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Fehlende Halbleiter-Lieferungen stürzen die Lieferketten der Autobranche derzeit in eine schwere Krise.

Zunächst hatte Volkswagen das Problem thematisiert, wenig später folgten andere Hersteller: Bereits in der ersten Januar-Woche hatte der Konzern erklärt, im Stammwerk Wolfsburg die Produktion an mehreren Tagen zu drosseln, für das Werk Emden wurde Kurzarbeit angemeldet. Wegen der eingeschränkten Lieferbarkeit von Chips ruhten zwei Fertigungslinien für jeweils vier Tage.

VW hatte bereits Mitte Dezember vor Engpässen und möglichen Produktionskürzungen an einzelnen Standorten in Nordamerika, Europa und China im ersten Quartal gewarnt. Während des Auto-Absatzeinbruchs zu Beginn der Coronakrise im Frühjahr 2020 stellten viele Chiphersteller ihre Produktion auf Unterhaltungselektronik um – das zuletzt wieder besser laufende Autogeschäft bekam diese Engpässe nun zu spüren. „Wir haben ein gravierendes Problem“, sagte Volkswagens Betriebsratschef Bernd Osterloh der Deutschen Presse-Agentur dazu kurz vor Jahreswechsel. „Kurzfristige Lieferalternativen gibt es nicht.“

Laut der Nachrichtenagentur Reuters gibt Volkswagen den eigenen Lieferanten die Schuld an ausbleibenden Lieferungen. Der Autobauer habe laut eigenen Angaben frühzeitig die eigene Produktionsplanung kommuniziert und erst deutlich zu spät Warnungen der eigenen Zulieferer bezüglich ausbleibender Lieferungen erhalten. "Wenn Zulieferer unseren Zahlen nicht trauen und ihre eigenen Vorhersagen anstellen, hätten wir unverzüglich informiert werden müssen. Dies ist nicht geschehen", zitiert Reuters einen namentlich ungenannten Volkswagen-Manager. Zentrale Lieferanten von Volkswagen sind unter anderem Continental und Bosch.

Auch an Audi ging das Problem nicht spurlos vorbei: Hier gingen fast 10.000 Mitarbeiter in Ingolstadt und Neckarsulm in Kurzarbeit. In Neckarsulm ruhte die Produktion der A4-Limousine und des A5-Cabrios, in Ingolstadt standen zwei Bänder, auf denen A4- und A5-Fahrzeuge gebaut werden, still.

Daimler muss Auslieferungen verschieben

Daimler hatte zunächst für sein Kompaktwagenwerk in Rastatt Kurzarbeit angekündigt. Zudem konnte im Werk in Bremen nicht wie geplant produziert werden – für die erste Februarwoche wurde Kurzarbeit beantragt. Dem Nachrichtenportal bnn.de zufolge sind für den Produktionsausfall in Rastatt fehlende Steuergeräte der Zulieferer Continental und Bosch verantwortlich. Lieferungen der beiden großen Zulieferer stehen auch bei Volkswagen aus, der Hersteller zieht derweil sogar in Erwägung, Bosch und Continental auf Schadensersatz zu verklagen, berichtet automobilwoche.de.

Quellen aus dem Konzernumfeld zufolge kommt es bei Daimler zu derart massiven Störungen der Lieferkette, dass bei den Modellen A (auch CLA, CLA Shooting Brake) GLA und B-Klasse das Assistenzsystem Pre-Safe nicht geliefert werden kann. Bestellungen mit der entsprechenden Ausstattung verschieben sich demnach bis mindestens in den Mai, ein exaktes Lieferdatum könne man derzeit nicht absehen. Wie aus Schreiben an Kunden hervorgeht, wurde das Pre-Safe-System mittlerweile gar aus bestehenden Aufträgen gestrichen, da die Zulieferengpässe erst im zweiten Halbjahr enden könnten. Eine ähnliche Problematik ergibt sich beim GLC, für den keine Assistenzsysteme verfügbar seien. Auch hier sei mit Verzögerungen der Auslieferungen bis mindestens in den Mai zu rechnen. Im Falle der E-Klasse sind den Informationen zufolge die Einschnitte in die Lieferkette derart gravierend, dass viele Fahrzeuge erst im vierten Quartal zu den Kunden rollen sollen.

