Oliver Hoffmann auf dem Mobility Circle

„Wir müssen flexibel aufgestellt, schneller in der Entwicklung und schneller in der Skalierung sein", sagt Audis Entwicklungsvorstand Oliver Hoffmann im Gespräch mit Prof. Stefan Bratzel. (Bild: facesbyfrank)

Herr Hoffmann, wir befinden uns derzeit in einer schwierigen, fast schon kritischen Zeit. Ihr neuer CEO Gernot Döllner hat sicherlich alle Hände voll zu tun. Macht sich der Chefwechsel für Sie als Entwicklungsvorstand bereits bemerkbar?

Zunächst einmal würde ich sagen: Es ist eine besonders spannende Zeit. Schauen Sie, ich könnte die aktuellen Herausforderungen als schwierig und kritisch einstufen, ich kann es aber auch von der anderen Seite betrachten: Wir befinden uns wahrscheinlich in der spannendsten Phase der Automobilindustrie seit Bestehen der Branche. Und diese mitgestalten zu dürfen, sehe ich als großes Privileg. Zum CEO-Wechsel: Gernot Döllner hat bereits zuvor in seiner Funktion als Chefstratege des Volkswagen-Konzerns an der Ausrichtung der Marken, der Markengruppen und damit auch von Audi mitgewirkt. Unter seiner Leitung hat der gesamte Audi-Vorstand zusammen mit dem Führungsteam in den vergangenen Monaten die Audi Agenda als ein übergreifendes Aktivierungsprogramm aufgesetzt. Wir bringen damit Tempo ins Unternehmen.

Das gilt dann sicherlich auch für die Elektromobilität. Bleibt es dabei, dass 2026 Schluss mit der Entwicklung von Verbrennungsmotoren ist?

Wir haben einen sehr klaren Plan für den Umstieg in das elektrische Zeitalter und bei dem bleiben wir. Wir werden sukzessive für jeden Kunden das passende elektrische Angebot haben. In diesem Jahr launchen wir die nächste Generation vollelektrischer Fahrzeuge auf unserer neuen PPE-Architektur, die wir gemeinsam mit Porsche entwickelt haben. Parallel bringen wir noch eine komplett neue Generation und eine eigene Plattform für Verbrennungsmotoren und Plug-in-Hybride mit einem höheren Elektrifizierungsgrad für die Übergangsphase auf den Markt.

Sie haben es gerade ein wenig anklingen lassen: Der Kunde muss von der E-Mobilität noch überzeugt werden. Was ist Audis Rezept dafür?

Schauen wir einmal zurück auf unseren E-Tron, mit dem wir 2018 in die E-Mobilität gestartet sind. Der basierte noch auf einer Plattform, die eigentlich für Verbrenner ausgelegt war. Wir haben uns dann sehr früh dafür entschieden, eine dedizierte Elektro-Plattform zu entwickeln. Das war damals durchaus mutig, Stückzahlen waren ja noch kaum absehbar. Heute erscheint das hingegen wie eine klare Sache. Ich glaube, für die Elektromobilität ist es wichtig, plattformseitig keine Kompromisse einzugehen, damit der Kunde in den vollen Genuss der Vorteile eines E-Autos kommt. Das ist für mich der größte Hebel, den ich als Entwickler habe, um unsere Kunden mit unseren Elektromodellen zu begeistern.

Schauen wir auf die Batterie: Immer mehr Autobauer dringen tiefer in die Wertschöpfungskette ein, zum Teil bis auf die Zellebene. Was ist Ihr Ansatz?

Zunächst muss man in Bezug auf die Batterie klar feststellen, dass es ein großer Vorteil ist, in einem Konzernverbund zu agieren, der fast zehn Millionen Fahrzeuge pro Jahr vor Kunde bringt. Die Skalierungseffekte sind da natürlich groß und stärken am Ende die Wettbewerbsfähigkeit aller Konzernmarken. Ansonsten habe ich in den letzten Jahren schon häufig gehört, dass die Zelle inzwischen Commodity sein sollte. Lassen Sie mich klar sagen: Davon sind wir weit entfernt. Heute sind wir eher an dem Punkt, die Batterie vollumfänglich vertikal zu integrieren. Wir betrachten also eher die Rohstoffkette im Ganzen. Am Ende ist aber der technologische Aspekt – die verschiedenen Zellformate, Gewicht, Package, Energiedichte – nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite stehen die Kosten – und das ist für mich derzeit das dringlichere Thema.

