Herr Kössler, Ihr Betriebsratschef Peter Mosch klagte vor zwei Jahren, Audi hätte keine Produktionsstrategie. Was hat sich seit Ihrem Amtsantritt 2017 verändert?
(lacht) Wir sind konstruktiv unterwegs, aber nicht immer einer Meinung. Ein erfolgreiches Automobilunternehmen wie Audi braucht natürlich eine Strategie in der Produktion und hatte auch immer eine. Allerdings haben wir in den vergangenen zwei Jahren unsere strategische Arbeit weiter intensiviert. Das Ergebnis ist ein Prozess, den wir intern „Big Five for P“ nennen. Dahinter verbergen sich fünf Fokusthemen: ökonomische Nachhaltigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Mensch und Kultur, technologische Führerschaft und zukunftsfähige Struktur.
Können Sie uns das näher beschreiben?
Nehmen wir die ökonomische Nachhaltigkeit. Damit verbunden sind folgende Kernfragen: Wie stellen wir unsere Standorte künftig auf und mit welchen Kapazitäten planen wir? Wo sehen wir Wachstumsregionen? Welche Werke belegen wir mit welchen Produkten? Diese Fragen gilt es klar zu beantworten. Und nicht nur das. Mir ist es in diesem Zusammenhang besonders wichtig, dass wir auf anspruchsvolle Technologien setzen.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Etwa das Warmumformen in einem Presswerk. Diese Technologie haben wir grundlegend revolutioniert. Stichwort: partielles Warmumformen und der Einsatz von Tailored Blanks. Oder werfen Sie einen Blick in die Lackiererei: Dort beschäftigen wir uns mit der Frage, wie wir Fahrzeuge mehrfarbig gestalten können, ganz ohne zweiten Lackierdurchlauf. Diese zwei Beispiele veranschaulichen, wie wir die Produktivität in den Werken noch verbessern können. Unser Ziel: Bis 2025 wollen wir die Produktivität um 30 Prozent steigern.
Das klingt ambitioniert. Nun fährt Audi einen konsequenten Sparkurs. In der Entwicklung, bei Beteiligungen, aber auch in der Fertigung sollen die Kosten sinken. Wo setzen Sie konkret an? Muss man da nicht auch über die ausufernde Modellvielfalt sprechen?
Wir konzentrieren uns stärker auf Segmente, in denen wir wirklich vertreten sein wollen. Aufwandsreduktion spielt somit eine zentrale Rolle. Im Übrigen ist Sparen per se nichts Negatives, sondern etwas Gutes.
Audi AG - Aktuelle Unternehmenskennzahlen
Audi gehört ohne Zweifel zu den Schwergewichten der deutschen Autobranche. 1909 erblickte das Unternehmen das Licht der Welt, damals noch am Standort Zwickau. Seit den 1960er Jahren gehört der Autobauer zum Volkswagen-Konzern. Inzwischen verkaufen die Ingolstädter rund 1,81 Millionen Pkw jährlich (2018). Der Umsatz lag im vergangenen Jahr bei 59,25 Milliarden Euro, das operative Ergebnis betrug 3,5 Milliarden. Rund 61.000 Mitarbeiter sind derzeit beim
Ingolstädter OEM beschäftigt.
Welche Modelle stehen zur Disposition? Man hört, neben dem TT befinden sich diverse Cabrio-Varianten auf der Streichliste …
Grundsätzlich gilt: Sie müssen die Entwicklung am Markt abbilden. Es gibt Phasen, da sind Modelle extrem gefragt, dann gibt es wiederum Phasen, da ist der Kundenzuspruch nicht mehr so stark. Dann müssen Sie Ihr Angebot prüfen. Das ist unternehmerisches Handeln und nicht neu, sondern war schon immer so in der Automobilindustrie.
Mit dem E-Tron steigt Audi in das Geschäft mit Functions on Demand ein, also zubuchbare, softwarebasierte Features. Dafür müssen die Fahrzeuge aber nahezu vollausgestattet sein.
Genau.
Wie ist das mit Kosteneinsparungen vereinbar?
