Portrait von Barbara Bergmeier JLR

Seit Juli 2022 leitet Barbara Bergmeier den Bereich Industrial Operations von Jaguar Land Rover. (Bild: Jaguar Land Rover)

„Ich bin der Meinung, dass Transparenz und Zusammenarbeit der Schlüssel zum Erfolg sind, anstatt sich auf kurzfristige Vorteile zu konzentrieren“, zeichnet Barbara Bergmeier die Leitplanken ihrer verantwortungsvollen Aufgabe. „Das ist eine Philosophie, die JLR und mir wichtig ist, und deshalb fühle ich mich hier wohl.“ Mit ihrer Ernennung im Jahr 2022 wurde bei JLR der Bereich Industrial Operations geboren. Erstmals werden die weltweite Fertigung, der Einkauf und die Lieferkette miteinander vereint. Bergmeier wurde damit beauftragt, die Digitalisierung des gesamten Betriebs zu beschleunigen und gleichzeitig das Unternehmen in enger Zusammenarbeit mit den Zulieferern auf Kurs zu halten – um für die Produktion sowie die Lieferkette bis 2039 das Netto-Null-CO2-Ziel zu erreichen. Da JLR seine gesamte Produktpalette elektrifizieren will, beaufsichtigt sie auch die angestoßenen Werksaufrüstungen und Produktionsanpassungen.

All diese Ziele erfordern eine langfristige Ausrichtung und Investitionen. Bereits nach weniger als einem Jahr im Amt können Bergmeiers Team und die beteiligten Partner bedeutende Fortschritte vorweisen. Trotz einiger Herausforderungen in der Lieferkette ist es JLR beispielsweise gelungen, in seinem Werk in Nitra (Slowakei) eine dritte Schicht einzuführen. Dadurch kann die hohe Nachfrage nach dem neuen Defender befriedigt werden.

Wie bei vielen anderen Unternehmen in der Branche, wurde die Produktion in den Jahren 2021 und 2022 durch den Chip-Mangel beeinflusst. Die Produktionspläne für die wichtigsten Modelle – in erster Linie Range Rover, Range Rover Sport und Defender – mussten überarbeitet und neu priorisiert werden. Diese erzwungene Produktionseinschränkung hat sich als erfolgreich erwiesen: Die Krise konnte bewältigt und die eigenen Margen sogar verbessert werden. Auch als sich die Produktion wieder erholte, hat JLR am erfolgreichen Modell-Mix festgehalten. Verglichen mit dem Vorjahreszeitraum nahm die Zahl der Fahrzeugauslieferungen im ersten Quartal 2023 um rund 25 Prozent zu. Beim Umsatz zeigte sich sogar eine Steigerung um fast 50 Prozent – dank der Priorisierung margenstarker Modelle. Während die Liste der offenen Aufträge bei JLR kontinuierlich kürzer wird, möchte Barbara Bergmeier die Produktionszyklen für alle Produkte zum Wohle der Kunden weiter reduzieren.

Größte Umgestaltung der letzten Jahrzehnte

Nun beginnt die nächste große Phase der Reimagine-Strategie von JLR. Für den Bereich Fertigung zielt sie darauf ab, die Werke und Abläufe für die Produktion der nächsten Generation von Elektrofahrzeugen zu modernisieren. Kürzlich hat JLR die Investitionen in Großbritannien auf 15 Milliarden Pfund (18,73 Milliarden Dollar) in den nächsten fünf Jahren verdoppelt und bringt neue Modelle und Betriebsabläufe in die Werke. Das ambitionierte Programm beinhaltet die Transformation des Werks Halewood in eine reine E-Auto-Fabrik, die Fertigung weiterer neuer Modelle in Solihull sowie eine Erweiterung der Montage von Elektroantrieben und Akku-Packs im bisherigen Motorenwerk in Wolverhampton. JLR setzt dabei auf die Umrüstung bestehender Anlagen, statt neue zu bauen. Dabei steht die Flexibilität der Produktion immer im Mittelpunkt.

