Mit einer neuen Technologie im Bereich der E-Achsen will Vitesco in Zukunft Seltene Erden vermeiden.

Elektrische Fahrzeuge stehen häufig in der Kritik, weil sie einen hohen Bedarf an seltenen Erden haben. (Bild: Vitesco)

Antriebs- und Elektrifizierungsspezialist Vitesco Technologies setzt voll auf Elektromobilität und ließ die Automobil Produktion hinter die Kulissen am Entwicklungsstandort für E-Antriebe in Berlin blicken. Vorab: Fragen zur geplanten Komplettübernahme der ehemaligen Continental-Division durch den fränkischen Autozulieferer Schaeffler wurden erst gar nicht zugelassen. Schaeffler beabsichtigt mit diesem Schritt, wie es heißt, zu einem „Marktführer im Bereich E-Mobility“ zu werden.

Tatsächlich würden die Regensburger ein überaus interessantes Produktportfolio in die Ehe einbringen. Klare Botschaft von Gerd Rösel, Leiter R&D in der Division Electrification Solutions, und Karsten Kalbitz, Vitesco-Standortleiter Berlin: Das Verbrenner-Zeitalter ist abgehakt, die wachstumsstarke Zukunft liegt in innovativer Antriebstechnik für E-Fahrzeuge. Bereits jetzt gingen 90 Prozent der Auftragseingänge auf das Konto von Komponenten für elektrische Antriebe. Vitesco sieht sich dabei als eine Art Vollsortimenter, der außer Zellen im Hochvoltbereich fast Alles anbiete.

Die Zukunft ist modular, miniaturisiert und hochintegriert

Im Mittelpunkt der BEV-First-Strategie steht die vierte Generation der vollintegrierten elektrischen Achsantriebsplattform, kurz: EMR4. „Dieses Achsantriebskonzept zeichnet sich durch hohe Skalierbarkeit aus“, erklärt Rösel,So können mit der EMR4 komplette Fahrzeugplattformen und zudem unterschiedliche Fahrzeugsegmente mit lediglich einem Antriebssystem ausgerüstet werden.“ Vom Kleinwagen bis zum Transporter.

„Möglich wird das durch einen konsequent modularen Ansatz mit klar definierten Schnittstellen und einer Design-for-Manufacturing-Philosophie“, erklärt der Verantwortliche für Forschung und Entwicklung weiter. So wurden die internen Schnittstellen standardisiert, wodurch die Einheit fahrzeug- und herstellerübergreifend eingesetzt werden kann, was Kosten spart. Wie auch durch das hochintegrierte, modularisierte, miniaturisierte Design, was die Antriebsplattform zudem im Leistungsbereich zwischen 80 kW bis 230 kW skalierbar macht. Damit können OEMs in einem Modell unterschiedliche Leistungsstufen des Antriebs anbieten, ohne dabei Schnittstellen oder Befestigungspunkte anpassen zu müssen. „Bei gleicher Leistung ist die neue Generation im Vergleich zum Vorgänger um 25 Prozent leichter“, betont Rösel. Hyundai wird einer der ersten Hersteller sein, die die EMR4 ab dem nächsten Jahr auf die Straße bringen wird.

Wie sich Vitesco von Seltenen Erden verabschiedet

Spannend ist, wie es mit der Plattform künftig weitergehen wird. Gearbeitet wird an einem neuen Rotor ohne Permanentmagnete. Dieser Rotor bildet das Herz einer fremderregten elektrischen Synchronmaschine (Externally Excited Synchronous Machine, kurz EESM) – damit würden keine Seltenen Erden wie Neodym mehr benötigt werden. Angesichts der hohen Abhängigkeit von China bei diesen Rohstoffen und der aktuellen Preisexplosionen wäre das ein wesentlicher Schritt in Richtung Versorgungssicherheit, aber auch hin zu einer deutlichen Kostenersparnis. Allein bei der Frage, welches Material stattdessen eingesetzt werden soll, schweigt sich der F&E-Chef aus. Nur so viel: Man bedient sich in der Stoffklasse der Ferrite. Also bei jenen magnetischen Mischkristallen, die beispielsweise aus dem Eisenoxid Hämatit und anderen Metalloxiden bestehen. Das Patent ist jedenfalls bereits angemeldet.

Die fremderregte, elektrische Synchronmaschine ist auf hohe Reichweiten, schnelleres Fahren auf Autobahnen und damit auf künftige Langstrecken-Elektrofahrzeuge ausgerichtet. In der Regel sind permanenterregte Synchronmaschinen (PSM) heute Standard bei Stromern. Sie zeichnen eine hohe Effizienz im Stadtverkehr oder bei mittleren Reichweiten aus. In PSM-Motoren werden im Rotor Permanentmagnete auf der Basis Seltener Erden eingesetzt, was künftig zum Nadelöhr werden kann.

EESM sind bei höheren Geschwindigkeiten effizienter als PSM. Anstelle von Magneten verfügt der Rotor hier über Spulen. Neben der Effizienz beim schnelleren Fahren ließe sich so der CO2-Fußabdruck des Antriebs um jenen Teil vermindern, der dem Abbau Seltener Erden geschuldet ist. Ein klares Plus in Sachen Nachhaltigkeit. Nach Angaben der Entwickler soll es gelungen sein, durch gezielte Designänderungen und eine ausgeklügelte Wickeltechnik die gleiche Leistungsklasse für beide Technologien (EESM und PSM) zu erreichen – und den vorhandenen Bauraum für beide Optionen zu nutzen.

Kosten runter, Effizienz hoch

Neben der Kosteneinsparung für Permanentmagnete, der größeren Versorgungssicherheit und der höheren Nachhaltigkeit verfüge dieser Antrieb über weitere Vorteile: „Wenn das Fahrzeug energiesparend rollt, spart die fremderregte Maschine pro Kilometer eine Wattstunde Strom, da kein permanentes Magnetfeld den Rotor bremst“, erklärt Rösel, „Damit reduziert sich der Leistungsbedarf des Antriebes um bis zu fünf Prozent und das ohne mechanische Trennkupplung.“

Egal, ob im Fahrbetrieb oder bei der Produktion: Um die Elektromobilität voranzubringen bedürfe es signifikanter Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen der Antriebe, so Rösel. Und die sei vorrangig durch Detailarbeit zu erreichen – die niedrig hängenden Früchte seien abgeerntet, sind sich die Berliner Ingenieure bei Vitesco einig. Daher ist ihnen mit Blick auf OEMs auch nicht bange, die forcierte Inhouse-Entwicklungen bei elektrischen Antriebssträngen postulieren. Meist fehle es an Kapazitäten, um diese samt Peripherie weiterzuentwickeln. Zulieferer blieben hier auch künftig unverzichtbar, um optimierte Systeme und komplette Pakete anzubieten, geben sich die Vitesco-Entwickler selbstbewusst. Wenn die Zulieferer dann noch ihre Kompetenzen bündeln, könnte das kein Fehler sein. Denn am hohen Kostendruck und immer schnelleren Innovationszyklen wird sich nichts ändern.

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