Das A und O im flexiblen Fahrzeugbau 4.0 sind schlanke, stabile Prozesse und lernfähige Fabriken. Der Inkubator für Spitzenergebnisse sind hoch motivierte Produktionsmannschaften. Bei Audi in Neckarsulm ist der Mindset dafür besonders ausgeprägt.
Der Trend zu Losgröße eins – und damit zur zunehmenden Individualisierung der Fahrzeuge – führte in den Werkshallen zu einem Umdenken der besonderen Art: „Wir bauen kein Auto zweimal“, sagt Volker von der Fecht, Leiter Montage A6/A7 bei Audi Neckarsulm. Stattdessen steigt die Komplexität der Fahrzeugtechnik samt Ausstattungsvarianten pro Auto auch im Volumensegment. Multiline-Fertigung ist so ein Schlagwort. Das verändert die Produktionssteuerung und die Auftragsreihenfolge und setzt neue Prioritäten in der strategischen Standortausrichtung: „Wir sind auf Lean angewiesen, um die Komplexität zu beherrschen“, betonte Werksleiter Helmut Stettner.
Eine Schlüsselaufgabe sieht man in Neckarsulm vor allem im integrierten Shopfloor-Management (SFM), das seit drei Jahren vom Presswerk über die Montage und Lackiererei bis ins Kleinteilelager ausgerollt wurde. Das Ziel: Den durch Digitalisierung und neue Techniken hervorgerufenen Wandel in messbaren Erfolg umzumünzen, sprich, Fahrzeugqualität und Produktivität weiter zu steigern ohne die Kosten-Budgets zu strapazieren. Seitdem unterliegen die Gewerke einem kontinuierlichen Verbesserungsgebot, das sich wie ein roter Faden vom Management bis zur Gruppen-ebene durchzieht.
Perlenkette = Regieplan der Produktion
Beim Gang durch die Hallen wird das schnell sichtbar. Informationstafeln an den Stationen der Endmontage halten die Arbeitsteams auf dem Laufenden, welche Einzelteile zum Verbauen an der Reihe sind. Die „Perlenkette“, eine für jedes Fahrzeug festgelegte Reihenfolge der Montageschritte bis zur Hochzeit von Fahrwerk und Chassis, ist ein detailliert ausgearbeiteter Regieplan, der das Geschehen je Produktionstakt bereits sechs Tage vor Montagebeginn festschreibt. Ein wichtiges Werkzeug am Regiepult der Produktionsplaner ist dabei eine von Audi entwickelte Software. Deren Algorithmen berechnen aus den (mathematisch) 1,9 Billionen Kombinationsmöglichkeiten bei der Herstellung des Fahrzeugs die optimale Auftragsreihenfolge hinsichtlich Auslastung und Aufwand.
An vielen Einzelbeispielen ist zu erkennen, dass hier das Thema Smart Factory Gestalt annimmt. „Daten sind der Treibstoff für die konsequente Weiterführung des Lean-Gedankens“, betont Christoph Hagmüller, Projektleiter Big Data Analytics bei Audi. An jeder Station im Fertigungs-Parcour der Audi-Karossen findet eine Informationserfassung statt. Aus den Daten destillieren Algorithmen eine rückverfolgbare Historie der Abläufe rund um die Fahrzeuge. Das informelle Netz erfasst mittlerweile auch Maschinen und Logistik samt Flottenmanagement für die internen Transportsysteme oder den Einkauf. Sensoren und Kamerasysteme erkennen nicht nur Risse an den Materialverbindungen oder Berechnen die Standzeiten von Werkzeugen, sondern zeigen dem Werker auch Fehler bei der Türverkabelung oder beim Lackauftrag. Das Drehmoment aller 76 Schraubstellen bei der Hochzeit von Fahrwerk und Karosserie findet sich in der elektronischen Dokumentation ebenso wieder, wie die Position von Antriebsstrang oder der Sitz der vollautomatisch montierten Räder.
Das alles stellt Mitarbeiter und Management gleichermaßen vor neue Herausforderungen. Die Fehler- und Störanfälligkeit einer variantenreichen Fertigung nimmt zu, denn die taktgenaue Just-in-Sequence-Anlieferung der gerade benötigten Bauteile am Band setzt eine reibungslose Zulaufsteuerung und Intralogistik voraus und umfasst nahezu alle Schnittstellen von der Anlieferung, Produktion und Lagerverwaltung bis hin zur Auslieferung der fertigen Modelle. Die Perlenkette hält nur zusammen, wenn die beteiligten Prozesse nahtlos und in der vorgesehenen Zeitspanne ineinandergreifen.
Prozessschwächen gleich beheben
Bei Audi hat man erkannt, dass Prozessschwächen und Fehler am besten dort zu beheben sind, wo sie auftreten. Um diese Einsicht voranzutreiben, entstand ein mehrstufiges Qualifizierungsprogramm, das weitgehend auf Abteilungs- und Hierarchiegrenzen verzichtet. Die Qualifizierung der Mitarbeiter beginnt mit einem Grundfertigkeiten-Training und vermittelt ein Basisverständnis für Lean-Themen. Ebenso ändert sich das Rollenverständnis von Führungskräften, die jetzt eine Mentoraufgabe innerhalb eines Verbesserungsprozesses übernehmen. Weiterreichendes Wissen, wie sich Probleme konkret lösen lassen, erhalten Aspiranten in einem so genannten Profiraum-Training. Die Durchführung der Trainings übernehmen zertifizierte Trainer aus den eigenen Reihen.
Die Fülle der Aufgaben, so sind sich alle Verantwortlichen einig, ist damit noch längst nicht abgehakt. Zwar fertigt der Standort über die komplette Prozesskette nach den Lean-Standards des Audi Produktionssystems und sieht sich als Benchmark-Werk innerhalb des VW-Konzerns – aber auf den Lorbeeren ausruhen mag sich in Neckarsulm niemand. Den nächsten Produktivitätssprung erwartet Werkleiter Helmut Stettner mit der Ablösung der Fließbandfertigung durch hochflexible Montagestationen und einem weiterentwickelten Perlenketten-Prinzip, um Zeitspreizungen in der Montage infolge der hohen Vielfalt an Derivaten und Ausstattungen noch besser zu beherrschen. „Auf diese Reise wollen wir alle minehmen“, unterstreicht Stettner.