Gerd Walker, Vorstand für Produktion und Logistik bei Audi

"Digitalisierung ist für mich der Enabler für jede Säule unserer Strategie", betont Audis Produktions- und Logistikchef Gerd Walker. (Bild: Audi AG)

Automobil Produktion Kongress 2024

Automobil Produktion Kongress 2024

Am 16. und 17. Mai 2024 treffen sich auf dem Automobil Produktion Kongress auch in diesem Jahr wieder Fach- und Führungskräfte, um über die Automobilfertigung der Zukunft zu sprechen. Als Keynote-Speaker spricht Gerd Walker in München über die Strategie hinter Audis 360factory, die Nachhaltigkeitsbestrebungen des Autobauers und Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung in den eigenen Werken. Seien Sie dabei und profitieren Sie von kollektiven Branchenwissen. 🎫 Jetzt Ticket sichern!

Herr Walker, Sie sind gut zwei Jahre Vorstand für Produktion und Logistik bei Audi. Zu Ihren Aufgaben zählen unter anderem eine optimale Werksauslastung, eine bilanziell CO2-neutrale Produktion in allen Werken bis 2025 sowie die weitere Digitalisierung und Flexibilisierung der Fertigung. Wie weit konnten Sie diesen Anforderungen bereits entsprechen?

Als ich vor zwei Jahren in den Vorstand kam, haben wir ein Zielbild für die Produktion aufgesetzt, die 360 Factory, die auf folgenden vier Säulen steht: Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit, Flexibilität und Attraktivität. Wir sind bereits riesige Schritte vorangekommen. Es ist gut, Visionen zu haben, noch besser ist es, wenn konkrete Ziele dahinterstehen. Das Wichtigste aber ist, eine solche Strategie zu operationalisieren. Das tun wir: Wir haben alle unsere Ziele fest im Blick und arbeiten mit dem gesamten Produktionsteam daran, die einzelnen Themen so herunterzubrechen, dass sie auch umgesetzt werden können. Das ist keine Theorie, sondern wir gehen in die Praxis und setzen unsere Ambitionen entsprechend um. So haben wir uns zum Beispiel vorgenommen, die Fabrikkosten zu halbieren und in der Säule Nachhaltigkeit unsere Umwelt-Auswirkungen zu minimieren. Bei der Säule Attraktivität geht es darum, der beste Arbeitgeber zu sein und bei der Säule Flexibilität stehen die Themen Einrüstungs- und Umrüstungsflexibilität ganz oben auf der Agenda.

Im Vorstand von Audi gab es in den vergangenen Monaten bewegte Zeiten. Sehen Sie das Führungsteam und ganz persönlich Ihren Aufgabenbereich nun in ruhigeren Fahrwassern?

Wir haben eine ganz klare Strategie in Richtung Elektromobilität. Dahinter steht der gesamte Vorstand und wir treiben diese Strategie gemeinsam voran. Für den Bereich Produktion und Logistik kann ich sagen, dass wir gut aufgestellt sind. Wir machen große Fortschritte und sehen bereits erste Ergebnisse. Gleichzeitig stehen wir derzeit vor einer großen Herausforderung, denn wir starten die größte Modelloffensive, die es bei Audi je gegeben hat.

Das Premiumsegment ist hart umkämpft. Zuletzt führten Probleme bei der Entwicklung VW-eigener Software zu Verzögerungen bei Modellanläufen. Wie steht Audi aktuell aus Ihrer Sicht und im Speziellen mit Blick auf die Produktion da?

Wir sind robust aufgestellt. Wir haben die Prozesse für die Neuanläufe vorbereitet und unsere Werke entsprechend flexibilisiert. Der Audi Q6 e-tron ist dafür das beste Beispiel: Er ist in Ingolstadt auf einer Linie mit den Modellen Audi A4- und Audi A5 angelaufen, also gemeinsam mit Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren. Damit können wir sehr flexibel auf die Nachfrage reagieren und die Elektromobilität hier in Ingolstadt fließend einführen. Wir sind auch auf alles vorbereitet, was danach kommt. So werden wir dem Audi Q6 e-tron recht zügig den Audi A6 e-tron folgen lassen. Und wir planen ein weiteres elektrisches Einstiegsmodell für den Standort Ingolstadt.

Kommt die gemeinsame Fertigung reiner BEV zusammen mit ICE-Fahrzeugen nicht einer Art Philosophiewechsel innerhalb des Volkswagen-Konzerns gleich, wo man ja bislang eher auf die getrennte Fertigung von Verbrenner- und BEV-Fahrzeugen gesetzt hat?