Barbara Bergmeier hat bereits in früheren Funktionen mit Verantwortung für Produktionssysteme stets darauf geachtet, dass die Produktion flexibel auf Nachfrageänderungen angepasst werden kann. Besonders heute, mitten in der unsicheren Umstellungsphase von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren zu batterieelektrischen Modellen, ist das von zentraler Bedeutung. Nur so ließen sich ihrer Meinung nach die richtigen Produkte zur richtigen Zeit produzieren. „Gegenwärtig weiß niemand genau, wie die Umstellung von Verbrennungs- auf Elektromotoren verlaufen wird“, blickt Bergmeier in die nahe Zukunft. „Ich glaube, dass die Produktionsbetriebe mit der größten Flexibilität die richtigen Produkte herstellen werden.“

Barbara Bergmeier im Gespräch mit ams-Chefredakteur Christopher Ludwig
Barbara Bergmeier im Gespräch mit ams-Chefredakteur Christopher Ludwig (Bild: JLR)

Nach Ansicht Bergmeiers ist JLR auf die hochkomplexe Übergangszeit gut vorbereitet. Denn selbst wenn JLR seine Plattformen konsolidiert und sein Angebot an Elektrofahrzeugen ausbaut, wird die Produktion von JLR höchst flexibel bleiben: Für die Produktion mehrerer Modelle und unterschiedlicher Antriebsstränge – um die anspruchsvollen, sich ständig ändernden Bedürfnisse des modernen Luxuskunden zu erfüllen.

Eine flexible Produktionslinie bietet viele weitere Vorteile: Sie schafft beispielsweise mehr Stabilität für die Mitarbeiter, weil sie mehrere Modelltypen bauen können. Weil Direktverträge mit rund zehn Zulieferern von Halbleitern abgeschlossen wurden, statt die Produkte über Zwischenhändler zu beziehen, können Einkauf, Engineering und die Logistikabteilung nun direkt mit den Lieferanten über die Kapazitätsplanung der Bauteile sprechen.

Schlüsselrolle für Digitalisierung

Die Digitalisierung spielt bei Bergmeiers Vorhaben eine zentrale Rolle. JLR simuliert nun potenzielle Änderungen in der Produktion und kann so die Genauigkeit in der Nachfrageplanung optimieren – dank regelmäßiger Updates aus dem Markt und Kundenfeedback aus der Produktionsplanung. JLR hat ebenso in neue Tools investiert, um die Transparenz in der Lieferkette zu erhöhen und Risiken zu erkennen, bevor sie die Produktionsabläufe stören. Dazu gehört auch ein auf Künstlicher Intelligenz (KI) beruhendes System zu Risikoanalyse. „Das KI-System scannt die gesamte Lieferkette und analysiert potenzielle Gefahren wie Brände, Erdbeben oder andere Disruptionen“, erklärt Bergmeier. „Vorher hätte es uns Wochen gekostet, diese Daten bei unseren Lieferanten und in der Logistik zu sammeln – und nun können wir diese Analyse innerhalb von Minuten fahren.“

Mehr Tempo dank neuer Software: An seinen Standorten in Großbritannien wird JLR seine Abläufe durch die Integration von SAP S/4Hana weiter verbessern. Das Cloud-basierte ERP-System wird jahrzehntealte Systeme in den Bereichen Beschaffung, Finanzen, Logistik und Fertigung ersetzen. Die neuen Planungstools enthalten Funktionen zur Datenanalyse und die Fähigkeit, digitale Zwillinge zu erstellen. JLR strebt an, wichtige Standorte wie das Werk in Halewood noch in diesem Jahr und Solihull bis 2024 zu integrieren. Das Werk in Nitra, Slowakei, wurde bereits bei seiner Eröffnung 2018 mit einem anderen SAP-System ausgestattet.

Logistik und Lieferkette

Auch der Bereich Logistik – inklusive der Transportwege und Lagerkapazitäten – gewinnt in der neuen Strategie von JLR an Bedeutung. Beispielhaft hierfür stehen die Kostenreduktion und die Senkung der CO2-Emissionen beim Transport schwerer Batterieteile sowie die Verminderung äußerer Einflüsse auf die Produktion selbst. Da JLR auf eine gut gefüllte Auftragslage blickt, wird die logistische Performance noch stärker in den Fokus rücken.

