Damit keine Missverständnisse aufkommen: der McLaren Senna mit der internen Bezeichnung VP 738 ist ein waschechter Rennwagen. Dass er sich an Front und Heck mit einem Kennzeichen für den Straßenbetrieb legalisieren lässt, mag nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Brit-Flunder auf selbiger nichts zu suchen hat. 588 kW / 800 PS, 800 Nm maximales Drehmoment ab 5.500 U/min, spektakuläre Bremsen und aerodynamische Feinheiten, die man allenfalls aus dem Formelrennsport kennt, entheben ihn allzu eindrucksvoll aus dem Straßenverkehr. Sein Auftreten ist martialisch, grandios und der längst überfällige Schritt in die rechte Richtung, denn bisher war den McLaren der vergangenen Jahre fast nur eines vorzuwerfen: das eine Modell sah aus wie das andere - eher mehr als weniger.
Technisch basiert der Senna auf dem bereits mehr als imposant über Straße und Piste donnernden McLaren 720 S. Doch nicht nur der ungewöhnliche Modellname "Senna" lässt den Sportwagenfanatiker aufhorchen - alle anderen schütteln entweder nur ungläubig den Kopf oder halten ihre Glücksgefühle schon beim Erstkontakt nicht zurück. Einmal mehr heißt es bei einer solch sprichwörtlichen Sportskanone schnell zu sein. 500 Fahrzeuge legen die Briten auf und all jene 500 Modelle sind bereits seit langem verkauft. Die Trauer dürfte sich in Grenzen halten, denn in der Ein-Millionen-Liga stehen in der hauseigenen Garage bereits eine Vielzahl imposantester Spielzeuge und auf dem wohl sortieren Freimarkt der Supersportler werden schon - eher neu als gebraucht - bald die ersten Modelle auftauchen. Nachteil: mit dem offiziellen Verkaufspreis 922.150 Euro dürfte es dann kaum getan sein. "Alles bei dem Auto hat seinen Grund", erzählt Andy Palmer als Baureihenleiter der imposanten Ultimate-Series, zu der auch der McLaren Senna gehört, "wir haben 2015 mit der Entwicklung begonnen und wollte einfach das ultimative Straßenauto erschaffen. Dafür haben wir viel Blut, Schweiß und Tränen in unsere tägliche Arbeit gesteckt." Das hat sich gelohnt, auch wenn der Senna auf offiziellen Zuwegungen an sich nichts zu suchen hat. Er gehört auf die Rennstrecke; macht sich durch die Straßenzulassung jedoch noch etwas begehrlicher.
Um zu zeigen, zu was der McLaren Senna zu leisten imstande ist, geht es auf den Grand-Prix-Kurs von Silverstone. Hier hat die Orgie in Karbon in den vergangenen zweieinhalb Jahren eine Vielzahl ihrer Testkilometer abgedonnert. Bei der Entwicklung hatte nicht nur das McLaren-Team alle Hände voll zu tun, sondern auch Rennfahrer Bruno Senna, der der Nomenklatur mehr als eine besondere Note gibt. Die Fahrleistungen des Doppelsitzers sind beeindruckend, grandios und atemberaubend - doch eben nur eine unzureichende Beschreibung dessen, was die trocken nur 1,2 Tonnen schwere Rakete zu leisten imstande ist. 0 auf Tempo 100 in 2,8 Sekunden, 17,5 Sekunden bis 300 km/h, 340 km/h Spitzentempo und zu allem Überfluss gerade einmal hundert Meter Bremsweg aus Tempo 200 sind Werte, mit denen sonst kaum ein straßenzugelassenes Modell zu glänzen imstande ist. "Unsere Familie ist sehr stolz auf die Namensgebung des neuen Ultimate Series McLaren Senna. Dies ist das erste Projekt, das wirklich mit Ayrtons Rennsportgeist und Leistung in Verbindung steht", sagt McLaren-Botschaften Bruno Senna, "der McLaren Senna ehrt meinen Onkel, weil er so sehr darauf bedacht ist, Rennstreckenerfahrung zu liefern, die es einem Fahrer ermöglicht, das Beste zu sein, was er sein kann."
