Henner Lehne, Vice President Vehicle & Powertrain Group bei S&P Global Mobility sprach auf dem Automobil Produktion Kongress 2023 in München.

Henner Lehne, Vice President der Vehicle & Powertrain Group bei S&P Global Mobility sprach auf dem Automobil Produktion Kongress 2023 in München. (Bild: FacesbyFrank)

Wer sich heute einen Gebrauchtwagen kaufen möchte, findet zahlreiche Angebote unter 5.000 Euro. Dabei handelt es sich allerdings um Verbrenner. Für Elektroautos dürften solche Preise utopisch bleiben, prophezeit Branchenexperte Henner Lehne von S&P Global Mobility auf dem Automobil Produktion Kongress 2023 in München. Im März 2023 beweihräucherte sich VW aufgrund der Ankündigung des ID.2 selbst, doch auch dieser "Elektrogolf" beginnt erst bei 25.000 Euro. Selbst wenn es in den nächsten Jahren E-Einstiegsmodelle unterhalb von 20.000 Euro geben sollte, besteht noch immer eine riesige Kluft zu den Preisen für die Einstiegsmobilität bei Verbrennern. In Deutschland sei das Problem noch moderat, da die Löhne hierzulande vergleichsweise hoch seien. Blickt man jedoch Richtung Süd- und Osteuropa verschärft sich das Problem der "exklusiven" Elektromobilität noch mehr, so der Vice President der Vehicle & Powertrain Group bei S&P Global Mobility.

Kaum Neuwagen aus dem A- und B-Segment

Der Megatrend der Elektrifizierung sei nicht mehr aufzuhalten, so Lehne. Zwar gibt es immer noch viele Menschen, die auf einen kollektiven Sinneswandel hoffen, doch selbst Szenarien wie eine denkbare zweite Amtszeit von Donald Trump als US-Präsident dürften nach Ansicht des Branchenexperten keine Auswirkungen auf die Transformation der Autoindustrie haben. Einzig eine Eskalation zwischen China und Taiwan könnte für größere Erschütterungen sorgen. Doch dann hätte die ganze Welt weitaus größere Probleme, als den Wandel der Autoindustrie voranzubringen.

Aber auch ohne eine Eskalation in Taiwan bleibe die Lage bei den Halbleitern bis Ende 2024 angespannt. "Wir befinden uns aber nach wie vor in einer Chipkrise. Das darf keiner vergessen. Wir sind immer noch in einem angebotslimitierten Markt", stellt Lehne klar. Deshalb seien die Volumen noch lange nicht da, wo sie 2017 noch waren. Erst 2030 dürften die 95 Millionen Einheiten aus jenem Jahr – global gesehen – wieder erreicht werden. Regional seien riesige Unterschiede zu erwarten, doch dazu später mehr. Das Problem der geringen Volumen sorgt bei den OEMs dafür, sich auf Baureihen zu fokussieren, die große Margen versprechen. Modelle aus dem A- oder B-Segment zählten da nicht zu, so der Experte.

Investoren schrecken vor Zuliefererindustrie zurück

Doch gerade Zulieferer brauchen auf lange Sicht hohe Volumen, um wachsen zu können. Im Durchschnitt ist die Zuliefererindustrie von Wachstum aber seit vielen Jahren weit entfernt. Wirft man einen Blick auf die Investmentbewertungen von S&P Global Mobility, so sei die Branche seit dem Jahr 2005 für Investoren konstant nicht nur wenig attraktiv – ein "Invest" gelte sogar als spekulativ, so Lehne. „Das ist ein großes Problem, was auf die Zulieferindustrie zukommt und das muss gemeinsam mit den Herstellern angegangen werden", mahnt der Experte. Denn am Ende ist jeder OEM auf gesunde Zulieferer angewiesen.

Wie klein wird der Automarkt Europa?

Bereits Ende 2022 mahnte Lehne im Interview mit Automobil Produktion großen Nachholbedarf, speziell bei mittelständischen Lieferanten in Bezug auf das Change Management an. Dieser Missstand sei nach wie vor aktuell. Allgemein bilanziert der Fachmann: „Es sind schwierige Zeiten für die Zuliefererindustrie und es wird nicht besser.“ Doch auch die Hersteller stehen vor großen Herausforderungen. Die Aussicht, dass sich der globale Absatz bis 2030 wieder auf das Niveau von 2017 normalisieren sollte, dürfe nicht über die gravierenden regionalen Unterschiede hinwegtäuschen. "Europa, Nordamerika, Japan und Südkorea werden alle nicht auf das Normalniveau zurückkommen." Laut Prognose dürften 2030 in Europa nur noch 17 Millionen Autos verkauft werden, 2017 waren es noch 20 Millionen. Und diese Schätzung sei noch optimistisch. Wenn die Elektromobilität preislich nicht so weit runtergedrückt werden kann, dass alle Menschen mitgenommen werden, dürften auch die 17 Millionen nicht erreichbar sein – düstere Aussichten.

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