Jan Henning Mehlfeldt, Webasto-Vorstand, im Interview mit Automobil Produktion.

Die Energiekrise erhöhe den Preisdruck, bestätigt Jan Henning Mehlfeldt, Webasto-Vorstand und zuständig für das globale Dachgeschäft. (Bild: Webasto)

Automobil Produktion Kongress 2024

Automobil Produktion Kongress 2024

Webasto-Vorstandsmitglied Jan Henning Mehlfeldt spricht als Referent auf dem Automobil Produktion Kongress 2024. Am 16. und 17. Mai 2024 treffen sich auf der Veranstaltung in München auch in diesem Jahr wieder Fach- und Führungskräfte, um über die Automobilfertigung der Zukunft zu sprechen. Gemeinsam streben Hersteller, Zulieferer und Dienstleister eine smarte, flexible sowie nachhaltige Produktion mit transparenter Lieferkette an. Seien Sie dabei und profitieren Sie von kollektiven Branchenwissen. 🎫 Jetzt Ticket sichern!

Herr Mehlfeldt, bei Ihrem Amtsantritt vor einem Jahr sprach der Vorstandsvorsitzende, Holger Engelmann, vom Weg zu einer All-Roof-Company. Was hat er damit gemeint?

Mit der Akquisition des Glasherstellers Carlex in Luxemburg haben wir letztes Jahr einen großen Schritt gemacht, um in die Produktion von hochwertigen Glaslösungen einzusteigen. Damit sind wir zu einer echten All-Roof-Company geworden. Es gibt Glashersteller, die sich auf Lösungen in der Festverglasung konzentrieren, andere fertigen öffenbare Dachsysteme. Webasto ist der einzige Zulieferer, der jetzt die ganze Palette – vom Hightech-Glas bis zum Cabrio-Dach – anbieten kann. Das ist definitiv ein Alleinstellungsmerkmal.

Feiert das Panoramadach aktuell eine Art Revival?

Ich kann das nur bestätigen. Wir beobachten auf dem Weltmarkt ein stagnierendes Gesamtvolumen an Fahrzeugen, aber nach wie vor ein großes Wachstum bei Dachsystemen. Das hat hauptsächlich drei Gründe: Erstens ersetzt das Glasdach zunehmend das Stahldach und wird zur Standardausstattung. Zweitens dringt es zunehmend in Segmente vor, die bis jetzt noch kein Schiebedach hatten. Der dritte Treiber sind Märkte, die vorher keine klassischen Schiebedachmärkten waren – wie Südostasien oder Indien.

Aktuell ist ein Panoramadach rein ästhetischer Luxus. Wird sich daran etwas ändern?

Premiumhersteller werden das Schiebedach auch weiterhin nutzen, um Luxus erlebbar zu machen. Im Interieur wird dadurch ein völlig anderes Raumgefühl geschaffen, beim Exterieur ergeben sich durch die Kontrastfärbung ganz neue Designmöglichkeiten. Mittlerweile nutzen aber auch preiswertere Hersteller aus China oder Südostasien dieses Instrument, um ihre Autos aufzuwerten. Das führt dazu, dass es mehr und mehr in kleinere Fahrzeugklassen vordringt. Unser Solardach ist hingegen ein hervorragendes Beispiel echter Funktionalität. In der Spitze kann es bis zu 300 Watt erzeugen.

Wie viel Reichweite kann ein Elektroauto dadurch gewinnen? In welchem Verhältnis stehen Kosten und Nutzen?

Ein Fahrzeughersteller, für den wir dieses Solardach produzieren, wirbt mit einer erweiterten Reichweite von bis zu 3.000 Kilometern pro Jahr. Das ist schon ein ordentlicher Betrag. Ob die Energie allerdings in die Batterie eingespeist wird oder andere Verbraucher wie die Klimaanlage mit Strom versorgt werden, obliegt letztlich dem Hersteller. Wir bieten diese Möglichkeit der Energienutzung jedenfalls an. Zu den Kosten: Natürlich handelt es sich um ein sehr komplexes Dach, das ist richtig. Die Solarpanels müssen nach Automotive-Spezifikationen produziert, zwischen den Scheiben angebracht und kontaktiert werden. Doch es geht um mehr als die reine Funktion. Ein Solardach ist zugleich ein Design-Statement für das batterieelektrische Fahren und die nachhaltige Mobilität.

