BMW-Einkaufsvorstand Andreas Wendt

Einkaufsvorstand Andreas Wendt: Die Coronakrise zwingt die Beschaffung von BMW, auf Sicht zu fahren und die Planungen täglich zu überarbeiten. (Bild: Rainer Häckl/BMW)

Herr Wendt, Experten befürchten, dass durch das Coronavirus die stark verflochtenen Lieferketten in der Automobilindustrie aus dem Takt kommen. Wie stellt sich die Lage aktuell bei BMW dar?

Zunächst einmal: Die Gesundheit unserer Mitarbeiter steht bei der BMW Group im Mittelpunkt. Nachdem Anfang dieser Woche ein Coronafall in unserem Forschungs- und Innovationszentrum hier in München bekannt geworden war, haben wir die für diesen Fall geplanten Maßnahmen eingeleitet: Die betroffenen Räumlichkeiten wurden gesperrt und desinfiziert. Vorsorglich werden etwa 150 Kollegen im Home-Office weiterarbeiten. Was die Lieferketten betrifft, bleibt in einer global vernetzten Wirtschaft ein solches Ereignis natürlich nicht ohne Folgen. Wir haben die Entwicklungen in und außerhalb Chinas von Anfang an sehr intensiv beobachtet und verfolgen im Einkauf die Lieferströme minutiös bis hinein in die n-Tier-Ketten. Stand heute haben wir keine Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit zu vermelden – der Betrieb in unseren Werken in China ist am 17. Februar angelaufen und auch alle anderen Werke in unserem Produktionsnetzwerk laufen regulär.   

Wird sich die Krise in Europa zeitversetzt bemerkbar machen?

Wir unterscheiden drei Hauptwarenströme: Lieferungen aus China für China, aus China heraus für den Rest der Welt und aus dem Rest der Welt nach China. Aus strategischen Gründen achten wir darauf, dass es für Bauteile und Komponenten in der Regel mehrere Lieferanten mit unterschiedlichen Produktionsstandorten gibt. Dadurch, dass Lieferteile aus China auf dem Seeweg nach Europa kommen, ermöglicht dieser „schwimmende Bestand“ eine zeitliche Streckung der Lieferketten – bisher hat das gut funktioniert. Jetzt müssen wir auf Sicht fahren und die Lage täglich neu bewerten.

Batterien für elektrische Antriebe sind nicht nur technisch anspruchsvolle Produkte, sondern auch betriebswirtschaftlich eine Herausforderung. Wie oft nehmen Sie sich die Make-or-Buy-Entscheidung auf Wiedervorlage?

Jeder Make-or-Buy-Entscheidung bei BMW liegen drei Bewertungskriterien zugrunde: die Frage nach der strategischen Relevanz sowie eine betriebswirtschaftliche und eine personalpolitische Bewertung. Das gilt für alle Komponenten gleichermaßen, von Bremsscheiben über Gelenkwellen bis hin zu Batteriezellen. Wir haben uns aus guten Gründen dazu entschlossen, nicht selbst in eine industrielle Großserienfertigung von Zellen einzusteigen. Selbst wenn wir heute über ein erstklassiges Set von Lieferanten in Asien und Europa verfügen, überprüfen wir den Stand der Dinge laufend. Ob wir Batteriezellen möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt selbst in Serie produzieren, hängt maßgeblich von der Entwicklung des Lieferantenmarktes ab.

Sie stellen Ihren Lieferanten die Rohstoffe zur Fertigung der Batteriezellen zur Verfügung. Warum?

Der Direkteinkauf von Rohstoffen hat nicht nur betriebswirtschaftliche Gründe, sondern ist auch Ausdruck unseres Nachhaltigkeitsanspruchs. Wir wollen sicherstellen, dass die Schlüsselrohstoffe Kobalt und Lithium aus Lieferketten stammen, die unsere strengen ökologischen und sozialen Anforderungen erfüllen. BMW verfügt über umfassende Kompetenz in der Batteriezelltechnik sowie in der Batterieproduktionstechnik. Mehr als 200 Batteriespezialisten in den eigenen Reihen ermöglichen es uns, mit unseren Zelllieferanten fachlich auf Augenhöhe zu agieren und die Batterien nach unseren spezifischen Anforderungen in einem Blue-Print-Verfahren herstellen zu lassen.