Daimler teilt auf Anfrage der Automobil Produktion lediglich mit, man passe der aktuellen Liefersituation entsprechend die Fahrweisen der Werke in Rastatt, Kecskemét und Bremen an. Mit den eigenen Lieferanten arbeite man daran, die weltweite Knappheit von Halbleitern zu überwinden. "Wir verfolgen jeden individuellen Lösungsansatz, um die Auswirkungen auf unsere Werke zu minimieren, damit unsere Kunden schnellstmöglich ihr neues Fahrzeug in Empfang nehmen können", so eine Sprecherin.

BMW registriert nach eigenen Angaben bisher keine Ausfälle. „Die Versorgung unserer Produktionsstandorte mit elektronischen Bauteilen führte bisher zu keinen Produktionsunterbrechungen", sagte eine Sprecherin. Man beobachte das Thema intensiv und sei im ständigen Austausch mit den Lieferanten.

Problem mit internationalen Ausmaßen

Mit dem Problem fehlender Halbleiter und den entsprechenden Konsequenzen für die Lieferketten befassen sich aber nicht nur die deutschen Hersteller. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, stehen Honda, Ford, Toyota, Nissan und FCA vor ähnlichen Problemen. Auch bei den internationalen Herstellern standen daher Produktionspausen oder eine Drosselung der Fertigungsvolumen ins Haus. Subaru meldete etwa einen zweitägigen Produktionsstop an zwei japanischen Standorten.

Eine Ausnahme des Trends scheint GM zu sein: Der US-amerikanische Branchenprimus sei, so der Reuters-Bericht, nach eigener Aussage nicht von den Lieferengpässen betroffen. Ebenso wie BMW betrachte man die aktuelle Lage allerdings sehr genau. Als Grund für die Lieferengpässe identifizieren die Journalisten die schnelle Erholung der Automobilproduktion, bei der Zulieferer aus dem Elektronik-Bereich nicht mithalten können.

Neben den Herstellern haben jedoch auch deren Zulieferer unter der Marktlage zu leiden: Bei Hella habe die hohe Nachfrage nach elektronischen Bauteilen in einzelnen Werken zu einer Stop-and-Go-Produktion geführt. „Wir sehen da schon erhebliche Auswirkungen", sagte der Vorstandsvorsitzende Rolf Breidenbach. „Teilweise mussten wir unsere Linien anhalten.“

Hohe Nachfrage stellt Chiphersteller vor Probleme

„Der Mangel an Halbleiterchips ist ein industrieweites Thema. Es gibt momentan einen sehr hohen Demand von den OEMs zu den Tier-1-Suppliern und damit eine sehr knappe Versorgung“, erklärt Lars Reger, CTO des Chipherstellers NXP, am Rande der virtuellen CES 2021, die Gründe für die Lage.

Mit einer schnellen Lösung für die fehlenden Kapazitäten sei derweil nicht zu rechnen, betont hingegen Lisa Su, CEO des Chipherstellers AMD, im Gespräch mit dem Portal venturebeat.com. Seit Anfang des Jahres stärke die Branche zwar die Kapazitäten zur Rohstoffgewinnung und zur Produktion von Halbleitern, allerdings benötigen diese Maßnahmen Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten. Lieferengpässe würden sich vermutlich im ersten Halbjahr 2021 fortsetzen, so die Managerin. Andere Chiphersteller geben davon aus, dass sich die Engpässe sogar bis ins vierte Quartal fortsetzen könnten, berichtet handelsblatt.com.

Interview: Guido Überreiter & Jens Drews (Globalfoundries), Frank Bösenberg (Silicon Saxony)

Frank Bösenberg (Silicon Saxony)

Im Interview mit all-electronics.de geben die Halbleiter-Experten Guido Überreiter, Jens Drews (Globalfoundries) und Frank Bösenberg (Silicon Saxony, im Bild) Auskunft über die Gründe und Folgen des aktuellen Chipmangels in der Autoindustrie.

 

Zentrale Themen sind unter anderem die Herausforderungen der Supply Chain bei hohen Auslastungen der Halbleiter-Produktion und die mit Schwankungen in der Nachfrage verbundenen Komplikationen. Gleichzeitig kritisieren die Experten, die Autobranche habe nicht genügend Lehren aus vergangenen Krisen gezogen und die eigenen Lieferketten nicht genügend diversifiziert.