Wir sind in unserem Produktionsnetzwerk sehr flexibel. Deswegen integrieren wir unsere auf die besten Fahrzeugeigenschaften ausgelegten Fahrzeuge auch flexibel in unser Produktionsnetzwerk. Am Standort Ingolstadt hat es sich angeboten, genau diese Lösung zu wählen. Natürlich haben wir auch reine BEV-Werke wie beispielsweise Brüssel, wo wir den Audi Q8 e-tron und den Audi Q8 e-tron Sportback fertigen. Wo es für uns Sinn ergibt, tun wir das eine oder das andere. Wir können aber beides und dies ist genau die Flexibilität, die wir uns erhalten müssen.

Dies heißt auch, dass sie in einem bisherigen reinen Verbrenner-Werk künftig umswitchen oder zumindest BEV-Fahrzeuge hinzunehmen könnten?

Genau das können wir. Und wir tun das immer dort, wo es Sinn ergibt.

Ein Ende 2022 ausgegebenes Credo lautet, dass alle Produktionsstandorte bis 2029 vollelektrische Fahrzeuge fertigen. Sind Sie auf Kurs und wie realistisch ist diese Zielvorgabe?

Wir stehen – wie gesagt – vor der größten Modelloffensive unserer Geschichte. Diese mehr als 20 neuen Modelle werden wir in unserem kompletten Produktionsnetzwerk fertigen. Bis zum Ende des Jahrzehnts werden wir alle unsere Standorte für die Elektromobilität fit gemacht haben und dort sukzessive die neuen E-Fahrzeuge produzieren und auf den Markt bringen.

Die derzeitige Kaufzurückhaltung bei Elektroautos schreckt Sie nicht, weiter voll auf elektrischen Antrieb zu setzen?

Absolut nicht. Die Zukunft ist elektrisch. Am Ende entscheiden natürlich die Kundinnen und Kunden mit ihrer Nachfrage, welche Fahrzeuge wir bauen und wie schnell der Umstieg erfolgt. Dafür ist unser Produktionsnetzwerk flexibel ausgelegt. An der großen Linie in Richtung Elektromobilität ändert das aber nichts.

Zum Audi-Produktionsverbund zählen weltweit 16 Fabriken. Die zahlen- und bedeutungsmäßig wichtigsten Standorte sind Ingolstadt jetzt mit dem neuen Q6 e-tron samt Batteriemontage und das chinesische Joint Venture FAW-Volkswagen Changchun. Wie sind diese Standorte für die Zukunft gerüstet?

Wir produzieren Audi-Modelle in einem Verbund von 16 Fabriken. Hinzu kommen die Werke von Bentley, Lamborghini und Ducati. Grundsätzlich stellen wir die Weltregionen unabhängig voneinander entsprechend stark auf. Innerhalb unseres Netzwerks fertigt jeder Standort Audi-Modelle in der gleichen hohen Qualität. Daher sind wir auch in unseren Joint-Venture-Werken entsprechend stark aufgestellt. Weil Sie China ansprechen: Dort haben wir mit der Audi FAW NEV Company gerade ein neues Werk im Aufbau, das mit Blick auf die Standards logischerweise ganz vorne dabei sein wird. Ab Ende des Jahres beginnen wir dort mit der Produktion von drei Modellen der A6 e-tron und Q6 e-tron Baureihe speziell für den chinesischen Markt.

Trotz der voranschreitenden Elektrifizierung verlangt der Markt weiter nach Verbrennungsmotoren. Das ungarische Győr ist neben der Q3-Fertigung mittlerweile der größte Standort für Verbrennungsmotoren. Wie flexibel sind Sie dort mit Blick auf die Fahrzeugmodelle sowie die Motoren aufgestellt?

Audi Hungaria ist neben der von Ihnen erwähnten Fahrzeugproduktion das größte Antriebswerk der Welt. Dies mittlerweile nicht mehr nur für Verbrenner, sondern auch für die Antriebe von Elektromodellen. Seit Ende 2023 fertigt Győr die Antriebe für den Audi Q6 e-tron aus Ingolstadt und schon etwas länger für den Audi Q8 e-tron aus Brüssel. Mit der neuen E-Plattform PPE (Premium Platform Electric) und dem Hochlauf der Elektromobilität generell entwickelt sich dieser Standort prächtig und die Mitarbeitenden eignen sich mit großem Engagement die erforderlichen neuen Kompetenzen an.

