Tagebau / Autoindustrie fehlt der Durchblick in der Lieferkette

Ob in Minen oder wie hier im Tagebau: Automobilunternehmen müssen ihre Lieferketten künftig weit aktiver überwachen. (Bild: Volkswagen)

Kohlenstoffdioxid ist ohne Zweifel der größte Klimakiller, den vor allem die Autoindustrie jetzt konsequent angehen muss. Aber nicht nur CO2 macht Probleme: Aus einer marokkanischen Kobaltmine gelangen zuletzt laut einer Recherche von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR große Mengen Arsen in die Umwelt und ins Grundwasser. Zudem würden Arbeitsschutzbestimmungen aufs Gröbste missachtet. Zu den Abnehmern des für die Batterieproduktion so wichtigen Rohstoffes gehören unter anderem BMW und Renault, die mit dem Rohstoffkonzern Managem Verträge zur nachhaltigen Kobalt-Versorgung getroffen hatten. Dieser wiederum beruft sich nun auf Zusicherungen seiner vor Ort tätigen Subunternehmen, dass alles seine Ordnung habe.

Misstrauen zwischen OEMs und Lieferanten

Sich auf Selbstauskünfte von Lieferanten und dezentral geführte Excel-Tabellen zu verlassen, reiche keinesfalls aus, betonen die Analysten von KPMG in einer kürzlich veröffentlichten Studie. Warum sollten die Berichtenden auch die Wahrheit sagen? Diesbezüglich legte Capgemini Research bei einer etwa zeitgleich durchgeführten Erhebung den Finger sehr tief in die Wunde. OEMs und Zulieferer scheinen „in einem Teufelskreis gefangen zu sein, in dem mangelnde Transparenz gegenseitiges Misstrauen schürt und umgekehrt“, lautet das Fazit aus Gesprächen mit Führungskräften auf Direktorenebene und höher in 449 globalen Automobilunternehmen. Lieferanten misstrauten den Fertigungsanforderungen der OEMs und diese wiederum hätten kein Vertrauen in die selbst gemeldeten Nachhaltigkeitsdaten der Lieferanten. Womöglich rächt es sich, dass „Lieferpartnerschaft“ in der Vergangenheit allzu oft eine Worthülse war.

„Die zwischen OEMs und Zulieferern ausgetauschten CO2-Fußabdruckdaten sind unzuverlässig, weil die Hersteller selbst die Daten nicht vollständig in die gesamte Lieferkette integriert haben und weil der Datenfluss nicht gut ist“, heißt es. Somit überrascht das Ergebnis nicht allzu sehr: Nur 46 Prozent der Unternehmen überwachen die Nachhaltigkeitsrisken in ihren Lieferketten aktiv. Wie das funktionieren kann, zeigt ein Beispiel.

Sind die Nachhaltigkeits-Checks der Industrie ausreichend?

„Sämtliche ESG-relevante Kriterien sind Bestandteil der Einkaufsverträge, etwa CO2-äquivalente Emissionen, die von der Rohstoffgewinnung bis zur Teileproduktion bei den Lieferanten anfallen. Es gibt eine Liste der Rohstoffe mit dem höchsten CO2-Ausstoß, die 80 Prozent des CO2-Fußabdrucks von Elektrofahrzeugkomponenten ausmachen“, berichtet ein Stellantis-Sprecher über die Best Practices in seinem Konzern.

Für diese Top-Rohstoffe sei ein CO2-äquivalenter Emissionshöchstwert als Voraussetzung für die Auftragsvergabe definiert und zugleich Kriterium für eine regelmäßige unabhängige Überprüfung von dritter Seite. Nach diesem Muster werden sämtliche sozialen und ökologischen Leistungen der Lieferanten bewertet. Defizite in einem zentralen Punkt berechtigen zur Kündigung des Liefervertrags.

Derzeit lassen nur rund 28 Prozent der von KPMG befragten Automobilunternehmen die Einhaltung ESG-definierter Vorgaben durch externe Prüfer bestätigen. 18 Prozent werden mit Limited Assurance (begrenzter Sicherheit) und zehn Prozent mit Reasonable Assurance (hinreichender Sicherheit) geprüft. Bei ebenfalls 28 Prozent befindet sich ein externes Audit in Planung. Eine Vielzahl an fehlenden Angaben deuteten auf eine nicht hinreichende Sensibilisierung hin. Ein Entrinnen gibt es allerdings nicht. In naher Zukunft werden eine Vielzahl an Daten gemäß der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU sowohl berichts- als auch prüfpflichtig.

Digitalisierung kann Licht ins Dunkel bringen

Eine regelbasierte Zusammenarbeit und gute Kommunikation mit den Lieferanten sind das A und O. Denn wenn Richtlinien für Prozesse, deren Transparenz und Konfliktlösung für jedermann nachvollziehbar sind, kann Misstrauen gar nicht erst entstehen. „Die Bereitstellung klarer, aktueller Informationen für Lieferanten wird helfen, Veränderungen zu bewältigen, einschließlich großer Umwälzungen wie dem Technologieübergang zu Elektrofahrzeugen“, so Federico Baiocco, Leiter Global Supply Chain und S&OP der Iveco Group. Die Digitalisierung bietet dafür eine Chance, etwa durch Einführung standardisierter digitaler Produktpässe für Rohstoffe, Zwischenprodukte und Batterien, ergänzt der TÜV Süd. Gemeinsame IT-Standards ermöglichten zudem Monitorings in Echtzeit.

Ohne strikte ESG-Regimes wird aus allem nichts. Nur 37 Prozent der von Capgemini Research Befragten gaben an, dass ihre Unternehmen bei Entscheidungen zur Lieferkette Nachhaltigkeit, CO2-Fußabdruck und Umweltrisiken berücksichtigen und nur 53 Prozent verfolgen eine Kreislaufwirtschaftsstrategie. Im laufenden Jahr 2023 werden die Nachhaltigkeitsinvestitionen der Autobranche zwar insgesamt leicht ansteigen, was aber hauptsächlich auf das Konto der OEMs geht. Zulieferer verzeichnen hingegen einen Rückgang von 17 Prozent. Doch die Zeit drängt.

Kreislaufwirtschaft wird zum Muss

Nach den Vorstellungen der EU sollen Automobilhersteller unter anderem zirkuläre Lieferketten unter Verwendung recycelter Materialien entwickeln. Auch 73 Prozent der Führungskräfte in der Automobilwirtschaft halten das für sinnvoll. Schließlich rechnet es sich. Beispielsweise geht Renault davon aus, dass sein Programm für Recycling- und Aufbereitung den Zeitaufwand für die Vorbereitung eines Gebrauchtwagens von 21 auf acht Tage verkürzt. „Die Unternehmen der Automobilindustrie haben die hohe Bedeutung der ESG-Transformation weitestgehend erkannt, der Reifegrad der Umsetzung liegt jedoch noch deutlich unter den Ansprüchen des definierten Ambitionslevels“, resümieren die Analysten von KPMG.

Nicht zuletzt aufgrund der verpflichtenden regulatorischen Anforderungen der EU gelte es, das Tempo weiter zu erhöhen. Zum Gesamtbild gehört aber auch, dass 38 Prozent der Treibhausgasemissionen laut Bundesumweltamt in der vorgelagerten Wertschöpfungskette der Automobilindustrie in Deutschland entstehen. Dies insbesondere bei der Stromerzeugung sowie bei der chemischen und metallverarbeitenden Industrie. Nachhaltigkeit geht alle an.

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