen Zulieferer zum Alptraum auswachsen.

Ein aktuelles Grundsatzpapier des Verbands der Automobilindustrie (VDA) fordert bereits mehr Vertrauen in die Partnerschaft zwischen Herstellern, Zulieferern und Entwicklungsdienstleistern und warnt davor, dass die Dimensionen der Herausforderungen gewaltig und das Konfliktpotential vielfältig seien. Vor allem eine ausgewogene Lastenverteilung zwischen OEMs und Komponenten- wie Know-how-Lieferanten, so heißt es, sei die Basis für die erfolgreiche Weiterentwicklung des automobilen Ökosystems.

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