Aktuell liegen im Batteriepack die Kosten pro Kilowattstunden bei etwa 130 bis 140 US-Dollar. Sind Sie guter Dinge, dass dieser Wert in den kommenden Jahren weiter sinken wird und E-Autos Kostenparität mit ihren Verbrenner-Pendants erreichen?

Wir haben im Volkswagen-Konzern frühzeitig die Weichen gestellt und ein Einheitszellformat definiert. Damit haben auf der einen Seite die Zulieferer Klarheit, auf der anderen Seite ist dies natürlich die Basis für unsere eigenen Zellwerke, die wir über die Konzerntochter PowerCo auf die Beine stellen. Über die vertikale Integration beim Thema Batterie habe ich gerade schon gesprochen: Wir sichern uns als Konzern in dem Zuge frühzeitig Rohstoffe, um Projekte robuster zu machen. All diese Punkte werden dazu führen, dass wir Preisschwankungen bestmöglich abfedern können. Und wir diskutieren derzeit noch einen Punkt, um die Kosten der Elektromobilität zu reduzieren…

Der wäre?

Lithium-Eisenphosphat-Akkus. Noch vor einigen Jahren hat man über die LFP-Technologie nicht weiter nachgedacht, weil sie geringere Leistungsdichten aufweist als der Lithium-Ionen-Akku. Heute steht der Batterietyp wieder weiter oben auf der Agenda, damit vor allem der Einstieg in die E-Mobilität im Volumensegment zu erschwinglichen Preisen gelingen kann. LFP-Akkus sind durch den Verzicht auf teure Rohstoffe wesentlich günstiger. Für kleinere Modelle sind sie also attraktiv.

Blicken wir nach China: Für europäische OEMs bleibt der chinesische Markt der wichtigste Absatzmarkt weltweit. Der Druck durch heimische Player nimmt, vor allem im Bereich der Elektromobilität, jedoch deutlich zu. Was setzen Sie dem entgegen?

Sie sagen es ganz richtig: China ist einer der wichtigsten Märkte für uns. Audi ist seit mehr als 30 Jahren dort präsent. Wir waren einer der ersten europäischen Premium-OEMs überhaupt auf dem chinesischen Markt und können uns auch heute nicht über unsere Marktanteile im Verbrennerbereich beklagen. Wie Sie sagen, ist die E-Mobilität dort allerdings eine Herausforderung. Die Entwicklungsgeschwindigkeit der dortigen Player ist enorm hoch. Die chinesischen Hersteller decken inzwischen ein ungeheuer großes Spektrum ab. Ich war selbst gerade in China und ich entdecke jedes Mal neue Marken und Modelle. Dennoch nehmen wir den Wettbewerb selbstbewusst an. Deutsche Ingenieurskunst wird noch immer hochgeschätzt. Wir müssen nur wesentlich schneller werden und uns konsequent an den lokalen Kundenanforderungen ausrichten.

Wie erreicht man das?

Indem man zunächst noch stärker mit lokalen Tech-Partnern zusammenarbeitet, um Funktionen im Zielmarkt zu entwickeln. Der chinesische Kunde erwartet einen nahtlosen Übergang zwischen den Devices im digitalen Ökosystem – und zwar im chinesischen Ökosystem. Das können Sie nicht aus der Ferne entwickeln, das muss vor Ort geschehen. Dazu haben wir uns mit unseren Partnern FAW und SAIC entsprechend aufgestellt und lernen derzeit unglaublich viel dazu, was die angesprochenen Entwicklungszyklen angeht. Ich denke, dass wir gut gerüstet sind für die Zukunft auf dem chinesischen Markt. Und: Meiner Ansicht nach werden wir in den kommenden Jahren eine starke Konsolidierung der chinesischen Player sehen.