 

Zum Interview

Die Politik soll Abhilfe schaffen

Um den Engpass in der Halbleiterbelieferung zu lösen, laufen seitens des VDA Beratungen mit der Bundesregierung. "Aufgrund unterschiedlicher Einflüsse ist die weltweite Nachfrage nach bestimmten Halbleiter-Bauteilen derzeit höher als das Angebot", hieß es vom VDA. "Von dieser Verknappung sind auch die weltweite Automobilindustrie und Elektronik-Lieferanten betroffen."

Der Mangel an Halbleiterprodukten hat Bundeswirtschaftsminister unter anderem Peter Altmaier (CDU) auf den Plan gerufen. Wie die Saarbrücker Zeitung am 23. Januar berichtete, wandte sich der Minister per Brief an die taiwanesische Regierung und bat um Hilfe bei der Lösung der derzeitigen Versorgungsprobleme. Taiwan ist neben China das wichtigste Herstellerland für die Halbleiterelemente. Der taiwanische Hersteller TSMC ist der zentrale Lieferant der deutschen Automobilindustrie.

In dem Schreiben an Wirtschaftsministerin Wang Mei-hua sowie Vize-Premier Shen Jong-chin erinnert Altmaier dem Zeitungsbericht zufolge an die hohe Bedeutung zusätzlicher Kapazitäten an Halbleitern für den Fahrzeugbau. Die Lösung der Versorgungsprobleme sei für ihn "von herausragender industriepolitischer Bedeutung", da sonst die wirtschaftliche Corona-Erholung der Branche gefährdet werde. Der deutsche Automobilsektor und die mit ihm verbundenen Industriezweige seien "für die Revitalisierung der Weltwirtschaft sehr wichtig".

Gleichzeitig versprach Altmaier im Rahmen der Konferenz "Europa 2021" Unternehmen Hilfe beim Aufbau einer europäischen Chipproduktion. Für die Förderung der hiesigen Halbleiterproduktion stellte der Wirtschaftsminister bis zu 50 Milliarden Euro in Aussicht.

Taiwan verspricht Hilfe

Taiwans führende Chiphersteller haben der Autoindustrie derweil zugesichert, sich um einen Abbau der globalen Engpässe bei Halbleitern zu bemühen. Auch auf Drängen Deutschlands versprachen die Vertreter der vier großen Produzenten des Landes am 27. Januar im Gespräch mit Taiwans Wirtschaftsministerin Wang Mei-hua, ihre Produktion weiter optimieren zu wollen. So solle insbesondere den Autobauern geholfen werden. Unter den Teilnehmern war auch der weltgrößte Hersteller, Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSCM).

Verbände fordern Stärkung des Standorts Deutschland

Um auf dem lukrativen Weltmarkt mithalten und damit den Wohlstand langfristig wahren zu können, müsse Europa, allen voran Deutschland, bei der Mikroelektronik gehörig aufholen und den Aufbau eigener Mikroelektronikfertigungen mit einer starken Forschung und Entwicklung sehr viel stärker und engagierter forcieren, fordert der Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) in einem Positionspapier.

"Die systemrelevante Chip-Industrie hat Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft. Die aktuelle Krise in der Autoindustrie zeigt, wie hoch die Abhängigkeit unserer Industrie von Halbleiterherstellern in Asien und USA ist", heißt es seitens des Verbandes. Zentraler Bestandteil müsse eine europäisch abgestimmte Industriepolitik sein, bei deren Definition Deutschland die Vorreiterrolle übernehmen muss, so die Forderung. Deutschland und Europa können ihre technologische Souveränität wiedererlangen - wenn der politische Wille da ist.

Die bisherigen Maßnahmen würden nicht ausreichen, weil insbesondere die USA und Asien, allen voran Japan, China und Korea, die strategische Wichtigkeit der Mikroelektronik erkannt haben und ihr Aufbau seit Jahren massiv vorangetrieben wird, so der Verband. Europa habe nun die Wahl, halbherzig weiterzumachen, oder einen Masterplan "Electronics for Europe" aufzustellen mit einer abgestimmten Industriepolitik und entsprechenden Anschubfinanzierungen.

Ähnliche Forderungen äußert auch Joe Kaeser. Mikroelektronik sei für die Industrie von morgen wichtiger als Software und die Cloud, so der Siemens-CEO im Interview mit handelsblatt.com.

