Der koreanische Hyundai-Konzern mit seinen drei Automarken Hyundai, Kia und Genesis hatte in den vergangenen Jahrzehnten große Pläne. Erst wollte man auf dem europäischen Markt Fuß fassen, sich dann als ernsthafter Wettberber in Szene setzen und dann als Designmarke mit Anspruch positionieren. Mittlerweile ist der Konzern aus Seoul mit mehr als sieben Millionen verkauften Autos weltweit die Nummer fünf - Tendenz steigend. Doch es soll nicht allein ums Volumen gehen, denn jetzt wird die nächste Stufe gezündet. Kia nimmt mit seiner Oberklasselimousine Stinger die etablierte Premiumkonkurrenz von Audi, BMW und Mercedes ins Visier.

Gulliaume: "Es geht um den Weg ans Ziel"

Wieder einmal laufen die Fäden beim ehemaligen Volkswagen-Konzerndesigner Peter Schreyer zusammen. Der Bayer wohnt nach wie vor in Ingolstadt und pendelt wann immer es nötig ist nach Seoul. Im Laufe der Jahre holte der Vater des Audi A2 und des ersten A6 als Kreativkopf ehemalige Mittstreiter wie Gregory Guillaume nach Korea. Und dieser Guillaume war es nun, der mit dem Stinger die sehenswerte Mischung aus einer Oberklasselimousine mit Hinterradantrieb und einem Gran Turismo der 70er Jahre auf vier Räder stellte.

"Mit dem Stinger interessiert es nicht, ob man als erster am Ziel ankommt", fabuliert Gregory Gulliaume, "es geht in erster Linie um den Weg ans Ziel." Auch wenn sich der 4,83 Meter lange Kia Stinger eher wie ein Oberklassemodell präsentiert, schielt er in erster Linie zu Konkurrenten wir dem BMW 4er Gran Turismo oder einem Audi A5 Sportback aus der oberen Mittelklasse herüber, die zwar 10 bis 20 Zentimeter kürzer sind und mindestens ein bis zwei Zentner weniger auf die Waage bringen, aber in Sachen Motorleistung, Preis und Platzangebot vergleichbar sind. "Wir haben durch unseren Konzern eine gigantische Expertise in der Stahlproduktion. Zudem müssen wir in Bezug auf den Preis konkurrenzfähig sein", erläutert David Labrosse als Chef des europäischen Produktmanagements, "daher blieb Aluminium außen vor."

Grüne Hölle: So schlägt sich der Stinger

Alfred Biermann, 2014 von der BMW M Sportabteilung in Garching als Entwicklungschef nach Korea gewechselt, wollte ebenso wie die anderen Verantwortlichen, dass der Kia Stinger nicht nur gut aussieht. So wurde jeder der unzähligen Prototypen mindestens 480 Runden - das sind 10.000 Kilometer - unter härtesten Belastungen durch die Grüne Hölle der Nürburgring-Nordschleife geprügelt. Das Ergebnis kann sich ebenso sehen lassen, wie das Design.

Die Sportlimousine liegt exzellent auf der Straße und bringt die Leistung des 370 PS starken Topmodells mit seinen 510 Nm maximalem Drehmoment Dank des obligatorischen Allradantriebs souverän auf die Straße. Dabei hält sich der Klang des 3,3 Liter großen V6-Doppelturbos wohl nicht nur nach Ansicht von ausgemachten Sportwagenfans etwas zu sehr im Hintergrund. Im Normalbetrieb wird der Großteil der Motorleistung auf die Hinterachse übertragen. Wechselt der Fahrer ins Sportprogramm, gehen 40 Prozent des Tatendrangs nach vorn und 60 Prozent für ein besseres Handling nach hinten.

Angenehm macht sich insbesondere die niedrige Sitzposition bemerkbar, die im Vergleich zum Mittelklassemodell 4,5 Zentimeter nach unten versetzt wurde. So sitzt der Pilot nur 18 Zentimeter über dem Asphalt und bekommt zusammen mit Pedalerie, Sitz und griffigem Lenkrad ein gutes Fahrgefühl. Bei der Höchstgeschwindigkeit lässt der Kia Stinger seine deutschen Konkurrenten übrigens weit hinter sich. Er schafft 270 km/h, während die bereits bei Tempo 250 eingebremst werden.

Viel Platz in Reihe zwei - für zwei

Die bekannte Genesis-Plattform wurde von Biermanns Entwicklungsteam kräftig durch die Mangel gedreht. Die Einzelradaufhängung (vorne McPherson- und hinten Fünf-Arm-Konstruktion) macht in Verbindung mit dem adaptiven Dämpfersystem, elektronischen Dämpfern, zwei Beschleunigungssensoren pro Rad und entsprechenden an der Karosserie, vernetzt über eine zentrale Steuereinheit einen sehr ausgewogenen Eindruck, wobei der Kia Stinger GT4 AWD gerade im Sportprogramm noch etwas giftiger sein dürfte.

Dem Komfortaspekt kommt selbst bei sportlichstes Fahrkonfiguration eine hohe Bedeutung zu. Dass einer der Fahrmodi die Bezeichnung "smart" trägt, sorgt für Irritationen, weil sich Eco, Normal und Sport längst als Bezeichnungen etabliert haben. Von der Automarke mit der Bezeichnung "Smart" ganz zu schweigen.

Bei Instrumentierung und Bedienung geht es im Vergleich zu vielen Konkurrenzmodellen betagter zu, denn die beiden etwas blassen Hauptuhren sind analog und zahlreiche Taster steuern die verschiedenen Fahrzeugfunktionen. Immerhin: zwischen Drehzahlmesser und Tacho lassen sich in ein Multifunktionsdisplay zahlreiche Menüpunkte wie Navigation oder Fahrzeugeinstellung hereinziehen und es gibt die wichtigsten Infos in ein Head-Up-Display projiziert. Alles andere läuft über den zentralen Touchscreen in der Mitte des horizontal ausgerichteten Cockpits.

Beim Platzangebot wurde Dank des 2,91 Meter langen Radstandes (10 cm länger als BMW 4er GT und nur 4,3 cm kürzer als ein Porsche Panamera) besonderen Wert auf die Passagiere in der ersten und zweiten Reihe gelegt. Der Laderaum ist mit 406 Liter überraschend gering, lässt sich durch Umklappen der Rücksitze jedoch erweitern. Durch den breiten Mitteltunnel bietet sich die Mitnahme eines dritten Passagiers im Fond kaum an.

Kia Stinger: Varianten für Europa

Der Kia Stinger wird in Europa in drei Varianten angeboten. Neben dem Topmodell Kia Stinger GT4 AWD mit obligatorischem Allradantrieb und Achtgang-Automatik gibt es einen 200 PS starken Stinger 2.2 CRDi (wahlweise Hinterrad- oder Allradantrieb) sowie den 2.0 Turbo GDI mit 255 PS, der nur mit Hinterradantrieb verfügbar ist. Die Preise für Deutschland stehen noch nicht fest, sollten jedoch für den Basisdiesel bei knapp 50.000 Euro beginnen. Die sehr gut ausgestattete Topversion Kia Stinger GT4 AWD dürfte mindestens 70.000 Euro kosten. Auch hier haben sich die Koreaner längst der europäischen Konkurrenz angenähert. Das gilt auch für die Sicherheitssysteme, wo sich der Kia Stinger wie schon bei der Fahrdynamik keine Blöße gibt.

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