Der F-150 Lightning ist nach dem Mach E, der auch in Europa angeboten wird, die neue elektrische Speerspitze der Amerikaner.

Der F-150 Lightning ist nach dem Mach E, der auch in Europa angeboten wird, Fords neue elektrische Speerspitze. (Bild: Ford)

„Wir arbeiten gerade am Nachfolger des Ford Explorer. Das wird ein Auto wie kein anderes, etwas ganz Besonderes – so etwas hat man noch nicht gesehen“, kommt Darren Palmer, verantwortlich für alle Elektroautos des Blue Oval ins Schwärmen. Palmer ist stolz auf sein Team und den neuen Ford F-150 Lightning, der nicht nur den Elektromarkt in Nordamerika auf den Kopf stellen könnte. Der Lightning hat beste Chancen, das wichtigste Elektroauto der nächsten Jahre zu werden – zumindest in Nordamerika. Die Ford-Verantwortlichen rund um CEO Jim Farley sind sich der Bedeutung ihres bestromten F-150 durchaus bewusst. Seit dem Model T, das Anfang des vergangenen Jahrhunderts die automobile Massenproduktion einläutete, hat es kein wichtigeres Auto von und für Ford gegeben. Die F-Serie und allen voran der F-150 ist seit mehr als vier Jahrzehnten das meistverkaufte Fahrzeug der USA und damit einer der weltweiten Bestseller – pro Jahr entscheiden sich bis zu eine Million Kunden für den Fullsize-Pick-up.

Genau der F-150 ist als erster seiner Klasse unter dem Namen Lightning nunmehr als Elektroversion zu bekommen. Der Autobauer aus Dearborn hat damit nicht nur die direkten Wettbewerber General Motors und Stellantis, sondern auch Tesla ins Abseits gestellt, das den umstrittenen Cybertruck trotz anderslautender Ankündigungen noch nicht zur Marktreife gebracht hat.

Neue Strukturen, neue Köpfe

Doch Ford geht es um mehr als ein einziges Auto, denn das Blue Oval will auf zu völlig neuen Ufern. Dafür hat sich die Traditionsmarke vor Jahren neu aufgestellt und damit fest eingefahrene Strukturen aufgebrochen. „Wir haben gerade im Silicon Valley viele Firmen besucht und uns dort sehr genau angeschaut, was diese anders machen“, erläutert Darren Palmer, „es wurde schnell klar, dass es um die richtigen Leute an der rechten Stelle geht, um schneller zu reagieren. Das konnten wir mit den alten Ford-Strukturen einfach nicht.“

Zusätzlich holte das Führungsteam rund um John Farley wichtige Köpfe ins Unternehmen – gerade auch von Marken wie Tesla oder Apple und ließ diese unter dem Arbeitstitel Ford Model E abseits der normalen Strukturen in kleinen Teams arbeiten, während das klassische Geschäft im Bereich Ford Blue weiterlief. „Anfangs waren wir erst 50, dann gerade einmal 70 Leute“, erinnert sich Darren Palmer, „mit allen Freiheiten. Es gab keine festen Arbeitszeiten, keine Schreibtische und auch keine Parkplätze direkt am Gebäude.“

Für die schnellen Problemlösungen sprudeln die Beispiele nur so aus Darren Palmer heraus: „Wir haben uns zum Beispiel beim Mach E gefragt, was sind die zehn größten Probleme und sind alle durchgegangen. Probleme wie bei der Ladung der Smartphones waren nach ein paar Tagen gelöst. ‚Fix it - mehr interessiert mich nicht‘, habe ich gesagt.“ Darren Palmer ist ebenso wie seine Kollegen aus dem Topmanagement von Ford sicher, dass es ein „Weiter so“ in der Autoindustrie nicht geben kann. Vorbei sind die Zeiten, in denen man ein Auto bis zur letzten Schraube perfektionieren kann: „Es darf kein Over-Engineering mehr geben. Wir brauchen gute und schnelle Lösungen, die auch machbar und bezahlbar sind, denn die Welt ist einfach schneller geworden und gerade die kleinen Startups sind schnell und passen sich an.“

