Herr Haupt, welche Stadt gefällt Ihnen eigentlich besser: Barcelona oder Pamplona?
(Lacht) Eine gemeine Frage! Die kann ich unmöglich zugunsten einer der beiden Städte beantworten. Der Vergleich ist auch nicht fair. Barcelona und Pamplona sind völlig unterschiedliche Städte. In Pamplona lebt es sich sehr ruhig, die Lebensqualität ist hoch, die Menschen unglaublich nett, offen und hilfsbereit. Dafür fehlt im Vergleich zu Barcelona das internationale Flair, auch das kulturelle Angebot. Ich bin also sehr gern mal hier, mal dort.
Die Frage kommt nicht von ungefähr: Sie sind erst vor wenigen Monaten von Volkswagen Navarra in Pamplona zu Seat nach Barcelona gewechselt, sind dort nun Vorstand für Produktion und Logistik. Welche Lehren aus Pamplona haben Sie mitgenommen?
Ich war zuvor bereits bei Volkswagen in Portugal, kenne also alle drei Standorte auf der iberischen Halbinsel gut. Allen Standorten ist vor allem eines gemeinsam: Sie verfügen über eine ausgeprägte Lean-Kultur – aus wenig Ressourcen möglichst viel herausholen. Natürlich gibt es auch Unterschiede, jeweils ganz eigene Herausforderungen. Deshalb bin ich überzeugt, dass es eine ganz ausgeprägte Kultur des Austausches geben muss. Die Standorte können und müssen voneinander lernen. Das hatte ich schon in Pamplona organisiert und das lebe ich nun auch in Barcelona. Die handelnden Personen spielen bei diesem Austausch eine zentrale Rolle. Ein Beispiel: Die Personalrotation zwischen José Arreche und David García. Arreche, der vorherige Planungsleiter von Pamplona, verstärkt seit Oktober letzten Jahres unser Team, und García, der ehemalige Instandhaltungsleiter im Werk in Martorell, übernahm die Stelle als Planungsleiter in Pamplona. Das garantiert uns einen perfekten Informationsaustausch zwischen den Standorten. Das ist auch zwingend notwendig, denn wir werden bei der Elektromobilität künftig noch viel enger auf der iberischen Halbinsel zusammenarbeiten.
Das bringt uns zur E-Mobilität. Wie sieht denn in Bezug auf den Produktionsverbund Ihre Elektro-Roadmap aus?
Es ist bekannt, dass der Volkswagen-Konzern große Investitionen auf der iberischen Halbinsel macht. Nicht nur im Fahrzeugbau, sondern auch mit der Gigafactory. Wir leiten den Small BEV Cluster für verschiedene Marken der Gruppe. Zwei Hebel müssen wir für den Übergang vom Auto mit Verbrennungsmotor zum elektrifizierten Fahrzeug umlegen. Auf der einen Seite sind das die technologischen Herausforderungen. Über alle Gewerke hinweg müssen wir Anpassungen vornehmen, brauchen beispielsweise neue Pressen im Presswerk. In der Montage werden wir eine dezidierte E-Linie einführen. Zwei Fahrzeuge auf einer Plattform mit einem hohen Anteil an Gleichteilen lassen sich auf einer eigenen Linie einfach am produktivsten fertigen. Der zweite Hebel – und den halte ich fast für wichtiger – ist der Mensch. Denn am Ende müssen die Beschäftigten auch in der Lage sein, diese neuen Fahrzeuge zu bauen. Wir investieren massiv in Weiterbildung und Umschulung, haben verschiedene Module definiert. Denn am Ende werden die Veränderungen nicht für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleichermaßen hoch sein.
Ihr Komponentenwerk wird sich sicher auch verändern?
Richtig. Wir fertigen in El Prat Getriebe. Also planen wir, auch dort Elektrokomponenten für E-Autos zu bauen. Wir konnten bereits fünf Umfänge für das Werk gewinnen. Damit werden diese Bauteile künftig sehr nah an Martorell lokalisiert sein, was natürlich unseren Logistikkosten entgegenkommt.
Die batterieelektrische Mobilität scheint als Ziel der Branche zementiert zu sein. Dennoch werden derzeit Rufe nach Wasserstoff und E-Fuels wieder lauter. Wie stehen Sie zur technologischen Offenheit?
