„Wir fingen hier nicht von null an. Ein Großteil der Grundlagen, die wir für andere Branchen nutzen, können wir auch für den Bereich Automotive verwenden“, erklärt Yu Chengdong, Huawei-Chairman of the Intelligent Automotive Solution. Auf dem Huawei-Campus für die Energiebranche in Shenzhen arbeiten 30.000 Menschen an Projekten für effektive Energiesysteme, sichere Energieübertragung oder riesige Energiespeicher. „Durch den Import dieses Wissens sind wir nicht nur schnell, sondern können mit unseren Produkten auch neue Anwendungen hinzufügen, beispielsweise die Energieverwendung immer weiter optimieren.“
Huawei arbeitet an superschnellen Ladegeräten
Dies wird bei einem Besuch auf dem Energiecampus von Huawei deutlich. Einige Anwendungen, welche dort in großen Anlagen funktionieren, können auch in der Energiesteuerung und der Energieoptimierung in Elektrofahrzeugen eingesetzt werden. Von der Funktionalität und dem weiteren Optimierungspotenzial kann man sich vor Ort überzeugen. In Shenzhen fahren bereits etwa 900.000 Elektroautos und Huawei unterhält weitere Projekte mit riesigen Energiespeichern und Systemen zur Optimierung der Energieübertragung - manche von ihnen befinden sich schon im Praxistest.
Allein in diesem Jahr möchte Huawei 100.000 Ladestationen für Elektrofahrzeuge in China installieren. Diese Ladegeräte sind mit allen Arten von Elektrofahrzeugen kompatibel, einschließlich Tesla. Die superschnellen Ladegeräte für Elektrofahrzeuge von Huawei verfügen über eine Ausgangsleistung von 600 kW, was nach Unternehmensangaben aktuell die höchste weltweit ist und die der Tesla-Kompressoren mit 250 kW übertrifft.
Was steht hinter Intelligent Automotive Solution?
Vor vier Jahren gründete Huawei seinen Geschäftsbereich Intelligent Automotive Solution (IAS). Das Smart-Car-Software- und Komponentenunternehmen wird bereits auf einen Unternehmenswert von 250 Milliarden Yuan (circa 35 Milliarden US-Dollar) geschätzt. Nun möchte Huawei den Geschäftsbereich Automotive in ein neues Unternehmen abspalten. Changan Auto, einer der „Big Four“ der staatlichen chinesischen Autokonzerne aus der 32-Millionen-Metropole Chongqing und Huaweis wichtigster Automobilpartner, könnte sich mit weiteren Partnern an IAS beteiligen. Auch die staatlichen Automobilhersteller FAW Group und Dongfeng Motor Group sind laut chinesischen Medienberichten in fortgeschrittenen Gesprächen über den Erwerb von jeweils bis zu fünf Prozent. Huawei erwägt, den Hauptsitz des neuen Unternehmens in Chongqing zu errichten; derzeit hat die Einheit ihren Hauptsitz in Shanghai.
So kooperiert Huawei mit Changan
Mit Changan arbeitet Huawei in einem Unternehmen zusammen, das derzeit unter dem Namen Newcool firmiert. Auf der Changan Auto Global Partnership Conference 2024 sagte der Boss Zhu Huarong, dass sich die Zusammenarbeit mit Huawei in ihrem Joint Venture auf intelligente Fahrlösungen, intelligente Cockpits, digitale Automobilplattformen, Auto-Cloud-Dienste, AR-HUD und intelligente Autobeleuchtungen konzentrieren wird. Die Partnerschaft bezieht sich nicht auf das Geschäft mit kompletten Fahrzeugen. Der Schwerpunkt liegt auf innovativen Technologien und strategischen Kooperationen mit anderen Partnern, um kostengünstige und außergewöhnliche Produkte zu schaffen, so Zhu. Verantwortlich für das weltweite Design der Marke Changan ist seit Oktober 2023 der ehemalige Chefdesigner von Volkswagen, Klaus Zyciora. Neben Changan arbeitet Huawei eigentlich mit allen relevanten chinesischen OEMs zusammen, darunter Nio, Chery oder BAIC.
Huawei raubte Li Xiang den Schlaf
Auch der Firmengründer des Auto-Startups Li Auto zeigt sich beeindruckt von Huawei. „So einen starken Gegner haben wir noch nie erlebt und wir waren lange Zeit völlig wehrlos. Die Fähigkeiten von Huawei führten direkt zum Einbruch der Verkäufe unseres ersten Modells Li One und zur zeitweiligen Einstellung der Produktion. Es entstanden binnen eines Quartals Verluste von über einer Milliarde Yuan. Ich konnte überhaupt nicht schlafen, weil unsere Fähigkeiten einfach zu schwach waren“, so Li Xiang. Li sieht in Huawei eine noch größere Herausforderung als in BYD oder Tesla. Das nötigt ihm Respekt ab. „Die Haltung gegenüber Huawei lautet: 80 Prozent Lernen, 20 Prozent Respekt und null Prozent Kritik“, so Li. Nicht nur die Technik, sondern auch das Huawei-Managementsystem mit seiner Mitarbeiterbeteiligung müsse sein Konzern analysieren, um davon zu profitieren. In Anlehnung an das Vorteilsausgleichssystem von Huawei erhielten die Mitarbeiter von Li Auto für die guten Ergebnisse von 2023 Jahresendboni zwischen vier und acht Monatsgehältern.