Ford will finanzstarkes E-Startup sein

Daher will man bei Ford in Zukunft flexibel wie ein Startup sein und dazu auf die stattlichen Finanzen eines etablierten Autoherstellern zurückgreifen. So will Ford bis Ende 2023 in einem ersten Schritt 600.000 Elektrofahrzeuge produzieren, während Verbrenner wie Bronco, Mustang und F-150 für Image sorgen. Für das Gesamtjahr 2022 hat Ford-Finanzvorstand John Lawler ein EBIT von 11,5 bis 12,5 Milliarden US-Dollar im Visier, was eine Steigerung von bis zu 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entsprechen würde.

„Es gibt große Dinge, die wir sehr gut machen, wie die Herstellung von Fahrzeugen mit hoher Nachfrage in großem Umfang", räumt Jim Farley ein, „und andere, sowohl in bestehenden als auch in aufstrebenden Bereichen, in denen wir uns verbessern müssen - und werden. Die Attraktivität dieser Produkte - Bronco, Bronco Sport, Maverick, Mustang Mach-E, E-Transit und jetzt der F-150 Lightning - ist unbestreitbar. Das schlägt sich in Aufträgen nieder, in der Regel mit reichhaltigen Konfigurationen, die den Kunden ein großartiges Erlebnis bieten und uns gesunde Preise bescheren.“

Mittlerweile ist das ehemals kleine schlagkräftige Startteam von Ford Model E nach der Pionierarbeit aufgespalten und teilweile in neue Prozesse eingebunden. „Endlos lange halten kann man so ein Team, das parallel arbeitet nicht“, hört man Darren Palmer das Bedauern an, „doch die schnellen Arbeitsprozesse sind geblieben. Ein neues Fahrzeug wird bei uns in einem Hub jetzt von einem Team aus den besten Leuchten entwickelt – vom Anfang bis zum Ende. Flexibel kommen immer wieder die Leute dazu, die man braucht. So entsteht derzeit eine Reihe neuer Fahrzeuge.“

Fords Elektro-Pläne in Europa und den USA

Etwas anders sieht es mit den beiden elektrischen Crossovern aus, die ab Herbst nach Europa kommen sollen. Als technische Plattform dient ihnen der modulare Elektrobaukasten von Volkswagen. VW kooperiert mit Ford nicht nur bei den Pick-up-Modellen Ford Ranger und VW Amarok, sondern auch beim Citytransporter mit dem Arbeitstitel „One Ton“ und eben zwei elektrischen Crossovern. Der erste soll Ende des Jahres in Europa auf den Markt kommen – produziert in Köln.

Der F-150 Lightning ist nach dem Mach E, der auch in Europa angeboten wird, die neue elektrische Speerspitze der Amerikaner. In den kommenden Jahren nimmt der Autobauer aus Detroit 50 Milliarden US-Dollar in die Hand, um sich fit zu machen für den Umschwung in die Elektromobilität. Bis 2030 will Ford in Europa komplett elektrisch werden und die so wichtigen Nutzfahrzeuge sollen bis spätestens 2035 folgen.

Am lautesten tönt die Musik aktuell jedoch in den USA und nach dem gut gestarteten Mach-E, dem nur seine allzu gekünstelte Mustang-Anleihe bei der Nomenklatur vorzuwerfen ist, soll der F-150 Lightning nun der lautstarke Startschuss in eine Elektroära sein, die Ford vor der gesamten Konkurrenz anführen will. Dabei setzt der Autobauer aus Dearborn auf Neues und bewährtes. Denn während der Tesla Cybertruck aussieht wie ein elektrisches Ufo aus einer fernen Buck-Rogers-Galaxie, so ist der 5,91 Meter lange Lightning vom gewöhnlichen Ford F-150 optisch kaum zu unterscheiden.