Aktuell wird der Q6 e-tron lanciert, der von den genannten neu entwickelten E-Motoren für die PPE-Plattform angetrieben wird. Auch diese Antriebe kommen aus Győr, wo um drei neue Linien erweitert wurde. Die Fertigungslinie für Statoren hat 28, die Getriebefertigung 15 Arbeitsschritte. Allein für die Achsmontage sind 190 einzelne Montageschritte erforderlich. Klingt aufwändig …

… und ist damit ein Beweis dafür, dass auch die Elektromobilität weiterhin für ein hohes Beschäftigungsniveau sorgt. Mit bis zu drei elektrischen Maschinen etwa im SQ6 e-tron generieren wir ein hohes Maß an Beschäftigung und schaffen somit auch die Transformation in unserem Antriebswerk in Ungarn.

Die zahlreichen Arbeitsschritte für den E-Antrieb klingen nach hoher Komplexität. Kann man einen Vergleich anstellen zwischen den Schritten und Takten für Verbrenner und BEV in der Fertigung?

Die Produktion eines Fahrzeugs mit E-Motoren, etwa die genannte S-Variante des Q6 e-tron mit seinen drei E-Maschinen, unterscheidet sich von der eines Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor vor allem in den einzelnen Produktionsschritten. Manche Umfänge entfallen beim E-Antrieb, andere, wie etwa bei der Batterie, kommen hinzu. Man kann daher auch von einer Verschiebung sprechen. Daher ist es so wichtig, die Menschen bei der Transformation mitzunehmen, zu qualifizieren und Kompetenzen aufzubauen. Gerade in Győr, in Ingolstadt oder in Brüssel ist dies bereits sehr umfangreich erfolgt.

Neckarsulm mit den Böllinger Höfen zählt zu den Imageträgern im Netzwerk. Dort, wo R8 und e-tron GT entstehen, wurden auch immer wieder digitale Projekte in Gang gesetzt, etwa bei Tools aus dem 3D-Druck. Welche Rolle kommt den württembergischen Fertigungen künftig zu?

Die Böllinger Höfe sind unsere Sportwagen-Manufaktur und technologisch eine Art Reallabor, in dem wir neue Technologien ausprobieren, bevor sie in Serie gehen. Aktuell realisieren wir dort zahlreiche neue Projekte. Zu den aktuell spannendsten und mit dem größten Potenzial zählt die sogenannte „Edge Cloud for Production“. Dahinter verbirgt sich die Virtualisierung der Shopfloor-IT-Struktur. Rechner, die man an der Linie hatte, werden virtualisiert und bearbeiten die entsprechenden Themen in der Cloud. Damit erreichen wir extrem schnelle Reaktionszeiten, wenn es um die Wartung oder das Aufspielen neuer Software geht. Wenn wir diese Technologie ausrollen, – und wir stehen kurz davor – dann sprechen wir hier über einen echten Game Changer für die Automobilindustrie. In den Böllinger Höfen läuft die Edge Cloud for Production bereits in Serie und diese Erfahrungen können wir dann für das gesamte Produktionsnetzwerk nutzen.

Medienberichten zufolge könnten bei Audi Kapazitäten in Europa reduziert werden. Eine zur Disposition stehende Fertigungsstätte könnte demzufolge das derzeit gut mit dem Q8 e-tron ausgelastete Brüssel sein. Was können Sie dazu sagen?

Wir haben erst im Dezember 2022 in Brüssel die Fertigung des Audi Q8 e-tron gestartet und sind noch am Anfang des Produktlebenszyklus. Mit dem Hochlauf der Elektromobilität haben wir große Erwartungen an dieses wunderbare Fahrzeug. Deshalb sind wir in Brüssel robust aufgestellt. In unseren Planungsrunden schauen wir in die Zukunft, das ist ein ganz normaler Prozess. Dabei prüfen wir – auch für den Standort Brüssel – verschiedene Szenarien.

Welche Strategie fahren Sie mit Blick auf die Megathemen Smart Factory, Industrie 4.0 und künstliche Intelligenz?

