Beinahe wöchentlich erscheinen derzeit neue Meldungen von Automobilherstellern, die sich das Thema Kreislaufwirtschaft auf die Fahnen schreiben: Vom eigenen Recycling-Werk, über neu gegründete Unternehmen bis hin zu News zur Zweitverwertung von Fischernetzen in Autoteilen. Böse Zungen könnten behaupten, dass es sich dabei nur um geschickte PR handle. Doch bei näherer Betrachtung wird schnell klar, dass der Autoindustrie kaum etwas anderes übrigbleibt, als auf die Wiederverwendung von Rohstoffen und die Vermeidung von Abfallprodukten zu setzen. Denn der Umstieg auf alternative Antriebe, allen voran auf batterieelektrische Fahrzeuge, geht einher mit einem starken Anstieg der Emissionen in der Produktion. Schon jetzt sind Rohstoffe knapp, mittelfristig drohen die Preise zu explodieren und erneute Lieferengpässe sind mehr als wahrscheinlich. Allein schon, um sich unabhängiger zu machen, muss es das Ziel der Hersteller sein, so wenig Abfall wie möglich zu produzieren und vorhandenes Material so effizient wie möglich wiederzuverwenden.
Anlage fürs Batterierecycling sprießen aus dem Boden
Einer der ausschlaggebendsten Faktoren in diesem Zusammenhang ist die Batterie. Um die Bedingungen etwa bei der Rohstoffgewinnung von Kobalt oder Lithium zu verbessern, wurde im April dieses Jahres der Batteriepass eingeführt. Er sieht vor, dass der CO2-Fußabdruck von Batterien für Elektrofahrzeuge sowie Industriebatterien ausgewiesen und schrittweise immer weiter verringert wird. Gefördert wird die Initiative unter der Führung der Systemiq GmbH vom Bundeswirtschaftsministerium. Doch auch die Hersteller selbst sind längst aktiv.
Vor knapp zwei Jahren gab Volkswagen bekannt, dass in Salzgitter eine Anlage für das Recycling von ausgedienten Batterien in Betrieb genommen werden soll. Davor kündigte Renault den Umbau seiner Fabrik Flins im Pariser Großraum zu einem Recyclingzentrum an. 2023 soll die entsprechende Fabrik von Mercedes in Kuppenheim den Betrieb aufnehmen. Chemiekonzern BASF plant den Bau einer Batterierecyclinganlage am Standort Schwarzheide in Brandenburg. Das Ziel aller Akteure ist identisch: Die industrialisierte Rückgewinnung wertvoller Rohmaterialien wie Lithium, Nickel, Mangan und Kobalt in einem geschlossenen Kreislauf sowie von Aluminium, Kupfer und Kunststoff mit einer Wiederverwertungsquote von perspektivisch mehr als 90 Prozent.
Wie sinnvoll ist chemisches Recycling?
Doch gerade beim Thema Kunststoff wird es kompliziert: Rund 150 verschiedene Arten werden in Autos verbaut. Sie machen zwischen zehn und 20 Prozent des Gesamtgewichtes aus, Tendenz steigend. Denn so wird Leichtbau günstig. Laut des Gesamtverbands Kunststoffverarbeitende Industrie ersetzen 100 Kilo Kunststoff bis zu 300 Kilo andere Werkstoffe. Aber der so erzielte Umwelteffekt hält sich in überschaubaren Grenzen, da sich die Materialien immer noch schlecht recyceln lassen – vor allem komplexe Mischstoffe. Mechanisches Recycling von Plastik stößt dort an seine Grenzen, wo verschiedene Kunststoffe im Verbund verarbeitet werden und diverse Kleber, Lacke und Füllstoffe wie etwa Glasfasern zum Einsatz kommen.
Abhilfe schaffen soll das chemische Recycling: Hierbei wird Plastik mit Chemikalien bei hohen Temperaturen wieder in seine Rohstoffe zerlegt, so dass Kunststoffrezyklate entstehen, die den hohen Qualitätsansprüchen der OEMs gerecht werden. In diesem Prozess wird aus alten Kunststoffbauteilen wie Türverkleidungen, Radhausschalen oder Kühlergrills vor allem Pyrolyseöl gewonnen, aus dem – wie bei Erdöl – wieder neue Kunststoffe produziert werden können.
Macht es sich die Autoindustrie zu einfach?
Der VDA sieht in der Technologie einen wichtigen Faktor und fordert in einem Positionspapier zum Thema Kreislaufwirtschaft die Nutzung aller Materialquellen zu ermöglichen. „Die Fokussierung auf reines Closed-Loop-Recycling behindert die optimale Nutzung verfügbarer Sekundärmaterialien“, heißt es beim Verband. Die Anerkennung von chemischem Recycling sei notwendig, um Stoffkreisläufe aus langlebigen Produkten zu schließen und Schadstoffe auszuschleusen. Umweltwissenschaftlerin Chrisina Dornack von der TU Dresden befürchtet, dass dadurch Fakten für die Zukunft geschaffen würden. Der Bau von chemischen Recycling-Anlagen ist kostspielig und wenn sie erst einmal in großer Zahl vorhanden sind, müssen sie auf Volllast laufen, um sich schnellstmöglich zu amortisieren. „Es geht darum, dass wir die Produkte so gestalten, dass sie langlebig, widerverwendbar und recyclingfähig sind“, mahnt die Prodekanin der Fakultät für Umweltwissenschaften.