BMW erhält neben anderen Unternehmen Fördergelder der EU, um innovative Batteriemodule zu erforschen. Wann wird Europa den Rückstand in der Batteriezellfertigung aufholen?

Für Europa kann ich nicht sprechen. Für BMW kann ich sagen, dass wir keinen Rückstand haben. Wir haben im Übrigen auch wesentlich zur Ansiedlung von CATL in Erfurt beigetragen.

Auf der anderen Seite der Prozesskette geht es um Themen wie Rohstoffabsicherung und Preisstabilität. Wie beurteilen Sie die kurz- und langfristige Versorgungslage?

Wie gesagt: Die entscheidenden Rohstoffe für die Fertigung von Batteriezellen kaufen wir selbst ein und stellen sie unseren Zelllieferanten zu Verfügung. Damit federn wir Preisschwankungen ab und haben gleichzeitig Transparenz über die Rohstoffquellen. Unsere Einkäufer kennen die Rohstoffminen und validieren vor Ort die Abbaubedingungen. In der Konsequenz daraus werden wir Kobalt ab der fünften Generation unserer elektrischen Antriebe nicht mehr aus der Demokratischen Republik Kongo beziehen, sondern unsere Nachfrage in Marokko und Australien decken. Ähnliches gilt für Lithium – auch bei diesem Rohstoff achten wir darauf, dass der Abbau nicht gegen unsere sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitsstandards verstößt. Über entsprechende Rohstofflieferverträge haben wir unsere Versorgung bis ins Jahr 2025 und darüber hinaus abgesichert. Langfristig wird es darauf ankommen, weitere Minen zu erschließen, da die Anzahl unserer Fahrzeuge mit batterieelektrischem Antrieb weltweit steigen wird. Allein in Europa wollen wir 2021 einen Anteil von 25 Prozent elektrifizierter Antriebe erreichen. Für 2025 haben wir uns ein Drittel vorgenommen, für 2030 haben wir uns die Hälfte des Absatzvolumens als Ziel gesetzt. Dafür braucht es eine vorausschauende Planung und gute Partnerschaften mit den rohstoffproduzierenden Unternehmen.

BMW hat konsequente Schritte für den Klimaschutz angekündigt und will auch die Lieferkette aktiv in die Maßnahmen einbinden. Was konkret fordern Sie von Lieferanten?

Wir bekennen uns klar zum Pariser Klimaabkommen und wir werden unsere CO2-Ziele 2020 und 2021 erreichen. Wir sind seit 2014 Mitglied in der Initiative CDP Supply Chain (Carbon Disclosure Project) und wir haben seither in unserer Lieferkette konsequent Maßnahmen zum Klimaschutz umgesetzt, unter Beteiligung unserer Partner. 2019 haben unsere großen Tier 1-Lieferanten über die CDP-Initiative CO2-Einsparungen von über 30 Millionen Tonnen Kohlendioxid berichtet. Darüber sind rund 80 Prozent unseres direkten Einkaufsvolumens abgedeckt. Für die 30 Ausschreibungen mit dem größten CO2-Fußabdruck haben wir außerdem einen „Vergabeticker“ installiert, über den wir CO2-Emissionen in die jeweilige Vergabeentscheidung mit einfließen lassen. Dieses Jahr werden wir zudem mit einem einfach gehaltenen Fragebogen den CO2-Reifegrad von rund tausend kleinen und mittleren Partnern in unserer Lieferkette ermitteln. Und ich kann Ihnen schon jetzt versichern: Wir werden den eingeschlagenen Weg konsequent fortsetzen.

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