Das Hyundai-Werk in Ulsan aus der Luft

Aus der Luft werden die Dimensionen des Hyundai-Werks in Ulsan besonders deutlich. (Bild: Hyundai)

Angefangen haben sie in einer besseren Baracke. Denn als hier nach nur sechs Monaten Vorlauf die ersten Lizenzbauten des Ford Cortina montiert wurden, lag Korea wirtschaftlich am Boden und Hyundai war noch nicht viel mehr als eine fixe Idee. Schon die Kapazität von 50.000 Autos war für die meisten damals nicht viel mehr als eine optimistische Utopie. Doch schon sechs Jahre später läuft in Ulsan die erste echte Automobilfabrik Koreas an und baut das erste eigene Auto des von zwei Kriegen gebeutelten Landes. Das ist jetzt fast genau 50 Jahre her und an der Südwestküste hat sich viel getan. Sehr viel sogar. Denn während Hyundai mit seinen Töchtern Genesis und Kia nach Toyota und Volkswagen zum mittlerweile weltweit drittgrößten Autohersteller aufgestiegen ist und damit wie von Firmengründer Ju-yung Chung vorhergesagt den Globus erobert hat, wurde aus der Keimzelle in Ulsan das größte Automobilwerk der Welt.

Zweieinhalb Schnellbahn-Stunden südöstlich von Seoul arbeiten in der Millionenstadt, die als industrielles Zentrum des Landes gilt, in bis dato fünf Fabriken auf einem zusammen mehr als fünf Millionen Quadratmeter großen Areal 32.000 Menschen. Sie produzieren von morgens 6.45 Uhr bis nachts um 0:10 Uhr in zwei Schichten bis zu 6.000 Autos pro Tag. Alle zehn Sekunden läuft deshalb rein rechnerisch ein Neuwagen vom Band. Im Jahr sind das über 1,4 Millionen Autos und damit fast doppelt so viele wie zum Beispiel bei VW in Wolfsburg, wo zwischen 750.000 und 800.000 Autos im Jahre gebaut werden können. Und Lada in Togliatti mag zwar das längste Montageband der Welt haben, kam aber selbst in besten Zeiten nur auf knapp 700.000 Einheiten pro Jahr. Bei einer Gesamtproduktion von 3,25 Millionen Fahrzeugen im letzten Jahr kommen demnach fast die Hälfte aller Hyundai aus Ulsan.

Wer zum Beispiel Factory 3 betritt, der sieht, wie aus 20.000 Einzelteilen Autos wie der Elantra oder der Kona entstehen - und wundert sich über den geringen Grad der Automatisierung. Denn zumindest an den 900 Meter langen Bändern in der Endmontage werden 90 Prozent der Arbeiten von Hand erledigt, erläutert Eon Kim aus der Führungsmannschaft. Dabei ist die Arbeitskraft für Hyundai gerade wieder deutlich teurer geworden. Zwar will im Werk niemand den Durchschnittslohn verraten. Doch müssen die Koreaner dafür seit dem Sommer tiefer in die Kasse greifen: Um den ersten Streik seit 2018 zu vermeiden und das Rentenalter von 60 auf 64 anzuheben, haben sie mit der Gewerkschaft eine Lohnerhöhung von 12 Prozent ausgehandelt.

Nachdem das Werk seit der Lizenzfertigung des Cortina im Jahr 1968 und dem Start des Pony 1975 mehr als 30 Mal erweitert wurde, gibt es neben den mittlerweile fünf Fahrzeugfabriken für über ein Dutzend Modelle auf dem 700 Fußballfelder großen Areal auch noch eine Getriebeproduktion und zwei Motorenwerke – eines baut die Diesel, das andere die Benziner. Dazu kommen noch Presswerke und Lackierstraßen. Die größte Werft der Welt – natürlich ebenfalls von Hyundai betrieben, jenseits des Flusses nicht mitgerechnet.