Stichwort Ökosystem: Digitalisierung und Software sind auch im Volkswagen-Konzern ein großes Thema. Mit Cariad wurde eine eigene Softwareeinheit aufgebaut, einige Konzernmarken wie Audi oder Porsche haben allerdings Partnerschaften mit Tech-Playern wie Google verkündet, um die Softwareentwicklung im Fahrzeug zu beschleunigen. Rückt man vom eingeschlagenen Weg nun wieder ab?

Nein. Es ist der absolut richtige Schritt, die Softwarekompetenz des gesamten Konzerns zu bündeln und für Skalierungseffekte zu zentralisieren. Und mit Peter Bosch hat Cariad ja auch einen neuen CEO, der das konsequent vorantreibt. Unser Fokus liegt derzeit auf den kommenden Anläufen, speziell in diesem Jahr. Und ich glaube, bei OEMs hat grundsätzlich ein Umdenken stattgefunden, was man selbst machen muss und welche Umfänge bei Partnern besser aufgehoben sind. Wichtig ist für uns, dass wir die Elektronikarchitektur, die Auslegung und die grundsätzlichen Fahrfunktionen – gerade auch was das autonome Fahren betrifft – in unserer Hand behalten. Für eine Zulassung von hochautomatisierten Fahrzeugen muss der OEM diese Technologie nicht nur prüfen können, er muss sie beherrschen und deren Entwicklung komplett nachvollziehen können. Und dann gilt es, geschickt mit Partnern zu arbeiten, die man in sein Ökosystem nach den eigenen Spielregeln hereinlässt. Es geht nicht darum, die Kunden in China oder in Nordamerika von toller deutscher Software zu überzeugen. Die Menschen dort leben in ihren eigenen Ökosystemen und die erwarten sie auch in unseren Fahrzeugen.

Sie sprechen das autonome Fahren an. Wo steht Audi aktuell?

Das autonome und automatisierte Fahren ist für mich ein Gamechanger – übrigens auch im Ownership-Modell und nicht nur im Sharing. Gleichzeitig sieht die gesamte Branche derzeit, wie groß die Herausforderungen sind, um von Level 2 oder Level 2+ auf die Level 3 oder 4 zu kommen. Da müssen Standards geschaffen, Gespräche mit Gesetzgebern weltweit geführt werden. Ich glaube, sämtliche OEMs sind daher etwas zurückhaltender mit Ankündigungen geworden.

Schauen wir zum Abschluss noch einmal auf die Konkurrenz durch neue Player: Über die chinesischen OEMs haben wir bereits gesprochen, Tesla hat in den vergangenen Jahren die Branche durcheinandergewirbelt. Wie stark sind Sie denn als etablierter Hersteller auch bereit, sich vielversprechende Innovationen abzuschauen?

Tesla war in Sachen Elektromobilität ein Weckruf für die Branche, ganz klar. Ich finde es wichtig, dass wir uns die Innovationen durch diese Player genau anschauen und für uns bewerten. Das ist auch ein Weg, um die heute bereits vielbeschworene Geschwindigkeit in der Entwicklung aufnehmen zu können. Wir müssen flexibel aufgestellt sein, schneller in der Entwicklung und schneller in der Skalierung sein. Ich bin mir sicher: Am Ende des Tages wird der erfolgreich sein, der sich am schnellsten anpassen kann.

Das Gespräch führte Prof. Stefan Bratzel im Rahmen des Mobility Circle 2023

Mobility Circle 2024 in München

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Auf der Grundlage des Mobility Services Report zeigt Gastgeber Prof. Stefan Bratzel jährlich die wichtigsten Trends und Entwicklungen rund um die Mobilität der Zukunft. Die Community aus Automobilindustrie, Mobilitätsanbietern, Politik und Verwaltung sowie Tech- und IT-Playern trifft sich in diesem Jahr am 06. November in München zum Mobility Circle 2024.

 

Weitere Infos und Tickets auf: www.mobility-circle.com

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