Für meine Mannschaft in der Produktion ist das eher von Vorteil, weil wir auf diese Weise die Komplexität reduzieren. Je ähnlicher sich Fahrzeuge sind, desto effizienter sind sie zu bauen und umso weniger Taktfolgeverlustzeiten entstehen am Band. Wir können die Autos deutlich leichter eintakten.
Losgröße eins wäre dann vermutlich Geschichte.
Das ist für mich kein Widerspruch. Sie dürfen das nicht schwarz-weiß sehen. Ich verstehe unter Losgröße eins ganz grundsätzlich eine größtmögliche Flexibilität. Dafür haben wir in den vergangenen Jahren in unseren Prozessen viel getan. Wir haben flexible Arbeitszeitmodelle, reagieren flexibel auf Marktsituationen und neue Technologien. Auch die Digitalisierung bietet uns viele Möglichkeiten, die Losgrößen deutlich zu verringern.
Sie haben die Produktivitätssteigerung von 30 Prozent angesprochen. Es gibt Stimmen, die behaupten, allein mit der Umstellung auf die Elektromobilität ließen sich 20 Prozent einsparen. Heißt das, Sie müssen nur noch zehn Prozent in den Werken beisteuern? Oder geht die Rechnung so nicht auf?
(lacht) Sie haben sich die Frage schon selbst beantwortet. Grundsätzlich stimmt das schon. Aber nur, wenn ich die gesamte Prozesskette betrachte. Der Impact auf die einzelnen Werke ist verschwindend gering: Ein E-Auto hat auch vier Räder, Scheiben, Sitze, ein Cockpit. All das muss vormontiert werden. Und in der Montage gibt es noch immer eine Hochzeit. Salopp ausgedrückt: Anstatt einen Verbrenner mit seinem Abgasstrang zu verbinden, verheiraten wir dann zwei Elektromotoren mit einer Batterie. Der Unterschied besteht vielmehr im Bau der Aggregate.
Das Werk in Brüssel musste für die Fertigung des ETron massiv umgestaltet werden. Allein 6000 Tonnen Stahl wurden neu verbaut.
Übrigens so viel wie im Eiffelturm ...
Also eine beachtliche Menge. Wie nachhaltig ist das? Das Werk stand immer wieder zur Diskussion. Und ein solch komplexer Umbau klingt zunächst nicht nach Sparkurs.
Die Entscheidung pro Brüssel war absolut richtig. Der Auslöser dafür war die Verlegung des A1 nach Spanien, um wiederum dort Synergien mit den Schwestermodellen zu heben und die Beschaffungsnebenkosten und Logistikströme zu optimieren. Damit wurde das Werk Brüssel frei und seine Größe passte optimal zu unseren Plänen. Selbstverständlich war der Umbau ein großer Aufwand. Aber dafür haben wir jetzt ein CO2-neutrales, modernes Werk – die Prozesse sind durchaus Benchmark. Und die Mitarbeiter brennen regelrecht für das Thema. Wenn man mit den Menschen dort redet, spürt man, mit wie viel Herzblut sie bei der Sache sind.
Auch langfristig? Der E-Tron ist technologisch ein Übergangsmodell auf einer Variante des modularen Längsbaukastens. In Zukunft basieren Elektromodelle bei Audi auf dem modularen Elektrifizierungsbaukasten MEB und der Premium Platform Electric PPE. Sind dann nicht wieder neue Umbauten im Werk erforderlich?
Es wird oft so beschrieben, aber de facto ist es anders. Schauen Sie: Wenn ein neues Produkt etwa auf Basis des modularen Querbaukastens MQB anläuft, dann entwickeln wir die Plattform auch weiter, passen sie an. Das können durchaus massive Veränderungen sein, mit großen Auswirkungen auf die Fertigung. Man könnte die Basis des Audi E-Tron also als PPE1 beschreiben. Der nächste Schritt ist folglich PPE2 – eine Evolution dessen, was wir gerade beim E-Tron haben. Ergo: Wir könnten jederzeit die PPE in derselben Größe in Brüssel fahren. Theoretisch könnten wir in Brüssel sogar mit relativ geringen Mitteln kurzfristig wieder Verbrenner fertigen.