Wir fahren eine gemischte Strategie. Sie können die Weichen nicht sofort zu einhundert Prozent auf Elektromobilität stellen, das wird nicht funktionieren. Der Volkswagen-Konzern hat ein starkes Bekenntnis zur E-Mobilität abgegeben. Aber der beste Weg dorthin wird über Flexibilität gehen. Bei der Seat S.A. haben wir reine E-Autos wie auch Hybride in unserer Palette geplant und wir rechnen auch weiterhin mit dem Verbrennungsmotor, so es die Rahmenbedingungen denn zulassen. Warum tun wir das? Weil nicht alle Märkte, in denen wir vertreten sind, gleichermaßen gut auf die elektrische Zukunft vorbereitet sind. In vielen Ländern ist die Infrastruktur noch lange nicht da, wo sie für einen Hochlauf der E-Mobilität sein muss. Und zur Wahrheit gehört auch, dass elektrische Modelle heute noch deutlich teurer sind als ihre Verbrenner-Pendants. Nicht jeder Kunde kann sich das leisten. Für diese Übergangszeit wird Antriebsoffenheit das richtige Rezept sein, davon bin ich überzeugt.
Erst kürzlich wurde Cupras neues SUV Terramar bei Audi in Györ enthüllt, wo es auch produziert werden soll. Ihr CEO Wayne Griffiths sprach vor Ort von „Rebellen mit einer großen Vision und unkonventionellen Denkweise“. Denken Sie auch in der Fertigung unkonventionell?
Wir lieben es natürlich, das unkonventionelle Image zu leben. Das liegt in der DNA von Cupra. Wir wollen auch überhaupt keine Autos für die große Masse bauen, Cupra ist zwischen Premium- und Volumensegment platziert. Unsere Kunden suchen einfach etwas anderes. Ich glaube, darin liegt das große Erfolgsrezept von Cupra. Für uns in der Produktion ist dieses Unkonventionelle aber nicht so stark spürbar. Am Ende ist es aus Fertigungssicht ein normales Auto. Ein paar kleinere Herausforderungen gibt es dann aber doch. Die Mattlackierung zum Beispiel ist nicht trivial. Die haben wir bei uns bewusst in den Serienprozess integriert, was alles andere als unkompliziert ist. Andere Hersteller lösen das eher im Bypass oder in Kleinserien.
Bleiben wir bei Innovationen. Nicht selten kommen gute Ideen direkt vom Shopfloor. Wie ist das bei Seat?
Das ist bei uns definitiv auch so! Alle Beschäftigten können sich einbringen. Dafür haben wir ein Ideenprogramm ins Leben gerufen, das jedem offensteht. Die besten Ideen werden am Ende auch honoriert. Solche Programme motivieren die Mitarbeiter ungemein. Wir haben etwa Teams, die sich explizit mit Karakuri auseinandersetzen und schauen, wo sich mit einfachen und kostengünstigen Mitteln Automatisierungen herstellen lassen. Ich glaube, niemand kann ein Problem besser lösen als die Menschen, die jeden Tag darauf stoßen.
Was ist Karakuri?
Karakuri-Systeme sind einfache mechanische Systeme, die in der Produktion und Logistik eingesetzt werden, um Prozesse zu automatisieren und zu vereinfachen. Sie basieren auf der Annahme, dass durch geschicktes Ausnutzen von physikalischen Faktoren wie Schwerkraft und Reibung komplexe Bewegungen erzeugt werden können, ohne auf Elektronik oder komplexe Mechanismen zurückzugreifen. Diese Systeme sind in der Regel kostengünstig, wartungsextensiv und flexibel einsetzbar.
Der Mensch ist ein Quell der Innovation, die Digitalisierung ist ein anderer. Wo sehen Sie die größten Hebel in der Fertigung, die sich mit digitalen Tools umlegen lassen?
Ich sage immer: Digitalisierung ist kein Zweck, Digitalisierung ist ein Werkzeug. Sie ist ein Mittel, um unsere Prozesse effizienter zu gestalten und Arbeitskräfte zu entlasten. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus der Produktion: Wir verfolgen die Vision „Null Nacharbeit“. Über Computer Vision und künstliche Intelligenz können wir etwa Fehler an den Fahrzeugen erkennen und deutlich gezielter als früher die Nacharbeit organisieren. Das ist aber nur der erste Schritt. Unsere Vision ist es, dass sich die Anlagen in Zukunft selbst nachjustieren, wenn bei der KI-gestützten Qualitätskontrolle Abweichungen auffallen. Bis zu dem Punkt, an dem diese Fehler gar nicht mehr passieren. Das ist ein großartiges Beispiel dafür, wie Digitalisierung Produktivität und letztlich Qualität erhöht.