Nachfragespitzen kommen überraschend

Die deutsche Elektronikindustrie sieht eine recht gemischte Lage, zumindest bezogen aufs kurzfristige Autogeschäft. "Seit dem Frühjahr war die Abnahme der Autoindustrie im Zuge der Corona-Situation zunächst stark zurückgegangen", erklärt der Geschäftsführer des Branchenverbands ZVEI, Wolfgang Weber. "Chiphersteller mussten ihre Kapazitäten umstellen und neue Abnehmer finden, was geglückt ist."

In der Unterhaltungselektronik mit TV, Hi-Fi oder Spielkonsolen habe es einen Aufschwung gegeben. Und auch in Sektoren wie Medizintechnik mit Beatmungsgeräten und Monitoren oder dem IT-Kerngeschäft sei der Halbleiter-Bedarf hoch. Die Autoproduktion habe nun rascher wieder angezogen als vermutet. Die Chiphersteller benötigten daher "ein paar Monate, um ihre Produktion wieder umzustellen und die Nachfrage wieder decken zu können. Schneller geht es leider nicht - das sollten die Autohersteller verstehen und künftig stärker berücksichtigen".

Auch für Chiphersteller in Asien soll die aktuelle Nachfragespitze bei Halbleitern überraschend kommen. Dabei dürften die Rohstoffmärkte ebenfalls eine Rolle spielen. Schon in ihrem Monitoring-Bericht 2019 zählte die Deutsche Rohstoffagentur (DERA) - eine Fachbehörde in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) - Silizium zu den Ressourcen mit "hohen potenziellen Beschaffungsrisiken".

Hoher Wettbewerb um wenige Ressourcen

Mehrere Entwicklungen in China hätten den Druck noch erhöht, sagt DERA-Chef Peter Buchholz. Zwar gebe es Silizium in Hülle und Fülle - aber 20 große Schmelzanlagen, die für seine Aufbereitung nötig sind, seien in der Volksrepublik zuletzt stillgelegt gewesen. Ein Grund dafür soll eine zu geringe Stromproduktion aus Wasserkraft nach längerer Trockenheit in einigen Regionen sein. "Und coronabedingte Produktionsausfälle müssen aufgeholt werden", ergänzte Buchholz.

Wie hoch der Anteil der betroffenen Kapazitäten in China sei, wisse man nicht genau. Doch ziehe man Produktionszahlen heran, werde die Unterauslastung klar. Von der jährlichen globalen Gesamtproduktion von Silizium in letzter Zeit von rund 3,15 Millionen Tonnen entfielen laut BGR etwa 2,2 Millionen Tonnen auf das Reich der Mitte - bei einer eigentlich nutzbaren Kapazität von fünf Millionen Tonnen im Land.

"Das paust sich durch die Lieferkette hindurch", sagt der Experte, dessen Team für die Bundesregierung Rohstofftrends analysiert. Chinas Macht sei hier nach wie vor erheblich. Unter den wichtigsten Produzentenländern folgten mit großem Abstand die USA, Norwegen, Brasilien, Frankreich, Australien, Russland und Deutschland.

Hinzu komme, dass die Solarindustrie als Wettbewerber im Bezug von Halbleitern mitmische - obschon die nötige Reinheit des Siliziums hier nicht so hoch sei wie bei Mikrochips. Und auch bei anderen Halbleiter-Rohstoffen wie Gallium-Verbindungen, die etwa im neuen 5G-Mobilfunk verwendet würden, sei China ein Haupterzeuger. Der Lagerbestand sei hier stark gesunken, der Preis für ein Kilogramm Gallium im vergangenen Jahr von 150 auf 260 Dollar hochgeschossen.

Buchholz sieht kein Risiko länger anhaltender Versorgungsprobleme. Ein Grund zur Entwarnung sei das aber nicht. Der ZVEI betont, Europas Chiphersteller müssten noch mehr eigene Produktionsmöglichkeiten aufbauen. Von "technologischer Souveränität" ist die Rede. Denn auch aus der Autobranche und dem Maschinenbau werde mittelfristig mehr Nachfrage kommen - unter anderem dank autonomen Fahrzeugen und Industrie 4.0.

Mit Material der dpa

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