Apropos Verbrenner: Dieses Jahr läuft die Produktion des A3 an. Der Golf 8 auf der gleichen Plattform hat noch mit Elektronikproblemen zu kämpfen. Haben Sie beim A3 ebenfalls Anlaufprobleme?
Der nächste MQB markiert einen großen Schritt, vor allem in Sachen Konnektivität. Ich glaube, es ist ganz normal, dass man da bei der Elektronik auf die eine oder andere Optimierungsmöglichkeit stößt. Aber ich sehe dort nichts, was unlösbar wäre oder tatsächlich Volumenauswirkungen hätte.
Aber einen Terminverzug wird es schon geben?
Bitte verstehen Sie, dass ich diese Spekulationen um eine eventuelle Terminverschiebung nicht weiter vertiefen möchte. Fakt ist: Wir arbeiten zusammen mit anderen Marken des Volkswagen-Konzerns mit Hochdruck an der nächsten Kompaktwagengeneration auf Basis des MQB. Ich versichere Ihnen: Was wir mit dem A3 vorhaben, funktioniert auch.
Zu einem anderen Thema: Werfen wir einen Blick auf den derzeit wohl wichtigsten Automobilmarkt China. Wie sieht Ihre Fertigungsstrategie dort aus?
Wir sind in China strukturell sehr gut aufgestellt. Beispielsweise fertigen wir den Q3 im neuen Werk in Tianjin. Dazu kommt die Fabrik in Qingdao und wir haben noch unsere Standorte in Foshan und Changchun. Diese Werke sind anders als hier plattformorientiert, zum Teil mit mehreren Modellen. Damit können wir gut auf eventuelle Kapazitätsschwankungen reagieren. Wir sehen für den chinesischen Markt weiterhin viel Potenzial. Und das erkennen Sie allein schon daran, dass wir die lokale Fertigung bis 2022 von acht auf zwölf Modelle hochfahren.
Bereitet es Ihnen keine Sorge, dass Elektromobilitätsanbieter in China regelrecht wie Pilze aus dem Boden schießen?
Nein. Es wird sicherlich einige geben, die sich durchsetzen werden. Davor sollte man Respekt, aber keine Angst haben. Es werden auch viele wieder verschwinden. Die Goldgräberstimmung währt nicht ewig und die Anzeichen dafür sind da: 2018 waren die Absatzzahlen in China erstmals rückläufig. Dennoch konnten wir die Verkäufe um rund drei Prozent steigern. Ich denke, wir sind dort produktseitig gut aufgestellt. Der Audi E-Tron wandert schon im kommenden Jahr in die lokale Fertigung nach Changchun und auch künftige Elektrofahrzeuge werden vor Ort gebaut.
Sind Sie inzwischen nicht zu abhängig vom chinesischen Markt?
Wenn man auf einem prosperierenden Markt erfolgreich sein will, muss man konsequent handeln. Das haben wir gemacht. Wir verkaufen dort ein nicht unerhebliches Volumen. Man könnte auch andersherum sagen: Wir sind extrem abhängig vom europäischen Markt, schließlich verkaufen wir hier ebenfalls viele Fahrzeuge.
Zur Person: Peter Kössler, Audi AG
1986 Nach der Ausbildung zum Energiegeräteelektroniker und dem Studium der Feinwerktechnik an der FH München startete Kössler seine berufliche Laufbahn bei Audi in Ingolstadt als Trainee
1997 Verantwortlich für die Fertigungsplanung Anbauteile/Strukturplanung Presswerk
2002 Leiter des Presswerkes Ingolstadt
2004 Leiter der Sparte Presswerk
2007 bis 2015 Leiter Audi-Werk Ingolstadt
2015 bis 2017 Vorsitzender Audi Hungaria
Seit September 2017 Vorstand für Produktion und Logistik der Audi AG
Sehen Sie aus produktionstechnischer Sicht auch Risiken in China?
Nein, ehrlich gesagt nicht.
Die Bedeutung der Mitarbeiter ist bereits angeklungen. In Ingolstadt und Neckarsulm konnten mithilfe von Mitarbeiterideen 110 Millionen Euro im vergangenen Jahr eingespart werden. Wie wichtig ist der Faktor Mensch für die Weiterentwicklung der Fertigung?