Auch deutsche OEMs entwickeln mit Huawei
Auch die deutschen Autokonzerne nutzen die enorme Innovationsgeschwindigkeit in China. Der Volkswagen-Konzern, Mercedes-Benz und BMW haben eine stattliche Anzahl von Lizenzvereinbarungen mit Huawei. Über Kreuz- und Quer-Beteiligungen arbeiten sie auch mit den chinesischen Huawei-Partnern zusammen. Gemeinsame Projekte wie autonomes Fahren werden jedoch nicht gern öffentlich kommuniziert. Dies gilt noch mehr für die Zulieferindustrie, für Bosch, ZF oder Continental. Während in Deutschland Tausende von Arbeitsplätzen in den Entwicklungsabteilungen gestrichen werden, bauen die großen deutschen Zulieferer ihre Forschungs- und Entwicklungskapazitäten in China aus. Dies scheint jedoch alternativlos, da in China weit über die Hälfte der Elektroautos produziert und verkauft werden. Dort ist der Hauptabsatzmarkt, dort winken immer noch die meisten Gewinne.
Wird Huawei das neue Bosch?
Noch größere Geschäfte als mit den Fahrzeugen, welche Huawei mit unterschiedlichen Herstellern entwickelt, könnten mit Zulieferungen gemacht werden, die in jedes smarte Elektrofahrzeug passen. Huawei konzentriert sich auf Steuerungstechnologie, Antriebstechnik sowie Unterhaltungselektronik und möchte damit zum wichtigen Partner der weltweiten Autoindustrie werden.
Bosch reagierte auf diese Herausforderung, indem es die größte Umstrukturierung der Automobilsparte seiner Firmengeschichte umsetzt und damit zu einem Teil die Automotive-Strategie von Huawei kopiert. Bosch rechnet mit einem Wachstum von durchschnittlich sechs bis acht Prozent pro Jahr. Bis 2029 soll das Smart-Mobility-Geschäft 80 Milliarden Euro erreichen. Der chinesische Markt spielt dabei eine zentrale Rolle – nicht nur als Absatzmarkt.
Wie will Huawei mit der Autoindustrie kooperieren?
Huawei-Techniker stellen jedoch eher die sich ergänzenden Elemente heraus. Namen wie Bosch haben dort immer noch einen ausgezeichneten Ruf. Yu Chengdong betont, dass Huawei für weitere Kooperationen offen sei und auch weitere, auch deutsche Konzerne sich an dem neuen Geschäftsbereich beteiligen können. Huawei wolle nicht unbedingt Autos produzieren, betont er wiederholt, sondern den Automobilherstellern helfen, bessere Fahrzeuge zu bauen, und damit seine Position als Technologiepartner statt als Konkurrent stärken.
Huawei hat derzeit drei Kooperationsmodelle: den Standardteilemodus, den Huawei-Inside-Modus und den Smart-Selection-Modus. Das Standardteilemodell bezieht sich darauf, dass Huawei Automobilhersteller mit Komponenten wie Lidar, Millimeterwellenradar und Kameras sowie TMS-Energiemanagement- und TMS-Wärmemanagementkomponenten im Fahrzeug versorgt. Der Huawei-Inside-Modus (HI) bezieht sich auf Automobilunternehmen, die Huaweis Smart-Car-Lösungsmarke HI übernehmen. HI umfasst vollständig selbstentwickelte Technologien für mehr als 30 intelligente Komponenten wie Smart Cockpit, Smart Driving und Lidar. „Wir bieten HI-Full-Stack-Lösungen an, aber Produktdesign und Produktdefinition werden von Automobilunternehmen durchgeführt“, so Yu Chengdong. Er erklärt, dass traditionelle Automobilunternehmen und Huawei im Prozess der Zusammenarbeit eine komplementäre Beziehung haben. „Wo sie stark sind, können wir schwach sein; wo sie schwach sind, können wir stark sein.“
Huaweis Achillesferse: die Datensicherheit
Eine große Hürde für Kooperationen mit deutschen Unternehmen ist die Frage der Datensicherheit. Huawei erklärt, dass die geäußerten Bedenken unbegründet und nicht belegt sind. Firmengründer Ren Zhengfei beteuerte öffentlich, dass er staatliche Überwachungstechnik nie zulassen werde. Die US-Regierung verschärft die Sanktionsbestimmungen gegen Huawei und die deutsche Automobilindustrie reagiert auf die daraus resultierende zunehmende Entkoppelung der Märkte mit einer Investitionsoffensive.
Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) sind die deutschen Direktinvestitionsströme nach China im Jahr 2023 auf 11,9 Milliarden Euro gestiegen, was einen neuen Höchststand darstellt. Ein Großteil kam aus der Automobilindustrie. Wie die politischen Einflüsse weitergehen, ist unklar. Vieles hängt auch von dem Ausgang der bevorstehenden US-Wahlen ab. Auf jeden Fall müssen sich die deutschen Unternehmen bei den Kooperationen mit chinesischen Technologieführer gegen politische Risiken absichern und gleichzeitig China als Markt und Innovationsstandort nutzen.