Zwar dominieren die drei Hyundai-Marken den Heimatmarkt eindrucksvoll. Doch bei allem Erfolg geht der größte Teil der Produktion in den Export – selbst wenn die Koreaner mittlerweile rund ein Dutzend Werke im Ausland unterhalten. 80 Prozent der Neuwagen aus Ulsan rollen deshalb an den fast einen Kilometer langen Kai und werden dort im Akkord auf pro Tag bis zu drei Überseefrachter verladen, die Kona & Co in mehr als 200 Länder bringen. Die einzelnen Werke sind den jeweiligen Modellen oder Produktgruppen zugeordnet. Es gibt eines für die Premium-Fahrzeuge der vornehmen Tochter Genesis, eines für die großen SUV wie den Palisade, eines für die Limousinen und Kompakten und eines für die Vans. Und da ist die Factory Nummer 1, in der 1975 der Pony gestartet wurde und in der Hyundai seit zwei Jahren an der Zukunft schraubt. Denn genau hier haben sie mit Ioniq 5 und Ioniq 6 den Aufbruch ins Elektrozeitalter gewagt.

Weil die elektrische Revolution bei den Koreanern so langsam Fahrt aufnimmt und der Konzern zum Ende der Dekade drei Millionen E-Autos verkaufen will, ist es damit aber nicht mehr getan. Deshalb wird Ulsan jetzt erweitert und Hyundai baut als sechstes Werk am Stammsitz seine erste dezidierte E-Auto-Fabrik. Genau wie es die Schwester Kia schon im Frühjahr angekündigt hat. Gut 1,5 Milliarden Euro investieren die Koreaner dafür in Ulsan, und nachdem sie im November den Grundstein gelegt haben, sollen dort ab Anfang 2026 beginnend mit dem Genesis GV90 bis zu 200.000 Elektroautos im Jahr von Band laufen. Produziert mit 100 Prozent grünem Strom und konstruiert auf einer neuen Plattform, die pünktlich zur Eröffnung des Werkes die aktuelle E-GMP-Architektur von Ioniq 5 und anderen ersetzen soll.

Gebaut wird die rund 500.000 Quadratmeter große Fabrik auf dem bisherigen Testgelände im Herzen des Werkes. Denn erstens war das eine der wenigen Freiflächen auf dem riesigen Areal. Und zweitens hat das für CEO Jaehoon Chang durchaus auch symbolische Bedeutung. Schließlich haben sie hier nicht nur ihr erstes Exportmodell Pony Excel zum Laufen gebracht, mit dem in den 1980er Jahren der Export begonnen hat. Sondern hier hat 1992 mit einem umgerüsteten Sonata auch das erste Elektroauto von Hyundai seine Jungfernfahrt absolviert.

Das erweiterte Stammwerk markiert für Konzenrchef Chang eine weitere Etappe auf dem Weg an die Spitze der Elektroautobauer. Dafür will er rund ein Drittel des nächsten Zehnjahres-Budgets in die neue Antriebswelt investieren und hat 30 Milliarden Euro für Hyundai, Kia und Genesis freigezeichnet. Damit sollen neben den neuen Werken zudem noch eine eigene Batteriefabrik gebaut und eine neue Plattform für ein weiteres Dutzend neuer Modelle entwickelt werden. Insgesamt sollen bis zum Ende der Dekade dann von allen drei Marken über 30 Elektroautos angeboten werden und allein in Korea wollen sie statt zuletzt rund 330.000 über 1,5 Millionen Elektroautos produzieren. Dazu kommen noch einmal ähnlich viele in einem eigenen E-Werk im US-Staat Georgia oder zum Beispiel in der Fabrik für Kona und i30 in Tschechien.

Ein elektrifiziertes Stammwerk, eigene Akkus und eine groß angelegte Produktoffensive - damit verfolgt Hyundai ehrgeizige Ziele, sagt CEO Chang: „Im erbitterten Wettbewerb zwischen den etablierten Autobauen und Elektro-Newcomern wie Tesla wollen wir uns so an die Spitze des Feldes setzen.“

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