Digitalisierung ist für mich der Enabler für jede Säule unserer Strategie. Digitalisierung hilft dabei, vorhandenes Wissen neu zu vernetzen und damit auch die Menschen zu unterstützen. Gerade im Bereich KI gibt es vielfältige Anwendungsmöglichkeiten. In der Serie wenden wir KI vor allem in der Qualitätsüberwachung an, dort etwa in Form von kamerabasierter Risserkennung im Karosseriebau. Oder in der Lackiererei: Beim Audi Q6 e-tron prüfen Roboter mithilfe von Scannern die Qualität der lackierten Karosserie. Auch in der Logistik sowie der Planung gibt es viele Anwendungsfälle. Ein breites Feld, mit viel Potential für die Zukunft.

Auf welche digitale Methoden setzen Sie in der Logistik?

Wir konzentrieren uns vor allem darauf, über die gesamte Prozesskette hinweg eine vollumfängliche Transparenz zu erzeugen und damit die Supply Chain resilienter und effizienter zu machen. KI-Anwendungen können helfen, Engpässe frühzeitig zu identifizieren und automatisiert Lösungen zu finden. Aber auch in der Logistik setzen wir auf Nachhaltigkeit: Unser Ansatz ist es, so viel wie möglich auf die Schiene zu bringen. Mit DB Öko Plus haben wir ein CO2-neutrales Produkt, das wir gerne nutzen, um unsere Transporte zu organisieren - beispielsweise zwischen dem Antriebswerk Győr in Ungarn und unseren anderen Werken im Produktionsnetzwerk. Wichtig ist auch die Flexibilität zwischen der Schiene und der Straße. Dazu setzen wir seit April bei Logistikverkehren zwischen den Standorten Neckarsulm, Ingolstadt und Győr auf einen „grünen“ Zug mit einem innovativen Verladekonzept. Lkw-Trailer werden dabei smart auf die Schiene gesetzt, ohne dass wir dafür aufwendige Infrastruktur benötigen. Der kombinierte Verkehr aus Lkw und Bahn spart im Jahr bis zu 11.500 Tonnen CO2.

Neben einem Umbau der Lackiererei in Neckarsulm und dem Loop für Aluminium steht Audi auch für Engagements bis hinein ins Glas-Recycling. Was haben Sie sonst noch in der Pipeline für die großen Themenbereiche Nachhaltigkeit und umweltgerechte Fertigung?

Grundsätzlich erneuern wir uns von innen heraus, das heißt, wir nutzen unser bestehendes Produktionsnetzwerk, wandeln unsere Belegschaft durch Weiterbildung und haben allein dadurch eine gute Ausgangsbasis, um die Erneuerung im Bestehenden voranzutreiben. In der Produktion gibt unsere Mission:Zero-Strategie die Handlungsfelder vor. Sie berücksichtigt die Säulen Dekarbonisierung, Wassernutzung, Ressourceneffizienz und Biodiversität. Wie bei allen Strategien haben wir auch hierfür eine Roadmap für alle Standorte. Ein Kern ist die bilanzielle CO2-Neutralität bis zum Jahr 2025. In Ingolstadt, Györ, Brüssel und den Böllinger Höfen haben wir dieses Ziel bereits erreicht. Neckarsulm und San José Chiapa in Mexiko folgen zum Jahreswechsel.

Zur Person

Gerd Walker
(Bild: Audi AG)

Gerd Walker startete bei der Audi AG als Werkstudent für Maschinenbau im Jahr 1997 mit einer Diplomarbeit. 1998 folgte seine erste Stelle als Konzeptplaner in der Produktion in Ingolstadt. Von 2002 bis 2006 bekleidete er verschiedene Positionen in der Technischen Entwicklung in Neckarsulm und Ingolstadt. Von 2005 bis 2006 leitete er die Materialbereitstellung und Instandhaltung der Technischen Entwicklung. Ab 2006 verantwortete er die Produkt- und Prozesstechnik Karosseriebau und Exterieur im Vorseriencenter für die weltweiten Fahrzeuganläufe.

 

Von 2009 bis 2012 war er als Vorstandsreferent für den damaligen Produktionsvorstand tätig. Im September 2012 übernahm Gerd Walker die Geschäftsführung für die Fahrzeugproduktion bei Audi Hungaria in Györ. Ab September 2016 wechselte er in den Konzern und übernahm die Leitung der Strategischen Produktionsplanung in Wolfsburg. Von Juli 2018 bis Januar 2022 leitete Gerd Walker die Volkswagen Konzern-Produktion in Wolfsburg. Seit 1. Februar 2022 ist Gerd Walker Mitglied des Vorstands der Audi AG, verantwortlich für das Ressort Produktion und Logistik.

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