Ambiente-Lichter sind in Premiumfahrzeugen mittlerweile gang und gäbe. Nun soll auch der Dachhimmel erstrahlen. Wie funktioniert das genau?

Das Dach ist bei Nacht die ideale Fläche für eine Lichtinszenierung. Der Vorteil gegenüber anderen Stellen im Interieur ist, dass sich auf der großen Fläche auch Muster darstellen lassen – ob das nun ein illuminierter Sternenhimmel oder das Logo des Fahrzeugherstellers ist. Ebenso lässt sich das Licht dynamisch gestalten, sodass es sich zum Beispiel bei höheren Geschwindigkeiten bewegt, im Stand aber statisch bleibt. Bei Nacht ist eine sehr gleichmäßige, homogene Lichtverteilung wichtig, während die Bedruckungen oder Folien bei Tageslicht nahezu unsichtbar sein müssen. Das erfordert einen komplexen Aufbau: An der Seite des Daches sind LED-Streifen verbaut, die das Licht in die Glasscheibe einkoppeln. Innerhalb zweier Scheiben brechen die Folien oder Bedruckungen dann das Licht und machen es für die Insassen sichtbar.

Manche Hersteller koppeln ihr Lichtband bereits an das Infotainment. Welche Rolle könnte der Dachhimmel einnehmen?

Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Die Lichteffekte können etwa an das Soundsystem gekoppelt werden, sodass sie passend zur Musik pulsieren oder die Farbe wechseln. Sie können zudem Warnhinweise geben, wenn eine Tür offen ist oder eine Gefahrensituation zu einem Crash führen könnte. Alles ist denkbar, aber die Informationen kommen jeweils vom Fahrzeug. Auch hier muss der Fahrzeughersteller entscheiden, welche Signale er über das Dach spielen möchte und welche er lieber anderswo abbildet. Die technische Möglichkeit ist jedenfalls gegeben und wir können sie über unsere Kompetenz in den Bereichen Dach und Elektronik als Gesamtanbieter bedienen.

Webasto integriert zudem die Sensorik ins Fahrzeugdach. Könnten Sie uns die Herausforderungen skizzieren?

Wir fügen die Sensorik und Fahrzeugarchitektur zusammen – seien es Kamera-, Radar- oder Lidar-Systeme. Je nach Architektur des Kunden werden die Komponenten individuell verbaut und anschließend 365 Tage im Jahr verfügbar gemacht. Das geschieht durch Reinigung, Entfrosten oder Kühlen der Sensorik. Wir können dabei mit allen Sensorherstellern eng zusammenarbeiten, weil wir uns den Wünschen und der Technologie des Fahrzeugherstellers anpassen. Darüber hinaus lebt ein Pkw mit autonomen Fahrfunktionen natürlich weiterhin von seiner Ästhetik. Es muss in die Tiefgarage passen, ohne dass ein Turm an Sensorik die Einfahrt versperrt. Unsere Aufgabe ist es, dafür elegante Lösungen zu finden. Bei Robotaxis ist das Exterieur hingegen nicht ganz so entscheidend. Diese müssen vorwiegend pünktlich, sauber und funktionstüchtig sein.

Schmälert es nicht den Kundenkreis, wenn Privat-Pkw höchstens auf SAE-Level 3 unterwegs sind und das Erscheinungsbild bei Robotaxis zugleich nicht an erster Stelle steht?

Nein, weil die Notwendigkeit eines Lidars als zusätzliche Sicherheitsebene auch für Level 2 und 3 immer größer wird. Wir erhalten sehr viele Anfragen, die nicht auf Level 3 oder höher abzielen und dennoch die Integration im Dachmodul anstreben. Ob ein Lidar wirklich notwendig ist, muss der Autobauer mit seiner Software und seinen Erfahrungen beurteilen. Für unsere Modullösung ist es jedenfalls unerheblich, weil die Fragestellung zu Kühlung oder Reinigung die gleiche bleibt. Selbst die Rundumsicht eines reinen Kamerasystems wäre mit unserem Modul möglich, obwohl sich dafür auch andere Positionen abseits des Dachs finden lassen.

Ist das Dachsystem mit integrierten Sensoren denn schon in Serie?