„Die Elektrifizierung des Antriebs erfordert in der Produktion eine neue Lieferkette und wir müssen in den nächsten Jahren das richtige Maß zwischen Nachfrage und Angebot finden – weil alle OEMs dasselbe tun werden,“ schaut Bergmeier nach vorn. „Wenn wir uns die Produktionszyklen in der Chip-Herstellung anschauen, sehen wir, dass wir mindestens zwei Jahre vorausdenken müssen, um heute die richtigen Entscheidungen zu treffen.“ Und sie ergänzt: „Ebenso sieht es bei der Lieferkette für Inverter, Motoren und Batterien aus. Hier haben wir uns dazu entschieden, sie lieber selbst zu entwerfen und auch zu produzieren.“

Barbara Bergmeier glaubt zudem fest daran, dass die Komplexität und Dynamik der heutigen Lieferkette die Zusammenarbeit zwischen OEMs, Lieferanten und Logistik-Dienstleistern verändern werden. „Es handelt sich nicht länger nur um einen Verkäufer und einen Kunden“, erläutert Bergmeier. „Es entsteht vielmehr eine Art Ökosystem strategischer Partner – basierend auf der gemeinsamen Herstellung von Produkten, Wissensaustausch und Zusammenarbeit.“

Auch deshalb habe JLR sein Supplier Technical Assistance-Team deutlich vergrößert. Das sogenannte STA-Team verbindet Ingenieure, Produktionsmitarbeiter und Lieferketten-Experten mit Zulieferern. Die Teammitglieder beurteilen Herausforderungen bei JLR sowie auf Seiten der Zulieferer. Sie identifizieren aber auch Trends und Innovationen, die auf andere Bereiche übertragen werden können.

Erfolgsfaktor Nachhaltigkeit

Fortschritte sind auch im Bereich der Nachhaltigkeit zu verzeichnen – trotz der jüngsten Herausforderungen. Im Vereinigten Königreich werden die Werke und Anlagen von JLR bereits mit erneuerbaren Energien betrieben. Derzeit arbeitet das Unternehmen mit den weltweiten Zulieferern daran, weitere Anlagen ebenfalls umzustellen. Barbara Bergmeier nennt mehr als 150 Programme mit verschiedenen Zulieferern zur Reduzierung von Emissionen – von der Umstellung ihrer Anlagen auf Erneuerbare über die Umrüstung auf LED-Beleuchtung bis hin zum bewussteren Wasserverbrauch an den jeweiligen Standorten. Das Unternehmen verstärkt die Kreislaufwirtschaft bei Aluminium und anderen Materialien und baut Partnerschaften für Batterierecycling aus.

Barbara Bergmeier ist nicht nur willens, all diese Herausforderungen anzugehen, in Systeme zu investieren und sich dafür einzusetzen, dass auch Partner dies tun. Sie geht die ganze Sache auch mit einer Begeisterung an, die man nach den Jahren der Lieferketten-Krise so nicht erwartet hätte: „Das macht die Branche doch erst spannend!“

Der Artikel erschien zuerst in englischer Sprache bei unserem Schwestermagazin automotive manufacturing solutions

Zur Person:

Barbara Bergmeiers heutige Rolle als Executive Director Industrial Operations bei JLR vereint die Verantwortung für Beschaffung, Fertigung und Supply Chain – Funktionen, die sie im Laufe ihrer Karriere in verschiedenen Unternehmen bereits geleitet hat.

 

Bergmeier arbeitete 25 Jahre bei BMW in den Bereichen Operations und Produktion am Hauptsitz des Unternehmens, in einzelnen Werken und an internationalen Standorten. Bei BMW hatte sie auch ihre ersten Berührungspunkte mit Kollegen des heutigen JLR: Die Rover Group gehörte in den 1990er Jahren zu BMW. Das inzwischen geschlossene Werk des Unternehmens in Longbridge im Vereinigten Königreich war damals ein Schwesterwerk des BMW-Werks in München.

 

Anschließend wurde sie Chief Operating Officer bei Tier-1-Zulieferer Dräxlmaier und erhielt dadurch den wichtigen Einblick in die Welt der Automobillieferanten. Später war sie vier Jahre lang als Head of Operations bei Airbus Defence and Space tätig und lernte dabei eine völlig andere Lieferkette im Verteidigungssektor kennen.

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