Der Mitarbeiter ist mit riesigem Abstand das wichtigste „Gut“, das wir haben. Und unsere Beschäftigten binden wir selbstverständlich in die Prozesse ein. Nur so erzeugen Sie die Motivation, dass alle ihren Job gut machen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Als ich die Strategie „Big Five for P“ aufgesetzt habe, wollte ich ganz bewusst keine klassische Strategiearbeit. Man kennt das: Der Führungskreis geht für zwei Tage in eine Location, hängt eine Vision an die Wand und definiert Handlungsfelder. Am Ende bekommt der Mitarbeiter das vorgesetzt. So stelle ich mir das nicht vor. Wir haben stattdessen einen fortlaufenden, agilen Prozess angestoßen. Mitarbeiter vom Band können sich zum Beispiel für Themenkreise bewerben und in Sprints dabei sein, ihre Ideen einbringen. Das hat es so noch nicht gegeben – und es funktioniert.
Sie betonen gerade, wie wichtig der Mitarbeiter ist. Die Belegschaft in Ingolstadt und Neckarsulm genießt noch Kündigungsschutz bis 2025. Der Betriebsrat fordert, ihn bis 2030 zu verlängern. Gehen Sie mit?
Wir stehen zur vereinbarten Beschäftigungsgarantie bis 2025. Das ist doch ein starkes Wort. Und wir stehen zu 100 Prozent hinter unserer Belegschaft – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Mexiko, Ungarn oder Belgien. Ich bin jetzt seit 33 Jahren im Unternehmen und habe schon verschiedenste Phasen erlebt. Und immer standen wir zu unseren Mitarbeitern. Keiner unserer Mitarbeiter in Ingolstadt oder Neckars-ulm sollte sich Sorgen um den Arbeitsplatz machen. Die deutschen Standorte sind nach wie vor unser Rückgrat.
Springen wir zum Thema IT. BMW und Microsoft haben eine Open Manufacturing Platform gegründet. Könnten Sie sich den Beitritt zu solch einer offenen Plattform vorstellen?
Wir sind offen für alles und haben auch traditionell gute Beziehungen zu unseren Mitbewerbern.
Reden Sie schon mit BMW?
Nein, das nicht.
Auch 5G ist momentan in aller Munde. Mehrere Autohersteller bewerben sich um eine eigene Lizenz...
Wir auch.
Wie weit ist das fortgeschritten?
Seit Sommer vergangenen Jahres erproben wir im Audi Production Lab mit unserem Partner Ericsson ein lokales 5G-Netz für die Automobilproduktion. Wir sehen schon jetzt einige Vorteile, die in der schnelleren Kommunikationsmöglichkeit im Fertigungsbereich liegen. Anlagen lassen sich mit der 5G-Technologie künftig ganz anders ansteuern, überwachen oder warten, weil wir die Daten aus den Maschinen auf eine neue Art und Weise verarbeiten können.
Über 5G, KI und andere Technologien wird viel diskutiert. Experten sagen, wir sind in Deutschland nicht schnell genug. Wie ist Ihre Sicht?
Vor dem Hintergrund, dass ich gerade in China war, muss ich leider sagen: Ja, wir sollten schneller sein. Es ist enorm wichtig, dass wir auch in Deutschland und Europa diese Dynamik aufnehmen und mitgestalten.
Herr Kössler, befreien Sie sich zum Abschluss gedanklich mal von allen Sachzwängen. Wenn Sie heute etwas in der Produktion anders oder neu machen könnten, was wäre das?
Da gibt es viel (lacht). Unter anderem liegt mir das Thema Nachhaltigkeit sehr am Herzen. Wir wollen alle weltweiten Audi-Produktionsstandorte Mitte des kommenden Jahrzehnts CO2-neutral stellen. Auch in der Vergangenheit haben wir schon spannende Projekte angestoßen. Schauen Sie nach Mexiko: Dort steht unser erstes abwasserfreies Werk. Kein Tropfen Wasser verlässt die Fabrik, alles wird wieder genutzt. Davon möchte ich mehr.