Helfen Ihnen die Softwarespezialisten von Seat:Code?
Ja, Seat:Code ist ein Partner von uns in der Produktion und wir tauschen uns eng aus. Wir haben mit den Kolleginnen und Kollegen etwa ein Tool im Bereich Predictive Maintenance entwickelt. Damit können wir den Zustand unserer Schweißzangen jederzeit zu einhundert Prozent online überwachen. So können wir fehlerhafte Zangen reparieren oder tauschen, bevor die Anlage ausfällt.
Sie sind Vorstand für Produktion und Logistik. Macht Ihnen der Logistikpart momentan genauso viel Spaß?
Wenn wir auf die zurückliegenden zwei bis drei Jahre schauen, war es eine absolut verrückte Zeit. Ich kann da nur unseren CEO zitieren: Die letzten 50 Jahre waren eigentlich langweilig im Vergleich zu dem, was in den zurückliegenden drei Jahren passiert ist. Das kann ich nur bestätigen. Egal ob Halbleitermangel, Coronapandemie oder Ukraine – unser Team musste extrem hart und rund um die Uhr arbeiten, um die Produktion weiter am Laufen halten zu können. Ich habe viel mehr Zeit in den Logistikpart investieren müssen, als mir lieb war – aber es war absolut notwendig.
Wie garantieren Sie und Ihr Team Transparenz und Flexibilität in der Lieferkette?
Die schwierigen vergangenen drei Jahre haben uns dazu gebracht, die Themen Transparenz und Flexibilität intensiv voranzutreiben. Wir konnten früher von Monat zu Monat denken, diese Sicherheit hatten wir zuletzt nicht mehr. Wir mussten unsere Programme wöchentlich und teilweise täglich nachjustieren. Eine intensive Kommunikation mit unserem gesamten Lieferantennetzwerk war dabei wichtig, hier hat uns die Digitalisierung enorm weitergeholfen. So haben wir einen Control Tower entwickelt, der uns in Echtzeit Transparenz über die gesamte In- und Outbound-Logistik garantieren konnte – und das über ein Netz von mehr als 150 angebundenen Lieferanten. So wussten wir zu jeder Zeit, wo sich unsere Teile und Materialien gerade befinden. Gerade in letzter Zeit ein extrem wichtiges Tool.
Da ist es sicher auch von Vorteil, sich in Sachen Logistik und Einkauf eng mit den anderen Konzernmarken austauschen zu können, um Unwägbarkeiten abzufedern.
Das ist in der Tat ein riesiger Pluspunkt unseres Konzerns, der ja nicht nur innerhalb Europas sehr breit aufgestellt ist. So konnten wir uns im Verbund beispielsweise während der Coronakrise, die weltweit zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedliche Auswirkungen und Restriktionen zur Folge hatte, häufig solidarisch zeigen. Waren wir im Lockdown, konnten wir auf die Hilfe aus unserem weltweiten Netzwerk bauen und Teile beziehen, um die Produktion aufrechtzuerhalten.
Stichwort Konzernverbund: Ihr Skoda-Kollege Michael Oeljeklaus hat sich bei uns im Interview gegenüber dem Thema Mehrmarkenwerk durchaus aufgeschlossen gezeigt, auch Seat treibt diese Option um. Welches Potenzial steckt darin?
Ich bin da mit Michael Oeljeklaus einer Meinung. Seat S.A. hat mit Mehrmarkenprojekten schon viele Erfahrungen sammeln können, beispielsweise mit beim Bau des Audi Q3 oder A1. Aber wir wollen im Bereich Mehrmarkenwerk einen Schritt weitergehen. Wir wollen künftig an einem Standort, an einer Linie, synergetisch Fahrzeuge einer Familie zusammenbringen, sozusagen eine Plattform mit mehreren Hüten. Um die Produktivität in den Produktionsprozessen zu erhöhen, setzen wir auf Konzeptgleichheit. Bedeutet in der Praxis: Mehrere Fahrzeuge verschiedener Marken sind gleich konstruiert, so dass der Werker nicht zweimal nachdenken muss, bevor er zum Beispiel eine Türverkleidung einbaut.