So wundert es nicht, dass im Straßenverkehr der texanischen Millionenmetropole San Antonio kaum einer der anderen Verkehrsteilnehmer auf das Zukunftsmodell mit dem Elektroantrieb aufmerksam wird. Der Elektro-Pick-up ist ein Koloss, wie man ihn gerade hier in Texas an jeder Ecke sieht. Mehr als die Hälfte aller Autos in dem Flächenstaat hat eine offene Ladefläche und so ist Texas der Musterstaat, ob der Lightning ein Erfolg wird oder nicht. „Wir haben bei 200.000 Vorbestellungen diese erst einmal gestoppt“, sagt Chefentwicklerin Linda Zhang, „die müssen wir erst einmal abarbeiten, sonst vergraulen wir die Kunden. Wir haben aktuell gerade eine Produktionskapazität von 150.000 Fahrzeugen pro Jahr.“

Was vom F-150 Lightning zu erwarten ist

Die direkten Wettbewerber Chevrolet Silverado, Dodge Ram, Toyota Tundra und speziell der gehypte Tesla Cybertruck straucheln beim Elektroantrieb. Diesen zeitlichen Vorsprung will Ford nutzen und seine Pflöcke so tief es nur geht bei den Kunden einschlagen. „Rund 80 Prozent der Lightning-Besteller fahren bisher einen Verbrenner“, erklärt Darren Palmer, „das ist eine einmalige Chance für uns, die vom Elektroantrieb zu begeistern.“

Die will man nutzen und daher ist nicht nur für eine entsprechende Technik gesorgt, sondern es wurde auch hart gepreist. Das sogenannte Workhorse des F-150 Lightning Pro startet für knapp unter 40.000 US-Dollar. Dafür gibt es knapp 380 Kilometer Reichweite, 377 kW / 452 PS, Allradantrieb, 98-kWh-Akku und eine solide Ausstattung. Gerade in den ersten Produktionsmonaten werden die meisten Ford F-150 Lightning jedoch die Topversionen Limited und Lariat sein, die schnell 90.000 US-Dollar kosten. Dafür gibt es 580 PS, 131-kWh-Akku, 480 Kilometer Reichweite und eine Serienausstattung, die kaum Wünsche offenlässt.

Kundenliebling trotz Makel?

Um den Markt so schnell als möglich für sich einzunehmen, nimmt man auch ein paar Makel in Kauf. Ford wollte seinen Hoffnungsträger schneller als die Konkurrenz auf den Markt bringen und schaute zudem noch auf den Cent. So ist der Lightning mit einem 400-Volt-Bordnetz unterwegs, der Schnellladungen nur bis 150 kWh ermöglicht.

„Die meisten unserer Kunden laden jedoch ohnehin in der heimischen Garage und allenfalls einmal zwischendurch beim Einkaufen auf dem Supermarktparkplatz“, versucht Linda Zhang über den überschaubaren Makel hinwegzutäuschen, „ein Elektroauto darf gerade als Pick-up keinerlei Einschränkungen bieten – auch nicht bei Nutzlast oder Reichweite. Sonst steigen die Kunden nicht um.“ Wichtiger denn je sei, dass man den Markt derzeit für sich hätte.

Angst, dass die Kunden nicht auf den Elektroantrieb umsteigen, zerstreut Casey Ogletree, der Jordan Ford, einen der größten Pick-up-Händler des Landes in der Nähe von San Antonio führt. „Wir haben aktuell 200 Vorbestellungen und mussten unsere Aufträge stoppen, nachdem Ford die Bestelllisten erst einmal geschlossen hat“, so Ogletree, „in 30 Tagen hätten wir die nächsten 200 – ganz sicher. Wir haben 75 Prozent Privatkunden und sie alle sind heiß auf den elektrischen F-150!"

Viele hätten bisher kein Elektroauto oder sie führen einen Tesla, mit dem sich nicht zufrieden seien, so Ogletree, „Das sind große Chancen für uns.“ Daher wird sich auch Jordan Ford in den kommenden Monaten ein neues Gesicht geben. Neuer Verkaufsraum und 18 statt bisher sechs Ladesäulen. Es tut sich etwas bei Ford – im Großen wie im Kleinen.

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