Wir sind mit einem ersten Produkt eines versenkbaren Lidars in Serie, der SAE-Level 2+ unterstützt. Aufträge für weitere Privatfahrzeuge – teils mit mehreren Lidar-Sensoren – befinden sich in der Akquise. Außerdem haben wir einen Auftrag für ein Robotaxi gewonnen, das an allen Ecken mit Kameras und Sensoren bestückt ist. Wir können aktuelle Sensorik also schon verbauen und auch Gehäuse, Reinigung und Kühlung zur Verfügung stellen. Für designoptimierte Lösungen benötigt es aber die nächste Generation an Lidar-Sensoren, die wesentlich kleiner im Aufbau sind.

Hätte es Vorteile, alle Sensoren im Dach zu verbauen?

Es wird immer ein kombiniertes Sensorik-Set geben, das etwa auf die Tür, den Frontbereich, die Scheinwerfer oder das Dach verteilt ist. Für Parksituationen wird der Sensor in der Stoßstange sicherlich sinnvoll bleiben, aber auf größere Distanz oder in unübersichtlichen Situationen ist die Dachposition optimal. Wenn ein großer Blumenkübel die Sicht verdeckt oder ein Kind hinter einer Leitplanke mit dem Fahrrad fährt, gewährleistet die erhöhte Position einen perfekten Rundumblick.

Die Energiekrise hat die Glasindustrie schwer getroffen. Wie groß sind die Auswirkungen auf Ihr Geschäft und welche Stellschrauben stehen zur Verfügung?

Wir haben auf der einen Seite eine breite Palette an Zulieferern, mit denen wir sehr intensiv in Kontakt stehen, um die aktuellen Preissteigerungen zu meistern. Auf der anderen Seite sind wir selbst Glashersteller, nämlich für unser Hightech-Glas in Luxemburg. Dort installieren wir gerade das größte Solarpanel des Landes auf unserem Werksgelände. Wo möglich, ersetzen wir zudem Produktionsschritte durch effizientere Linien. Aber ja: Am Ende wird der Preisdruck so groß sein, dass es sich auf unseren Produktpreis auswirkt. Deswegen sind wir immer in intensiven Gesprächen mit unseren Kunden.

Werden die Standorte in Europa dadurch zunehmend unattraktiv?

Die Energiepreise sind weltweit tatsächlich sehr unterschiedlich. Den größten Anstieg beobachten wir in Westeuropa. In Amerika oder China sehen wir diese starken Zuwächse nicht. Trotzdem stellen wir uns darauf ein, dass Energie überall teurer wird. Die Lösung kann nur in der Effizienz liegen, denn wir fertigen dort, wo unsere Kunden produzieren. Das wird auch in Zukunft unser Anspruch sein. Gerade unsere Dachsysteme sind so groß, dass wir sie nur schwer über mehrere tausend Kilometer transportieren können. Die Logistikkosten würden explodieren. Unser Footprint ist in China demnach ebenso ausgeprägt wie in Europa oder Amerika.

Webasto ist deutsches Familienunternehmen und Weltkonzern zugleich. Wie lautet Ihre Prognose für den Wirtschaftsstandort Deutschland?

Ein globaler Player muss sich auf die unterschiedlichen Anforderungen aller Regionen einstellen. Die überwiegende Anzahl unserer Entwickler sitzt nach wie vor in Deutschland. Die Dachinnovationen, die ich in diesem Interview beschrieben habe, wurden hierzulande konzipiert, entwickelt und sehr häufig auch zuerst in Serie gebracht. Die Regierung muss aber dafür sorgen, dass wir auch unsere Produktion in Deutschland halten können, denn der Austausch zwischen R&D und Fertigung ist enorm wichtig. Dafür brauchen wir den Abbau von Bürokratie, bezahlbaren Strom, den Ausbau von Infrastruktur und deutliche Investition in Bildung.

Zur Person:

Webasto

Jan Henning Mehlfeldt gehört seit November 2022 dem Vorstand von Webasto an und ist zuständig für das globale Dachgeschäft. Der studierte Betriebswirt arbeitet bereits weit über ein Jahrzehnt für den Zulieferer und verantwortete zuvor das europäische Dachgeschäft. Als President China leitete er zudem den größten Einzelmarkt des Unternehmens sowie den globalen Einkauf.

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