Was sind die nächsten Schritte?
In Sachen Mehrmarkenprojekte wäre noch eine weitere Ausbaustufe denkbar, die sich jedoch nicht so leicht realisieren lässt, da hier mehrere Geschäftsbereiche betroffen sind. Beispiel Small-BEVs-Projekt: Im Sinne eines Cluster-Gedankens wollen wir die Fahrzeuge von verschiedenen Marken des Volkswagen-Konzerns nicht nur gemeinsam produzieren, sondern sie auch zusammen auf der iberischen Halbinsel entwickeln. Das betrifft beispielsweise die Produktbeeinflussung oder den Vorserienbau, hier können wir viel voneinander lernen. Dazu kommt noch das Sourcing, was wir zentral für die verschiedenen Fahrzeuge markenübergreifend betreiben. Fahrzeugbau, Entwicklung und Sourcing als regionalen Cluster zu begreifen, ist meiner Ansicht nach die höchstmögliche Synergie in solch einem Konzern.
Zum Schluss noch ein Blick auf das Thema Nachhaltigkeit. In der Autoindustrie geht es ja nicht nur darum, lokal emissionsfreie Produkte herzustellen, sondern sie auch möglichst nachhaltig und emissionsfrei zu fertigen. Welchen Weg gehen Sie hier?
Ganz wichtig für uns sind Messinstrumente für unsere Prozesse. Wir arbeiten beispielsweise mit dem DKI, dem Dekarbonisierungsindex, der die gesamte Wertschöpfungskette von Supply Chain, Fahrzeugbau, Fahrzeughaltung bis hin zur Verschrottung abdeckt. Bei elektrifizierten Fahrzeugen macht interessanterweise nur ein Prozent dieses Index die Herstellung aus, ein Großteil des DKI fällt auf das Produkt selbst. Da könnte man jetzt dazu neigen, das zu vernachlässigen. Machen wir natürlich nicht. Die Verringerung von CO2-Emissionen soll mithilfe verschiedener Maßnahmen wie zum Beispiel dem Aufbau von Solaranlagen oder dem Fokus auf nachhaltigere Rohstoffe und Abfallvermeidung gelingen. Wir machen uns zudem erste Gedanken in Richtung Kreislaufwirtschaft, denn wir sind davon überzeugt, dass das längere Nutzen von Fahrzeugen und den verwendeten Materialien einen riesigen Impact haben wird.
Bei welchem Gewerk innerhalb der Produktion lässt sich hier noch am meisten rausholen?
Das ist für mich ganz klar die Lackiererei. Es ist derzeit das Gewerk mit dem höchsten Energiekonsum in Form von Strom und Gas und es produziert die meisten Emissionen. Beim Thema Gas sind wir natürlich stark an die regionalen und nationalen Gegebenheiten gebunden. Doch auch hier lässt sich was verändern. Mithilfe von Biogas zum Beispiel lassen sich schnell viele Prozesse grün gestalten. Und es wird auch darüber diskutiert, ob wir europaweit nicht komplett auf Gas verzichten sollten. Denn wir könnten unsere konventionellen Öfen auch durch elektrische Öfen ersetzen, die wiederum mit einhundert Prozent grünem Strom betrieben werden. Wir arbeiten derzeit an einem Investitionsplan für den Umbau der Lackiererei, um einen deutlichen nachhaltigeren Footprint für dieses Gewerk zu erreichen.
Zur Person:
Markus Haupt hat in Barcelona Betriebswirtschaft studiert und verfügt über mehr als 20 Jahre internationale Erfahrung im Volkswagen-Konzern, wo er 2001 seine berufliche Laufbahn begann. Während seiner ersten Jahre bei Seat und Audi spezialisierte sich Haupt auf Prototypen, bis er 2004 als Leiter des Prozess- und Projektmanagements für Seat Vorserien in das spanische Unternehmen zurückkehrte. Dort spielte er eine entscheidende Rolle bei der Einführung des Audi Q3 im Werk Martorell. Haupt leitete große Produktionsprojekte wie die A0-Klasse des Volkswagen-Konzerns in Wolfsburg und die erfolgreiche Serieneinführung des T-Roc in Palmela, Portugal. In den vergangenen Jahren und bis zu seiner Rückkehr zu Seat war Haupt Präsident von Volkswagen Navarra und General Manager des Werks Pamplona.