Wer denkt noch an den McLaren P1?
Der Wagen mit dem brasilianischen Familiennamen könnte guten Gewissens auch McLaren 800 heißen, denn die drei Ziffern haben eine tiefe Bedeutung. 800 PS, 800 Nm maximales Drehmoment und die aufwendige Aerodynamik zaubert insbesondere Dank des klappbaren Heckspoilers bis zu 800 Kilogramm Abtrieb, die den Zweisitzer im Grenzbereich auf den Asphalt pressen, dass Insassen wie Zuschauern hören und sehen vergeht. "Der Wagen ist auf dem Kurs von Silverstone sieben Prozent schneller als unser 720 S", strahlt Andy Palmer und kann es gar nicht abwarten, einen auf den Rundkurs zu schicken, "er ist am Ende der Start- und Zielgeraden 20 km/h schneller als der 720 S und sogar neun km/h schneller als unser P1."
Die Zahlen belegen, zu was der Fahrer nach ein paar Testrunden auf dem ehemaligen Flugplatzkurs in der Lage sein könnte, hätte dieser seine Hochachtung vor dem ersten renntauglichen Prototypen und der Strecke im englischen Niemandsland ablegen können. Doch auch wer den Grenzbereich von sich noch besser einschätzen kann, als den des Fahrzeugs, kommt mit sprachloser Hochachtung aus dem engen Volant zurück. Der McLaren Senna ist jener unglaubliche Supersportler, der er mit seinen beeindruckenden Fahrleistungen vorzugeben imstande war. Haben sich Pilot und Auto aneinander gewöhnt und sich die Pirelli-Trofeo-Rennpneus nach ein paar Runden auf dem knapp sechs Kilometer langen Kurs aufgeheizt, ist das Limit immer der Fahrer - und nicht das Auto. Die Kombination aus hochsteifem Karbonchassis, feiner Rennabstimmung, asphalthungrigen Reifen und der filigranen Aerodynamik lässt einen träumen - nicht von Senna und nicht von McLaren, sondern von einem eigenen Renneinsatz am griffigen Steuer dieses Zaubermobils.
800 PS, 800 Nm, 800 kg Downforce
Allein dem doppelt aufgeladenen V8-Liter-Triebwerk ist anzumerken, dass es trotz aller Potenz beim 800 PS starken Senna an seine Leistungsgrenzen kommt und ein Hubraumzuwachs wohl noch mehr Einzigartigkeit zelebrieren könnte. Exzellent schlägt sich das siebenstufige Doppelkupplungsgetriebe, das selbst unter maximalen Drehzahl und den aufflackernden Schalthinweisen im Cockpit so perfekt wie das Pendant aus dem Hause Ferrari seit Arbeit verrichtet und auch unter harten Rennstreckenbeanspruchung keine Wünsche an ein sequenzielles Getriebe aufkommen lässt. Die hydraulische Federung mit Namen Race Active Chassis Control II arbeitet dabei feinfühlig und extrem schnell im Einklang mit der beeindruckenden Aerodynamik und dem hochfesten Chassis.
Das Fahrwerk glänzt dabei mit einer doppelten Querlenkeraufhängung, die zusätzlich mit hydraulisch gekoppelten Dämpfern und einem hydraulischen Ersatz für konventionelle mechanische Stabilisatoren kombiniert wurde. Adaptiv angesteuerte Dämpfer sind hydraulisch miteinander verbunden; jeweils mit zwei Ventilen pro Dämpfer zur unabhängigen Einstellung von Druck- und Zugstufe für die perfekte Rennabstimmung. Verschiedene Parameter werden vom Piloten über die Bedienmodule in der Mittelkonsole eingestellt. Der scharfe Rennmodus lässt sich über einen Taster an der beengten Dachkonsole ansteuern. Wer im Rennoverall und mit Helm unterwegs ist, kann die Bedienmodule jedoch nur ertasten - das Platzangebot im Senna ist eng. Ist eben ein echter Rennwagen. Und jetzt mit neuen Reifen noch ein paar Runden. Wer war noch einmal der McLaren P1?