Das chemische Recycling könne eine Ergänzung sein, müsse aber in Maßen erfolgen, statt in den Größenordnungen, die aktuell geplant sind. Ähnlich sieht es auch Sarah Fluchs vom Institut der Deutschen Wirtschaft. „In einer Kreislaufwirtschaft schaue ich mir das Design von Produkten an und eigentlich muss ich genau da ansetzen“, fordert sie. Es müsste die Frage gestellt werden, welche Materialien überhaupt in mein Fahrzeug, in meine Batterie, in meine Produktkomponenten kommen sollen. Das Ansetzen lediglich ganz am Ende des Lebenszyklus sei besser als gar nichts, aber trotzdem der schlechteste vorstellbare Weg.
Streit um manuellen Ausbau von Einzelteilen
Setzt die Autoindustrie bei der Kreislaufwirtschaft also die falschen Schwerpunkte? Statt primär auf die Vermeidung von Abfällen einzugehen, fordert der VDA in Bezug auf Altfahrzeuge, den manuellen Ausbau von Materialien wie Kunststoff, Glas oder Edelmetallen nicht als geeignete Maßnahme zur Dekarbonisierung anzuerkennen. Der Aufwands bei Ausbau und Sammlung sowie der Transports zu zentralen Aufbereitern sei nicht sinnvoll. Stattdessen solle die Post-Schredder-Technologie, wie im Kreislaufwirtschaftsgesetz gefordert, konsequent angewandt und gefördert werden. Widerrede gibt es jedoch auch hier von der Umweltwissenschaftlerin: „Alle Technologien haben ihre Berechtigung. Aber man sollte bei der Kreislaufwirtschaftshierarchie, wenn man sie schon zitiert, ganz oben anfangen. Und da steht die Vermeidung von Abfällen.“ Und diese könne man nur dann vermeiden, wenn man die Materialien auch dezentral aus Fahrzeugen ausbaut, so Christina Dornack.
Dennoch ist die Autobranche zumindest in Teilbereichen auf einem guten Weg. „Es gibt im Automobilbereich schon sehr viele Geschäftsmodelle, Ideen und Innovationen rund um Batterien, die sich um Manufacturing oder um das zur Verfügung stellen von Ersatzteilen kümmern“, findet Sarah Fluchs. Der Markt selbst biete Unternehmen die Chance, neu zu denken. Wenn es durch politische Rahmenbedingungen noch gewisse Rücklaufquoten gebe, biete das zusätzliche Anreize, Batterien so zu designen, dass man sie bestmöglich wieder auseinandernehmen kann.
Muss die Politik den Druck erhöhen?
Um den Kreislaufgedanken noch mehr zu fördern, sei die Anerkennung von Sekundärmaterialien ein weiterer wichtiger Punkt. Häufig würden Recyclingmaterialien nicht die entsprechende Qualitätsstandards erreichen oder entsprechende Zertifikate erhalten. Dadurch sei ihr Einsatz in neuen Produkten erschwert, so Fluchs. Trotz einiger politischer Fortschritte in den vergangenen Jahren fordert Umweltwissenschaftlerin Dornack weitere sinnvolle Anreize: Diese könnten möglicherweise auch ökonomisch wehtun, aber sie würden helfen, am Ende des Tages ökonomisch deutlich besser dazustehen, als dies jetzt der Fall sei. „Wenn wir eine Verpflichtung hätten, dass die Automobilindustrie die Mengen, die sie verbaut, auch zurücknimmt und so aufarbeitet, dass sie dann wieder in neuen Automobilen oder in der Fahrzeugreparatur eingesetzt werden, dann wäre das ein Weg“, so Dornack.
Diesen wollen die meisten OEMs auch ohne strikte Pflichten und Vorgaben aus der Politik gehen. Einen Grund sieht Marco Philippi, Leiter der Beschaffungsstrategie bei Audi, darin, dass es sich auch wirtschaftlich immer mehr lohnt, auf Nachhaltigkeit zu setzen: „Der Business Case bei vielen Nachhaltigkeitsthemen wird immer deutlicher“, sagt er. Eine vollständige Transparenz der Risiken in der Lieferkette - sei es bei den Abläufen oder den Arbeitspraktiken - wäre nahezu unmöglich. Doch gerade die Größe der Lieferkette macht Philippi zuversichtlich, dass das Unternehmen in der Lage ist, Veränderungen anzuschieben. Wirtschaftswissenschaftlerin Fluchs sieht dagegen Optimierungsbedarf entlang der Wertschöpfungskette in der Autoindustrie. Sie fordert eine viel stärke Vernetzung, vor allem in Bezug auf das Design und auf die Entwicklung von Fahrzeugen und Batterien.
Nicht nur durch die Folgen von Pandemie, Halbleitermangel oder Ukraine-Krieg wurde in den letzten Jahren das Bewusstsein der Autobranche für ein höheres Maß an Unabhängigkeit geschärft. Mittelfristig drohen Versorgungsengpässe, denn der Rohstoffbedarf steigt weiter, um die Energiewirtschaft und den Verkehr nachhaltig zu gestalten. Der Wille, auf mehr Kreislaufwirtschaft zu setzen, ist erkennbar. Ob die Ausrichtung richtig und der ihr zugeschriebene Stellenwert hoch genug ist, wird sich zeigen.