Auf das diesjährige ALP-Siegertreppchen in der „Kategorie OEM“ hat die Jury eine Ikone des deutschen Automobilbaus gehievt: das Werk Wolfsburg der Volkswagen AG. Es erstreckt sich über ein Gesamtareal, das mit 6,5 Quadratkilometer Fläche etwa jener von Gibraltar entspricht und erreicht mit 1,6 Quadratkilometer überdachter Fläche annähernd die Ausdehnung von Monaco. In dem mittlerweile 80-jährigen Industriekomplex wurden bis Juni 2018 insgesamt 45 Millionen Fahrzeuge gebaut, aktuell liegt der tägliche Output bei bis zu 3.500 Fahrzeugen im Dreischicht-Betrieb (VW-Modelle Golf, Golf Sportsvan, Tiguan, Touran). Etwa 20.000 Mitarbeiter in zirka 1.800 Teams erfüllen diesen Organismus mit Leben. Und diese Vitalität gilt es abzusichern und weiter zu stärken.
„Um ein derart großes Werk lean und fit für die Zukunft zu machen, bedarf es der Definition von Durchbruchzielen, hinter denen alle Beteiligten stehen“, heißt es bei Agamus Consult. Der Automotive Lean Production Projektpartner von AUTOMOBIL PRODUKTION weiter: „Diese wurden im Rahmen des Zukunftspakts Werk Wolfsburg vereinbart. Sie sehen eine Erhöhung der Produktivität für die ersten zwei Jahre von insgesamt 15 Prozent sowie für die Jahre drei und vier von weiteren zehn Prozent vor. Neue Modelle und innovative Produkte sowie die notwendigen Investitionsbudgets für wettbewerbsfähige Arbeitsplätze und Qualifizierungsmaßnahmen sichern gemäß Zukunftspakt die Beschäftigung der Stammbelegschaft für die nächsten Jahre. So wird ab der nächsten Golf-Generation die gesamte Golf-Familie im Werk Wolfsburg gebündelt.“
Wie die Evaluierung zeigte, wurden die angestrebten Produktivitätsziele im ersten Jahr überschritten und auch im zweiten Jahr befinden sich die Wolfsburger unter der Leitung von Stefan Loth voll auf Kurs. Was sind die Schlüssel des Erfolgs? Die Jury skizziert sie so: „Es existiert eine prägnante und dennoch für alle Mitarbeiter leicht verständliche Werkstrategie mit den drei Säulen Produktivität, Qualität und Mannschaft. Eine zwischen Werksmanagement und Betriebsrat abgestimmte „Change Story“ wurde in Workshops kaskadenförmig bis auf alle Unterabteilungen heruntergebrochen und über einen längeren Zeitraum mit monatlich wechselnden Schwerpunktthemen in die Belegschaft kommuniziert. Dabei werden die Teams zu eigenen individuellen Beiträgen zum Zukunftspakt motiviert, so dass die Kommunikation keine Einbahnstraße ist.“
Der Weg zur nacharbeitsfreien Fabrik ist eingeschlagen
Die Umsetzung der Werkstrategie erfolgt flächendeckend durch eine „Top Down und Bottom up-Zangenstrategie“, gesteuert und kontrolliert werden die Lean Aktivitäten mittels eines KPI-Monitors. Agamus-Geschäftsführer Werner Geiger: „Das Werk hat selbstverständlich noch lange nicht alle Potenziale ausgeschöpft, befindet sich jedoch auf einem sehr guten Weg zur nacharbeitsfreien Fabrik. Die flächendeckende Verbesserungsgeschwindigkeit, die das Werk Wolfsburg in den vergangenen 24 Monaten erreicht hat, ist beeindruckend.“ Aus Sicht des Evaluierungsteams ist ein großer Schub festzustellen. Das Werk strebt demnach voll und ganz nach Verbesserungen. Auch würden Ideen von außen – sei es von der Nachbarlinie, von der Marke, vom Konzern oder von Dritten – begierig aufgenommen, gegebenenfalls adaptiert und dann möglichst schnell umgesetzt. Die Teams generieren kontinuierlich Verbesserungen, welche insbesondere die Qualität und Ergonomie optimieren. Produktivitätssteigerungen, die zur Folge haben, dass im Wertschöpfungsprozess weniger Aufwand erforderlich ist, werden offen visualisiert und diskutiert – so wie es der Zukunftspakt auch vorsieht. Nicht zuletzt deshalb ist das Evaluierungsteam davon überzeugt, dass das Werk Wolfsburg für die Zukunft gut gerüstet ist und auch die Chancen der Digitalisierung nutzen wird.
Der Gewinnerstandort des Special Award „Excellent Assembly Plant“ liegt gut zwölf Flugstunden entfernt an der indischen Ostküste: BMW Chennai. Mit über 500 Mitarbeitern produziert das reine Montagewerk (SKD = Semi Knock Down) eine Anzahl an Fahrzeugtypen der BMW-Marken auf zwei Fertigungslinien für den lokalen Markt: 3er, 5er, 7er, X3, X5 und seit kurzem auch den Mini.
Spirit of India trifft auf bayerisches Produktionssystem
Der Award zeichnet „die hervorragende Umsetzung des BMW-Produktionssystems in einem sehr komplexen Umfeld“ aus. Ein SKD-Werk zeichnet sich durch zwei besondere Merkmale aus: eine komplexe weltweite Logistik und eine hohe Anzahl an Neuanläufen. Letztere erfolgen nur ein paar Monate nach dem SOP im Lead-Werk, müssen aber in einem bestehenden Produktionsumfeld mit bereits hoher Taktspreizung aufgrund der Derivatsvielfalt integriert werden. Der Launch des Mini in Chennai zum Beispiel wird „als einer der besten im gesamten Konzern“ bewertet.
Die Basis ist auch im Werk Chennai das BMW Produktionssystem. Dafür hat das Produktionsnetzwerk 2 ein eigenes Reifegrad-Excellenz-Modell entwickelt, welches neben dem wertschöpfungsorientierten Produktionssystem (WPS) auch EFQM-Elemente beinhaltet (European Foundation for Quality Management). Über Boards in der Fertigung, Checklisten und Coaching durch die Führungskräfte werden auf dem Shopfloor Team und Process Leader auf den Weg zur Excellenz geleitet. Das Qualitätsbewusstsein bei den Mitarbeitern ist sehr ausgeprägt. Die Werker beherrschen die Arbeitsumfänge modellübergreifend von über 18 Minuten und sichern dennoch ein sehr hohes Qualitätsniveau. Das geht nur durch hohes Engagement und eine quasi auf Null gesenkte Mitarbeiterfluktuation in den letzten Jahren.
„Werkleiter Jochen Stallkamp und seine Führungsmannschaft, unterstützt durch das Produktionsnetzwerk 2, haben es verstanden, geschickt die Stärken des BMW Produktionssystems mit den Talenten, der Kreativität und dem Wettbewerbsgeist der indischen Mitarbeiter zu vereinen. Als mustergültig dafür sind die Vielzahl an Low-cost-Digitialisierungslösungen zu nennen, die in Eigeninitiative für das Werk entwickelt wurden“, heißt es in einer Stellungnahme der Agamus-Jury.